Sterilisationscamps in Indien: Entwürdigende Bevölkerungskontrolle

Frauenversammlung in Salehmatha, Chhattisgarh. (Flickr, ADB Photo Rakesh Sahai)

 

Wir stehen kurz vor der Abstimmung zur Ecopop-Initiative: Was gesagt werden musste, ist gesagt. Das Netzwerk Medicus Mundi Schweiz hat sich deutlich gegen den die Entwicklungszusammenarbeit betreffenden Teil der Initiative ausgesprochen: Gerade wer, wie eine beachtliche Zahl unserer Mitgliedorganisationen, Instrumente der freiwilligen Familienplanung in Gesundheitsprojekten einsetzt, lehnt die Initiative ab. Nur mit einem umfassenden Ansatz, der weit über die Methoden der freiwilligen Familienplanung hinausgreift, kann auf den Frauenrechten basierende freiwillige Familienplanung überhaupt seine Wirkung entfalten.

Nach Schätzungen des Netzwerks Medicus Mundi Schweiz investiert die Schweiz zwischen 8-10% der Entwicklungsgelder in den Bereich Gesundheit – darunter fällt auch das eingebettete Engagement zur freiwilligen Familienplanung. Mit einer Annahme der Initiative müsste die Schweiz künftig 10% seiner Mittel für eine Einzelmassnahme einsetzen. Diese Umkehrung hätte zur Folge, dass etwa Gelder für die Gesundheitssystemstärkung massiv gekürzt werden müssten. Die Folge: Das Geld für die freiwillige Familienplanung würde wirkungslos verpuffen, denn ohne starke Gesundheitssysteme erreicht kein Kondom, keine Pille und keine Sexualberatung die Bevölkerung.

Als drittes Argument haben wir auf eine andere fatale Folge hingewiesen: Die Schweizer Entwicklungszusammenarbeit würde völlig diskreditiert und wäre letztlich handlungsunfähig, wenn sie ihre Strategie auf einen Verfassungsartikel ausrichten müsste, der die Bevölkerungskontrolle in anderen Ländern zum Ziel hätte.

Autoritäre Massnahme

Und hier liegt der springende Punkt: Freiwillige Familienplanung basiert heute auf den sexuellen und reproduktiven Rechten – und nicht auf der in den 70er Jahren des letzten Jahrhunderts blühenden Idee, dass damit die Bevölkerungsexplosion kontrolliert werden müsste. Familienplanung war in diesem Kontext eine autoritäre Massnahme, bei der die Freiwilligkeit nur eine Fassade darstellte.

Doch dies ist nicht einfach Vergangenheit, wie die jüngsten Ereignisse in Indien zeigen. In Chhattisgarh wurden in zwei von der Regierung geführten Camps 60 Frauen sterilisiert – 15 von ihnen starben in der Folge aufgrund qualitativer Mängel bei der Behandlung der Frauen. Das Ereignis wirft ein schlechtes Licht auf eine Politik, die den Kampf gegen die Armut mit Massnahmen der Bevölkerungskontrolle gewinnen möchte.

Indien fördert Sterilisierungen von Frauen, weil sie das starke Bevölkerungswachstum in den Griff bekommen möchte – und weil der chirurgische Eingriff kostengünstiger ist, als die mit hohem Aufklärungsaufwand zu führende Abgabe von Verhütungsmitteln. Den Familien wird für die Sterilisierung einen Betrag von 1‘400 Rupien ausbezahlt, was für die ärmeren Bevölkerungskreise ein starker Anreiz darstellt – und umgekehrt die Freiwilligkeit der Massnahme stark in Frage stellt.

Debatte rund um Bevölkerungspolitik in Grossbritannien

Während bei uns die Ereignisse in Indien unter Vermischtes abgehandelt werden, ist in Grossbritannien eine Debatte über die Rolle der Entwicklungspolitik entbrannt. Das Department for International Development (DfID) unterstützte offenbar solche indischen Familienplanungsmassnahmen – auch wenn es sich ganz klar gegen jegliche Ausübung von Zwang wehrt.

Kalpana Wilson, die an der London School of Economics lehrt, spricht in der englischen Zeitung The Guardian Klartext: „Population control policies dehumanise women and lead to events such as the deaths of at least 14 women in Chhattisgarh.”

„Population control policies dehumanise women and lead to events such as the deaths of at least 14 women in Chhattisgarh.”

Statt umfassend in die Gesundheitssysteme und die Bildung zu investieren, statt Menschrechte und Gleichberechtigung zu fördern, zieht Indien – mit Unterstützung einiger Geberländer – eine billige Bevölkerungskontrollpolitik der effektiven Armutsbekämpfung vor.

Und genau darum geht es auch beim entwicklungspolitischen Teil der Ecopop-Initiative: Mit ihr würde eine auf einem umfassenden Ansatz beruhenden Stärkung der Gesundheitssysteme und der Armutsbekämpfung zugunsten einer Bevölkerungspolitik geopfert, an deren Ende die Gesundheit und Würde von Frauen auf dem Spiel steht. Hoffen wir, dass mit der Abstimmung vom 30. November 2014 nicht eine Chhattisgarhisierung der Schweizer Entwicklungspolitik beginnt.

 

Ergänzungen

Die Indische NGO Population Foundation of India hat zu den Ereignissen einen Bericht verfasst und ist den Ursachen auf den Grund gegangen (ergänzt am 3.12.14)
Robbed of Choice and Dignity: Indian Women Dead after Mass Sterilization. Report of the Population Foundation of India. November 2014 (pdf)

 

Martin Leschhorn Strebel
Martin Leschhorn Strebel ist Geschäftsführer des Netzwerks Medicus Mundi Schweiz. Kontakt: mleschhorn@medicusmundi.ch