Fast schon jede und jeder kann von einem Projekt in Afrika erzählen, das ein guter Bekannter, gut gemeint auf die Beine gestellt habe, aber an der afrikanischen Realität gescheitert sei. Wer für die Petition „Gemeinsam gegen Armut“ Unterschriften gesammelt hat, kennt diese immer gleichen Geschichten.


Und selbstverständlich gibt es auch in den Projekten der Entwicklungszusammenarbeit Ansätze, die sich als falsch herausgestellt haben und Projekte, bei welchen aufgrund einer falschen Lagebeurteilung, hunderttausende von Franken in den Sand gesetzt wurden. Es gibt Organisationen, die nicht sauber arbeiten – wie es ja auch Banken geben soll, die aufgrund einer aberwitzigen Risikobeurteilung 40 Milliarden abschreiben mussten.


Entwicklungszusammenarbeit ist ein kompliziertes Geschäft, das sich in einem Umfeld bewegt, in welchem soziale, wirtschaftliche, kulturelle und politische Kräfte auf den verschiedensten Ebenen einwirken. Gerade deshalb braucht es verschiedenste staatliche und nicht-staatliche Organisationen, die mit unterschiedlichen Philosophien, Instrumenten und Ansatzpunkten arbeiten.


Interessenpolitik: US-Militärs bringen Medizin


Natürlich geht es in der Entwicklungspolitik immer auch um Interessenpolitik. Das forsche Auftreten Chinas als Geldgeber in Ländern, in welchen der Rohstoffbedarf der aufsteigenden Macht gedeckt werden kann, macht dies überdeutlich. Doch auch die Militarisierung der Entwicklungshilfe belegt dies: Das Afrikakommando (africom) des US-Militärs beschäftigt sich etwa damit, Menschen in Djibouti medizinische und zahnärztliche Basisversorgung zu gewähren. Und in der Schweiz wird immer mal wieder die Verknüpfung von Rücknahmeabkommen mit entwicklungspolitischen Forderungen verknüpft.


Primary Health Care und die Deklaration von Alma Ata


Vor diesem Hintergrund ist es nicht erstaunlich, dass die Entwicklungspolitik aus dem Dornröschenschlaf einer breiten Akzeptanz geweckt und in die öffentliche Debatte gezogen wird. Die Geschichte der internationalen Gesundheitszusammenarbeit zeigt aber auch, dass in der Entwicklungspolitik der vergangenen 30 Jahre politische und wirtschaftliche Interessen, die Umsetzung eines umfassenden Ansatzes verhinderten.


Vom 6. bis 12. September 1978 fand in Alma-Ata (UdSSR) die internationale Konferenz über „Primary Health Care“ (PHC) statt. 134 Staaten unterzeichneten eine Deklaration, die ausgehend davon, dass es sich beim Recht auf Gesundheit um ein fundamentales Menschenrecht handelt, ein Konzept einer umfassenden Gesundheitsversorgung darlegte. Der Zugang zu Gesundheitseinrichtungen sollte allen Menschen sichergestellt sein. PHC definiert Gesundheit nicht als Abwesenheit von Krankheit, sondern wesentlich breiter als physisches, psychisches und soziales Wohlergehen des Menschen.


Das bestechende an dem in Alma Ata beschlossenen Ansatz besteht darin, dass Gesundheit nicht isoliert, sondern verschränkt mit sozialer und wirtschaftlicher Entwicklung betrachtet wird. Für Gesundheit braucht es eben auch gesundes Wasser und eine ausreichende Ernährung. Es braucht Menschen, die befähigt sind, an der Lösung von Gesundheitsproblemen mitzuarbeiten und vorhandene Ressourcen zu nutzen wissen. Und es braucht die Möglichkeit, dass die Gemeinschaften selbst an der Planung ihrer Gesundheitseinrichtungen mitarbeiten können.


Neoliberaler Wind


Weshalb ist vieles, das in der Deklaration von Alma Ata angelegt war, Papier geblieben? Vielleicht kam die Deklaration zum falschen Zeitpunkt. 1979 wurde Margaret Thatcher britische Premierministerin und ein Jahr später Ronald Reagan amerikanischer Präsident. Der politische Wind kehrte, ökonomische und neoliberale Ideen dominierten die Szene. Das Primary Health Care Konzept galt in diesen Kreisen als wenig effizient und effektiv. Angeführt von der Weltbank stellten sie dem ein Konzept gegenüber, in welchem sich internationale Gesundheitszusammenarbeit auf die Bekämpfung einiger ausgewählter Krankheiten konzentrieren sollte. Dieser selektive Ansatz (Selective Primary Health Care, SPHC) popagierte Krankheitsbekämpfungsprogramme die von Experten ohne Partizipation der betroffenen Menschen durchgeführt werden sollte.


In den 90er Jahren führten von der Weltbank verordnete Sparmassnahmen in afrikanischen Entwicklungsländern dazu, dass Privatisierungen auch im Gesundheitswesen vorangetrieben wurden. In einigen Ländern entstand ein freier Markt, der sich auf den Verkauf von Medikamenten konzentrierte. Qualität war hier nicht gefragt: Da viele Menschen keinen erschwinglichen Zugang mehr zu anderweitigen Gesundheitseinrichtungen mehr hatten, wurden Medikamente ohne medizinische Konsultation zum Teil auf der Strasse verkauft.


Mangel von medizinischem Personal


Wie präsentiert sich die Situation heute, sieben Jahre bevor die Milleniumsziele erreicht sein sollten, die eine Halbierung der Armut weltweit fordern? In der internationalen Gesundheitszusammenarbeit sind neue Akteure präsent. Im Sinne von Public-Private-Partnership Programmen engagieren sich grosse Stiftungen wie die Bill und Melinda Gates Foundation oder der Global Fund to Fight Aids, Malaria and Tuberculosis. Auch sie verfolgen im Grunde einen selektiven Einsatz.


Über diese verschiedenen globalen Initiativen werden grosse Summen staatlicher Entwicklungshilfe abgewickelt. Es besteht die Gefahr, dass sie den bestehenden Mangel an Fachleuten weiter verschärfen. Stephen Gillam schrieb kürzlich im British Medical Journal: „Global initiatives tackling priority diseases like AIDS, tuberculosis and malaria may undermine broader health services through duplication of effort, distortion of national health plans and budgets, and particularly through diversion of scarce trained staff. Holistic care is often neglected in favour of the technicalities of controlling disease. “


30 Jahre nach der Alma Ata Deklaration kann gesagt werden, dass die internationale Gesundheitszusammenarbeit einen anderen Weg gegangen ist, als ihn die unterzeichnenden Staaten eigentlich gewiesen haben. Die Interessen waren in diesen neoliberalen Jahren offenbar anders gelagert und vor allem mächtiger. Die heutige Kritik an der Entwicklungszusammenarbeit greift zu kurz. In der internationalen Gesundheitszusammenarbeit hat genau der Ansatz nicht funktioniert, der von jenen vertreten wird, die jetzt zu den lautesten Kritikern an der gesamten Entwicklungszusammenarbeit gehören.

*Martin Leschhorn Strebel ist Mitglied der Geschäftsleitung von Medicus Mundi Schweiz und betreut die Kolumne „Med in Switzerland“. Med in Switzerland

Quellen

From Alma Ata to the Global Fund: The History of International Health Policy. Prepared by the Italian Global Health Watch. In: Social Medicine, Volume 3, Number 1, 2008

Stephen Gillam: Ist he declaration of Alma Ata still relevant to primary health care? In: British Medical Journal, 2008, 336, pp 536-538