Fast die Hälfte der Menschen weltweit, die sich neu mit dem HIV-Virus infizieren, sind Jugendliche zwischen 15 und 24 Jahren. Jedes vierte Mädchen in Afrika wird bereits als Teenager zum ersten Mal Mutter. Schwangerschaft und Geburt gehören zu den Haupttodesursachen für Mädchen im Teenageralter.

Beatrice Savadye, eine 24jährige Frau aus Simbabwe, erzählte an der aidsfocus Fachtagung von Jugendlichen, die in Familienplanungskliniken stigmatisiert und diskriminiert werden. Junge Mädchen und Burschen sollten sich nicht für Verhütung und Schwangerschaft interessieren, so die gängige Meinung. Eine HIV-positive junge Mutter sollte gar nicht erst schwanger werden oder sich zu Verhütung informieren. Beatrice Savadye forderte, dass Angebote für junge Menschen geschaffen werden, die sexuelle Gesundheit mit HIV verknüpfen.

Die Verknüpfung von HIV Programmen mit sexueller und reproduktiver Gesundheit und Rechten (SRGR) ist ein Schlüssel zu umfassender Gesundheit für alle. Diese Feststellung wird von internationalen Organisationen wie UNAIDS, UNFPA, IPPF, WHO und selbst dem Globalen Fonds zur Bekämpfung von Aids, Malaria und TB seit einiger Zeit wiederholt geäussert. Denn, so die Argumentation, die Aidsepidemie ist engstens verknüpft mit der Frage der sexuellen und reproduktiven Gesundheit. Die meisten HIV-Infektionen werden beim Sex übertragen oder im Zusammenhang mit Schwangerschaft, Geburt und Stillen.

Der HIV-Experte der International Planned Parenthood Federation (IPPF), Kevin Osborne, der an der Fachtagung sehr lebhaft für die bessere Verknüpfung von HIV-Prävention, Behandlung und Pflege und Dienstleistungen zur Förderung der sexuellen und reproduktiven Gesundheit und Rechte (SRGR) plädierte, verspricht sich davon zahlreiche Vorteile. Es optimiert z.B. die Nutzung bestehender SRGR-Infrastruktur. Wird alles „unter einem Dach“ angeboten, ist es für Frauen und Männern mit gesundheitlichen Problemen eher möglich, diese Angebote zu nutzen. Umfassende Dienstleistungsangebote, die nicht das Schild „Aids“ tragen, erleichtern Menschen mit HIV die Nutzung von auf sie zugeschnittenen Dienstleistungen. Marginalisierte Bevölkerungsgruppen wie Drogensüchtige, SexarbeiterInnen oder Männer, die Sex mit Männern haben, könnten mit integrierten Angeboten eher versorgt werden. Hinzu kommt der doppelte Schutz vor ungewollter Schwangerschaft und sexuell übertragbaren Infektionen, was für Jugendliche besonders wichtig ist.

Umfassende Gesundheitsversorgung

Die Verknüpfung von HIV mit sexueller und reproduktiver Gesundheit und Rechten ist vor allem ein Muss aus der Überzeugung heraus, dass alle Menschen ein Recht auf Gesundheit und umfassende Gesundheitsversorgung haben. Dazu gehört das Recht, selbst bestimmen zu können, wann und mit wem jemand Sex haben, heiraten und Kinder haben will oder nicht. Die Missachtung dieser Rechte ist eine der Grundursachen für die Verbreitung von HIV und sexueller und reproduktiver Krankheiten und ein Hindernis auf dem Weg zum Ziel: Gesundheit für alle.

Was für uns selbstverständlich ist, fehlt jungen Menschen in Entwicklungsländern: Sexualaufklärung und Zugang zu Verhütungsmitteln und Aidsprävention. Auch Venkatraman Chandra-Mouli von der Weltgesundheitsorganisation WHO betonte an der Fachtagung die Notwendigkeit, vermehrt auf die Gesundheits- und Informationsbedürfnisse von Jugendlichen einzugehen. „Die Unterstützung der WHO zur Zusammenarbeit von nationalen Programmen zur sexuellen und reproduktiven Gesundheit und zu HIV hat zu Win-Win-Situationen geführt sowohl für die Programme wie für die Jugendlichen“.

Trotz internationaler Abkommen…

Die Krux scheint in der Umsetzung zu liegen. Oft trennen die internationalen Geldgeber und die Regierungen in Entwicklungsländern diese Bereiche voneinander. Im Kampf gegen Aids konnte in den letzten Jahren relativ viel Geld mobilisiert werden. Die Förderung der sexuellen und reproduktiven Gesundheit aber wird von den Regierungen im Süden vernachlässigt, erst recht jugendfreundliche Angebote.

Das togolesische Rote Kreuz hat die Bedürfnisse Jugendlicher aufgenommen und zusammen mit der UNFPA und verschiedenen staatliche Institutionen jugendfreundliche Zentren zu sexueller und reproduktiver Gesundheit und HIV errichtet, die sog „Centres Conviviaux et d’Écoute de Jeunes“. Diese bieten Sport, Informationen und Beratungen für und mit Jugendlichen an. Der nationale HIV-Koordinator des togolesischen Roten Kreuzes, Blaise Sedoh, berichtete sehr anschaulich, wie Jugendliche Jugendliche beraten. In den Gruppengesprächen haben sie gelernt, offen miteinander zu reden und auch Tabuthemen anzuschneiden. Viele wollen ihren HIV-Status kennen und sich testen lassen – ein wichtiger Schritt.

An eine besonders verletzliche Gruppe Jugendlicher richtet sich die Organisation AMMIE (Appui Moral, Matériel et Intellectuel à l’Enfant) in Burkina Faso, eine Partnerorganisation von IAMANEH Schweiz: an junge, ledige Mütter, die vom Vater des Kindes verlassen und von ihrer Familien verstossen wurden. AMMIE informiert und berät die jungen Frauen zu Verhütung, Prävention von HIV und sexuell übertragbarer Krankheiten, Ernährung und Kinderbetreuung. Zudem vergibt AMMIE Kleinkredite zur Förderung der wirtschaftlichen Selbstständigkeit und sucht mit den Familien zu vermitteln, um die jungen Mütter mit ihren Kindern wieder ins familiäre soziale Sicherungssystem zu integrieren.


Die Schweiz muss sich mehr engagieren

Die VertreterInnen schweizerischer Hilfswerke, internationaler Organisationen und der DEZA waren sich einig, dass HIV-Prävention besser mit der Förderung sexueller und reproduktiver Gesundheit und Rechte verknüpft werden soll. Die Fachtagung hat an konkreten Beispielen aus Togo, Burkina Faso, Simbabwe und Tibet/China aufgezeigt, wie wirkungsvoll integrierte Programme sind für das Leben und Wohlergehen von Frauen, Männern und Kindern und somit für die Entwicklung eines Landes. Es gibt viele qualitativ hochstehende Projekte und Schweizer NGOs und ihre Südpartner verfügen über die Expertise, das Engagement und die Erfahrung. Aber für eine wirkungsvolle Gesundheitszusammenarbeit mit breiterer Wirkung braucht es auch Geld und den politischen Willen.

Die Schweiz hinkt punkto internationaler Gesundheitszusammenarbeit weit hinten nach. Mit nur 0.025 Prozent des Bruttoinlandeinkommens (BNE) für Gesundheitsförderung und medizinische Hilfe in den Ländern des Südens und Ostens steht die Schweiz gerade noch vor Italien an zweitletzter Stelle (und wenn Italien die dem Globalen Fonds versprochenen Gelder einzahlt – was es tun wird –, fällt die Schweiz auf den letzten Platz ab). Dies ist das traurige Fazit einer neuen, vom aidsofucus.ch in Auftrag gegebenen Studie zur Entwicklungshilfe der Schweiz, welche auf einer Analyse der OECD Zahlen beruht. Das Engagement der Schweiz in Sache Aids stagniert seit Jahren auf niedrigem Niveau bei ca. 36 Millionen Franken bzw. bei 0,006 Prozent des BNE. Die Schweiz gibt somit gerade 2 Prozent der sehr bescheidenen staatlichen Entwicklungshilfe für Interventionen zur Prävention und Behandlung von HIV und zur Pflege und Unterstützung von Menschen, die mit HIV leben, aus. Auch das Engagement für sexuelle und reproduktive Gesundheit ist sehr gering, noch liegen dazu aber nur bruchstückhafte Daten vor.

Die Schweiz muss international mehr tun zur Förderung der sexuellen und reproduktiven Gesundheit und im Kampf gegen Aids, um nachhaltig zur Gesundheit der kommenden Generationen beitragen, fordert aidsfocus.ch. Die Partner von aidsfocus.ch wollen dies im Rahmen ihrer Einflussmöglichkeiten tun.


Helena Zweifel ist Geschäftsführerin des Netzwerks Medicus Mundi Schweiz und koordiniert die Fachplattform aidsfocus.ch