Kürzlich widersprach an einer Veranstaltung ein hoher Schweiz Beamter dem Postulat, dass es so etwas wie ein Menschenrecht auf Gesundheit gäbe. Tatsächlich kann niemand eine Menschenrechtsverletzung einklagen, wenn er oder sie erkrankt. Wenn wir aber das Menschenrecht auf Gesundheit postulieren, bedeutet das nicht, dass wir damit von einem Recht sprechen, nicht krank zu werden.

Die Menschenrechtsdeklaration (Art. 25), der internationale Pakt über Wirtschaftliche, Soziale und Kulturelle Rechte (Art.12) oder aber auch die Verfassung der Weltgesundheitsorganisation: Die internationale Gemeinschaft versteht Gesundheit als eines der unveräusserlichen Rechte, die jedem Menschen zustehen. Auf diesem Kern gilt es sowohl in der schweizerischen wie auch der globalen Gesundheitspolitik zu beharren, wenn Gesundheit etwa als ein rein wirtschaftliches Gut verstanden wird, das dem freien Markt ausgesetzt werden soll.

Das Recht auf Gesundheit bedeutet, dass jeder Mensch das Recht hat auf die Welt zu kommen und aufzuwachsen, zu arbeiten, zu leben und alt zu werden, ohne dass seine Gesundheit durch Menschen beeinflusste Handlungen oder durch Menschen beeinflussbare Umstände gefährdet wird. Dieses Recht muss durch die einzelnen Nationalstaaten aber auch die internationale Gemeinschaft umgesetzt und geschützt werden.

Die grundsätzlichen Überlegungen zum Menschenrecht auf Gesundheit halte ich für wichtig, da sie bei anderen Menschenrechten meist für jeden klar einsichtig sind, beim Recht auf Gesundheit in den verschiedensten Debatten – vom Leistungskatalog der Krankenversicherungen bis zur Zuckersteuer – immer wieder vergessen zu gehen drohen.

Menschenrechtsbasierter Ansatz in der Gesundheitszusammenarbeit

Anerkennt man das Menschenrecht auf Gesundheit in umfassendem Sinne, hat das Folgen auf die Tätigkeit verschiedener Akteure und Akteurinnen der internationalen Gesundheitszusammenarbeit. Für Organisationen, die Gesundheitseinrichtungen in Entwicklungs- und Schwellenländern betreiben oder unterstützen, heisst dies, dass sie alle Vorkehrungen treffen müssen, dass diese Einrichtungen und damit verbundene Programme tatsächlich zugänglich sind.

Das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) in Deutschland hat dazu einen Leitfaden entwickelt. Der dabei verfolgte Ansatz macht deutlich, dass ein menschenrechtsbasierter Ansatz nicht nur für die internationalen Gesundheitszusammenarbeit sondern schlicht auch für die schweizerische Gesundheitspolitik von Relevanz wäre: „Ein Menschenrechtsansatz im Gesundheitssektor erfordert die Ausrichtung von Gesundheitspolitik und Gesundheitssystemen auf das Ziel, den Zugang der gesamten Bevölkerung, das heisst insbesondere extrem armer und benachteiligter Bevölkerungsgruppen, zu Gesundheitsdiensten und Gesundheitsinformationen zu verbessern und gesunde Lebensbedingungen zu ermöglichen.“

Arbeiten Gesundheitsprojekte mit diesem Ansatz müssen sie verschiedene Fragen implementieren: Inwieweit verbessert das Projekt den Zugang zu Gesundheitsdienstleistungen, insbesondere für benachteiligte Gruppen? Inwieweit wird der Gesundheitszustand insbesondere von Frauen und armen, benachteiligten und von Krankheit überproportional betroffenen Bevölkerungsgruppen verbessert? Inwieweit werden partizipative Elemente gestärkt und sind Mechanismen für die Rechenschaftslegung und Beschwerdeführung vorgesehen.

Südafrika: Den Verfassungsauftrag umsetzen

Ein menschenrechtsbasierter Ansatz in Gesundheitsprojekten ist immer ein umfassender Ansatz, der ganz grundsätzlich das Recht auf Gesundheit stärken muss. Doch lässt sich dieser Ansatz von den konkreten Projekten und Einrichtung auf die politische Ebene übertragen? Wie muss nationale und internationale Politik gestaltet sein, um dieses Recht zu gewährleisten?

Um diese Fragen zu beantworten, lohnt sich ein Blick auf die südafrikanische Organisation SECTION27, deren Vorgängerorganisation, das AIDS Law Project (ALP), sich auf den Kampf für die Rechte von Menschen mit HIV und für den Zugang zu antiretroviralen Therapien konzentrierte. Die ALP-AktivistInnen beschlossen 2004, ihre Arbeit auszuweiten. Sie thematisierten die Verpflichtungen des Staates gegenüber dem Gesundheitssystem als Ganzes. Sie setzten sich von nun an für ein gerechtes, allen zugängliches und qualitativ gutes Gesundheitssystem ein. Sie pochten auf die sich aus der Verfassung ergebenden Verpflichtungen der Regierung gegenüber dem öffentlichen und privaten Gesundheitssektor: Diese verfassungsrechtlichen Verpflichtungen brächten es mit sich, dass sie in alle Politik- und Gesetzesbereiche integriert werden sollten. Sie engagierten sich dafür, dass die Schlüsseldeterminanten von Gesundheit, insbesondere Ernährung und Bildung, gestärkt werden.

Interessant ist, dass sich die Organisation, die stark in Juristenkreisen verankert ist, auf das verfassungsmässig garantierte Recht auf Gesundheit beruft und in diesem Sinne die Verfassung zu stärken versucht. Das Recht auf Gesundheit ist in Sektion 27 der südafrikanischen Verfassung garantiert – seit 2010 nennt sich die Organisation denn auch konsequenterweise Section27.

Eine Rahmenabkommen zur globalen Gesundheit

Section27 ist auch Mitglied der internationalen Joint Action and Learning Initiative (JALI), die sich für eine bessere, internationale Gesundheitspolitik engagiert. Von JALI liegt seit diesem Jahr ein bestechender Vorschlag auf dem Tisch, der das Menschenrecht auf Gesundheit stärken soll. Mit der „Framework Convention on Global Health“ soll die internationale Gemeinschaft ein Rahmenabkommen verabschieden, die den Weg für die Zeit nach Ablauf der Millenniumsziele (MDGs) 2015 weisen könnte.

Innerhalb der MDGs spielt der Gesundheitsbereich eine zentrale Rolle. Die Gesundheitsziele haben zu einer positiven Entwicklung in verschiedenen Gesundheitsbereichen beigetragen. Gleichzeitig sind sie aber ziemlich selektiv auf einzelne Bereiche ausgerichtet. JALI schlägt nun einen umfassenderen Ansatz vor.

Mit einem Rahmenabkommen zur globalen Gesundheit sollen Gesundheitsprioritäten definiert, nationale und internationale Verpflichtungen in der Gesundheitspolitik festgelegt und durch einen Globalen Gesundheitsfonds finanzielle Mittel bereitgestellt werden. Das Rahmenabkommen soll zu einem klareren Rollenverständnis zwischen der einzelnen Staaten und der internationalen Gemeinschaft führen und vor allem klare Verbindlichkeiten schaffen. Dies alles mit dem Ziel, dem Menschenrecht auf Gesundheit zum Durchbruch zu verhelfen.

Das Rahmenabkommen soll laut dem Vorschlag folgende vier Fragen beantworten:

1. Welche zentralen Gesundheitsleistungen und Güter müssen jedem Menschen für die Erfüllung des Rechts auf Gesundheit garantiert werden?
2. Welche Verantwortung trägt jeder Staat, um die Gesundheit der eigenen Bevölkerung zu sichern?
3. Welche Verantwortung tragen alle Staaten gemeinsam, um die Gesundheit der Weltbevölkerung zu sichern?
4. Wie muss die globale Gesundheitspolitik geführt werden, damit alle Staaten ihrer gegenseitigen Verantwortung gerecht werden können?

Der Vorschlag zeichnet sich dadurch aus, dass er nicht auf einzelne Krankheiten fokussiert sondern auch die die Gesundheit bestimmenden sozialen Determinanten einbeziehen möchte. Dieser umfassende Ansatz zeigt einen Weg auf, wie das Menschenrecht auf Gesundheit, konkret umgesetzt und der Tendenz entgegengetreten werden kann, dass die gesundheitlichen Unterschiede zwischen den Ländern, aber auch innerhalb der einzelnen Ländern immer grösser werden. Damit geht es auch um eine Debatte, welche die Schweiz unbedingt führen sollte.

Martin Leschhorn Strebel ist Geschäftsleitungsmitglied Netzwerk Medicus Mundi Schweiz. Kontakt: mleschhorn@medicusmundi.ch

 

Ressourcen


Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung. BMZ Spezial 162, Juli 2009: www.bmz.de/de/publikationen/reihen/strategiepapiere/spezial162pdf.pdf

Lawrence O. Gostin et al: The Joint Action and Learning Initiative: Towards a Global Agreement on National and Global Responsibilities for Health. In: PLoS Med 8(5): e1001031. doi:10.1371/journal.pmed.1001031

www.section27.org.za