„Die Völker der Erde rufen uns“. Mit diesem Aufruf hatten HeilerInnen, SchamanInnen, Medizinfrauen und -männer aus allen fünf Kontinenten zur Eröffnungsfeier eingeladen. Gemeinsam riefen sie Vater Sonne und Mutter Erde um ihren Segen auf. Die Zeremonie fand an einem verheissungsvollen Ort statt, in Pumapungo, der heiligen Städte der Inkas, auf der Cuenca aufgebaut worden war. Die sehr eindrückliche und mutige Zeremonie schuf den Rahmen für die Konferenz und erzeugte eine Stimmung freudiger Erwartungen und Nähe. Erstmals in der Geschichte der internationalen Gesundheitsbewegung nahmen die traditionellen HeilerInnen einen so prominenten Platz ein.

Die erste internationale Konferenz der Gesundheitsbasisbewegungen hatte im Jahre 2000 in Savar, Bangladesch, stattgefunden - als Reaktion auf die traurige Tatsache, dass das an der Alma Ata-Konferenz von 1978 von 134 Regierungen gemachte Versprechen, bis in Jahr 2000 Gesundheit für alle zu verwirklichen, bei weitem nicht erreicht worden war. Alma Ata hatte den Traum geweckt, mit und für die Menschen umfassende Basisgesundheitsdienste (Primary Health Care) einzurichten und damit die weltweite Gesundheitskrise zur überwinden. An der Konferenz in Savar war dieses Grundprinzip von über tausend Menschen aus Basisgruppen und Internationalen Organisationen bestätigt worden. In der „People’s Charter for Health“ hatte sie ihre Vision und ihr Verständnis von Gesundheit festgehalten: „Health is a social, economic and political issue and, above all, a fundamental human right. Inequality, poverty, exploitation, violence and injustice are at the root of ill-health and the death of poor and marginalized people. Health for all means that powerful interests have to be challenged, that the negative aspects of globalization have to be opposed, and that political and economic priorities have to be drastically changed.“ (People’s Charter for Health).

Eine ernüchternde Bestandesaufnahme

Fünf Jahre später, mit der zweiten internationalen Gesundheitskonferenz der Basisorganisationen, sollte erneut Raum geschaffen werden für den Austausch von Erfahrungen und Ansätzen von Gesundheitsbewegungen und Netzwerken aus aller Welt. Damit sollte die Gesundheitsbewegung gestärkt werden, um gemeinsam die Vision einer gerechteren Welt zu verwirklichen, in der alle, unabhängig von Herkunft und Geschlecht Zugang zu Gesundheit haben.

1300 Personen aus aller Welt waren am 17. Juli 2005 dem Aufruf nach Cuenca gefolgt: Gesundheitsaktivistinnen, VertreterInnen von NGOs und internationalen Netzwerken, Bäuerinnen und Bauern, Indigene, ÄrztInnen und Krankenschwestern, HeilerInnen, DenkerInnen und TräumerInnen. Sehr zahlreich waren EcuadorianerInnen und weitere LateinamerikanerInnen vertreten und prägten mit ihren bunten Kleidern, ihrer Musik und lautstarken Parolen das Bild und die Stimmung. Obgleich die TeilnehmerInnen, ihre Herkunft, ihr Erfahrungen und Bedürfnisse sehr verschieden waren, so hatten sie eine gemeinsame Vision: Gesundheit für alle ist ein Menschenrecht, das nicht angeeignet oder als Ware gehandelt werden kann. Es liegt auch in der Verantwortung des Staates, seinen BürgerInnen zu diesem Recht zu verhelfen.

Dem sehr positiven Auftakt vom Sonntag folgte eine ernüchternde Bestandesaufnahme. Sehr eindrücklich schilderte die Palästinenserin Joan Jubran, wie die von Israel errichtete Mauer ganze Dörfer von ihren Gesundheitseinrichtungen abgeschnitten hat und Menschen an den beschlossenen Toren verbluten lies. Der irakische Arzt Salam T. Ismael berichtete, wie die US-Armee die medizinische Infrastruktur zerstört hat und wie sie Ärzte an ihrer Arbeit hindert. Ein „Indigeno“ aus dem Norden Ecuador liess die Folgen des „Plan Colombia“ zur Zerstörung des Kokaanbaus mittels flächendeckendem Sprühen von Pestiziden sehr konkret werden: seine Familie und ganze Dörfer sind krank geworden, die natürliche Lebensgrundlagen zerstört und zahlreiche Menschen von ihrem angestammten Land vertrieben worden. Und der amerikanische Forscher Edward Hammond warnte vor den Versuchen in amerikanischen Labors, gentechnisch neuartige Pockenviren zu erzeugen, einsetzbar als biologische Waffen.

Ermutigende Beispiele aus dem Süden

Andere Zeugnisse berichteten von der Kraft der Leute, ihren kreativen Initiativen und Erfolgen, selbst unter widrigsten Umständen die primäre Gesundheitsversorgung sicherzustellen. Ein Gesundheitsarbeiter aus Chiapas, Mexiko, brachte uns nahe, wie Gesundheitsgruppen aufgebaut wurden, die selbst in diesem krisengeschüttelten Gebiet zumindest eine Basisversorgung gewährleisten können. Eine Aktivistin berichtete über Gesundheitsdienste in den Philippinnen, eine andere aus Venezuela, und ein Journalist über Entwicklungen in Ghana – ermutigende Beispiele, wie unter aktiver Partizipation der Bauerinnen und Bauern vor Ort die Prinzipien der primären Gesundheitsversorgung wirkungsvoll umgesetzt wurden.

Die Gesundheitsbasisbewegungen haben vor allem in Lateinamerika, Asien und Afrika an Kraft gewonnen. In Indien etwa hat die Bewegung mit kleinen, lokalen, Versammlungen begonnen, an denen Frauen, Indigene, Bäuerinnen und Bauern Zeugnis ablegten. Sie berichteten aus erster Hand, wie ihnen der Zugang zu Gesundheitseinrichtungen verwehrt worden war, mit drastischen Auswirkungen auf ihr Wohlergehen. Darauf aufbauend führte die Organisation lokale und regionale Tribunale, an denen die Schuldigen – zumeist staatliche Gremien - zu Gericht gezogen wurden. Durch die damit erzeugte Öffentlichkeit konnten auch tatsächliche Veränderungen erzielt werden. Die konkreten Menschen und ihr Schicksal wie auch die Möglichkeit der Veränderung schufen Betroffenheit und wirkten elektrisierend.

Konkrete Projekte zur Verbesserung des Wohlergehens der Leute und ihrer Gemeinschaften sind eines der Fundamente der Bewegung. Ebenso wichtig ist die Identifikation der Faktoren, die regional und weltweit zur Verschlechterung der Gesundheit ganze Bevölkerungsschichten und wachsenden Ungleichgewichten. Als die wichtigsten Faktoren für diese Entwicklungen identifizierte David Sanders aus Kapstadt die Globalisierung (Liberalisierung), „Reform“ der Gesundheitssysteme (Privatisierung) und HIV/Aids. Und hier ist auch das Engagement der TeilnehmerInnen aus dem Norden gefragt, wie zum Beispiel bei den TRIPs-Verhandlungen. „Denn“, so Dr. Gube aus Indien, „das unfaire Patentsysteme nimmt unter den Armen seine Opfer, insbesondere unter jenen, die mit dem HI-Virus infiziert oder davon betroffen sind“.

Hoffnungen und Erwartungen in die Zukunft

Die Konferenz gipfelte in der „Erklärung von Cuenca“, einer Abschlussdemonstration und einem öffentlichen Fest. Arturo Quizhpe, Koordinator der Konferenz, ist überzeugt, dass die PHA2 die Hoffnungen und Erwartungen erfüllt hat und dass wir mit dem neu erwachten Enthusiasmus dem Ziel einer gesünderen Welt für alle näher gerückt sind. Die „Erklärung von Cuenca“ setzt die Schwerpunkte für die nächsten Jahren. Dazu gehört, das Recht auf Gesundheit auch in der Ära ökonomischer Globalisierung durchzusetzen. Die Gesundheitsbewegungen (People’s Health Movement - PHM) anerkennen Interkulturalität und Vielfalt als grundlegendes Element eines fairen Gesundheitssystems, weshalb vermehrt das indigene Wissen der Leute einbezogen werden soll. Weitere Punkte sind der Schutz der natürlichen Umwelt, Gesundheit und Sicherheit der ArbeiterInnen in einer globalisierten Welt sowie die Verteidigung des Rechts auf Gesundheit in Krieg- und Krisensituationen. Damit einher geht, die Förderung umfassender Primärgesundheitsdienste und nachhaltige Gesundheitssysteme.

Auch in Cuenca und Ecuador hat die internationale Gesundheitskonferenz Spuren hinterlassen. Die TeilnehmerInnen der PHA2 waren von der Behörden und EinwohnerInnen Cuencas sehr gastfreundlich und zuvorkommend empfangen und von Presse und Radio prominent begleitet worden. Spontan entschlossen sich einige EinwohnerInnen, an den Versammlungen, Demonstrationen und öffentlichen Festen teilzunehmen. Es war ein freundschaftliches Nehmen und Geben: „Die PHA2 in Cuenca hat mich sehr motiviert, mich vermehrt für das Recht auf Gesundheit einzusetzen“, erzählte mir ein Dorflehrer aus der Sierra bei der Abschlussdemonstration.

Eine Gesundheitsbewegung auch in Europa ?

Während die Basisgesundheitsbewegungen in Lateinamerika, Asien und Afrika mit Energien strotzen tut sich die Bewegung in Europa und in Nordamerika etwas schwer. Doch beflügelt vom „wiederbelebten Geist“ von Alma Ata wollen sich die Organisationen besser vernetzen und sich vermehrt dafür einsetzen, dass auch in Europa der Zugang zur Gesundheit für alle verwirklicht wird. „Relais“ für die Schweiz ist Medicus Mundi Schweiz, das Netzwerk Gesundheit für alle, das durch zwei Personen in der sehr kleinen Schweizer Delegation vertreten war. MMS hat in seinem Manifest (Soziale Medizin Nr. 1/2005) Gesundheit für alle als ein realistisches Projekt bezeichnet. Auch wir haben in Cuenca die Kraft gespürt. Es geht dabei nicht etwa darum, etwas Neues zu erfinden, sondern darum, den Weg der primären Gesundheitsversorgung für alle aus der Perspektive der Leute konsequenter zu gehen. Gesundheit für alle ist ein weitergehender Kampf – „Hasta la victoria, siempre“.

Helena Zweifel ist Co-Geschäftsführerin, Thomas Vogel Vorstandsmitglied von Medicus Mundi Schweiz. Weitere Informationen zur PHA2: www.phmovement.org/pha2