Mali - Eindrücke einer Reise

Sechs Kinder – keines überlebte

Von Silvia Schenker

Silvia Schenker, Präsidentin von IAMANEH Schweiz, reiste im November 2008 zusammen mit Viviane Fischer, Projektverantwortliche für Mali, in das westafrikanische Land, um einige Projekte, die von IAMANEH unterstützt werden, zu besuchen.

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Wir kamen in der Nacht in Bamako an. Obwohl es dunkel war, konnte ich entlang der Strasse vom Flughafen zum Hotel einiges erkennen. Es sprang ins Auge: hier leben die Menschen in grosser Armut. Die Hütten und die Verkaufsstände, an denen wir vorbeifuhren, sind äusserst bescheiden. Auf allem liegt eine mehr oder weniger dicke Schicht Staub oder Erde. Trotz der späten Stunde waren viele Leute unterwegs. Der grösste Teil der 12 Millionen Einwohner Malis lebt in der Hauptstadt Bamako und versucht hier, ein Auskommen zu finden.

Es fällt mir schwer, die Eindrücke meiner Reise in Worte zu fassen. Analphabetismus, Frauenunterdrückung, Krankheit und Tod begegneten uns auf Schritt und Tritt. Als ich in einer Gesundheitsstation einen Blick in die Gebärstation werfen durfte und sah, wo und unter welchen Bedingungen die Frauen ihre Kinder zur Welt bringen, konnte ich es kaum fassen. Als ich in die Augen der jungen Hausmädchen sah, welche mit ihren neugeborenen Kindern in einem Heim in Bamako Zuflucht fanden, zerriss es mir fast das Herz. Als ich der Animatorin zuhörte, wie sie über Beschneidungen informierte, war ich schockiert. Der Frau zuzuhören, die im Spital von Ségou ihre Geschichte erzählte und sich über die erfolgreiche Fisteloperation freute, hat mich tief berührt. Sie hatte sechs Kinder zur Welt gebracht. Keines überlebte.

Aufklärung und Information

Kadiatou Keita, die Projektkoordinatorin von IAMANEH in Mali führte mich zu einem Projekt in einem Aussenquartier von Bamako. Die gesundheitliche Situation der Menschen, die in Kalabancaro leben, ist prekär. Die hygienischen Verhältnisse sind katastrophal. Vor allem die Kinder leiden an verschiedenen Krankheiten wie Malaria, Durchfall und Mangelernährung. IAMANEH arbeitet jeweils mit lokalen Partnerorganisationen. In diesem Fall ist es die GAD (Group Action Development), welche für das Projekt verantwortlich ist. Animatorinnen und Animatoren versuchen mit einfachen Mitteln die Bevölkerung über den Zusammenhang zwischen ihrem Verhalten und den gesundheitlichen Problemen zu informieren. Mit Bildern zeigen sie, wie das Wasser, welches aus den Brunnen geschöpft wird, aufbewahrt werden soll. Das Wasser sollte möglichst sauber bleiben, damit es nicht zur Quelle der Ansteckung mit Krankheiten wird. Später verteilen sie Moskitonetze, mit denen sich die Menschen vor Malaria schützen können.

Ebenfalls um Aufklärung und Information geht es im zweiten Projekt, das wir in Bamako besuchen. Es gehört zur Tradition in Mali, dass junge Mädchen aus den Dörfern nach Bamako kommen, um hier als Hausmädchen zu arbeiten und so ihre Mitgift zu verdienen. Die Mädchen können meist weder lesen noch schreiben, noch wissen sie etwas über Sexualität und Familienplanung. Nicht selten werden die Mädchen Opfer sexueller Übergriffe. Werden sie schwanger, müssen sie die Familie, für die sie arbeiten, verlassen und sind plötzlich auf sich allein gestellt. IAMANEH bietet den jungen Müttern für eine kurze Zeit Unterschlupf und versucht gleichzeitig, diese und andere Hausmädchen zu schulen. Neben den elementaren Lese- und Schreibkenntnissen vermitteln die Betreuerinnen auch wichtige Informationen über Geschlechtskrankheiten und Verhütung. Die Mädchen besuchen zu diesem Zweck jeden Abend die entsprechenden Kurse. Es war eindrücklich zu sehen, wie motiviert sie trotz später Stunde das Gelernte zeigen.

Mamadou, unser Chauffeur, fuhr uns über eine erstaunlich gut ausgebaute Strasse nach Ségou, eine Stadt mit 100 000 Einwohnern und wie Bamako an den Ufern des Niger gelegen. Dort besuchten wir noch am gleichen Nachmittag eine Lektion in einer Schule. Wir wurden von ein paar Frauen begrüsst, welche sich auf Bänken, die vor dem einfachen Schulhaus standen, niedergelassen hatten. Mehr als 80 Kinder sassen im Klassenzimmer. Sie teilen sich jeweils zu dritt eine kleine Sitzbank und meist auch das Lesebuch. Ziel des Projektes, welches von der GAAS (Groupe d’Animation Action au Sahel-Mali) durchgeführt wird, ist die Förderung von Mädchen. In Mali gehen längst nicht alle Kinder zur Schule. Und Mädchen besuchen die Schule seltener und weniger lang als die Buben. Das führt dazu, dass der Analphabetismus bei Mädchen und Frauen noch stärker verbreitet ist als bei den Männern. Im Projekt werden die Familien motiviert, die Mädchen zur Schule zu schicken. Es bleibt jedoch nicht nur bei der Motivation, es wird auch mit materiellen Anreizen gearbeitet. So erhalten die betroffenen Mädchen zum Beispiel eine Schuluniform, Schuhe und eine Lampe, damit sie am Abend die Hausaufgaben machen können.

„Überzeugt Ihr Eure Mütter?“

Die Frauenbeschneidung ist in Mali sehr stark verbreitet. Etwa 97% der Frauen sind beschnitten. Hier will ein weiteres, von IAMANEH unterstütztes Projekt, eingreifen. Die Partnerorganisation SDI (Service de Développement Intégré) hat sich zum Ziel gesetzt, 16 Dörfer in der Umgebung von Ségou zu motivieren, die Tradition der Beschneidung aufzugeben. Den Frauen wird mit einfachen Bildern gezeigt, was bei einer Beschneidung geschieht und welche Folgen zu befürchten sind. Obwohl ich kein Wort von dem verstand, was die Frauen miteinander diskutierten, spürte ich ihr starkes Engagement. Eine der Fragen, die mich beschäftigten, konnte ich den Frauen stellen. Ich wollte wissen, ob es ihnen gelingt, auch ihre eigenen Mütter davon zu überzeugen, ihre Tochter beziehungsweise Enkelin nicht beschneiden zu lassen. Die Frauen räumten ein, dies sei tatsächlich schwierig.

Ähnlich tabuisiert wie das Thema Beschneidung ist ein gesundheitliches Problem, mit dem viele Frauen zu kämpfen haben. Als Folge einer schweren Geburt kommt es zur Bildung von Fisteln. Das Gewebe zwischen der Scheide und dem Enddarm oder der Blase ist zerrissen. Die Frauen können den Urin und den Stuhl nicht mehr halten. Als Folge davon gelten die Frauen als unrein und werden deshalb von ihren Männern verstossen. Hier kommt das letzte der von uns besuchten Projekte zum Tragen. Es trägt die Kosten für die Operation und die Verpflegung. Das Projekt startete als Selbsthilfeorganisation und wird jetzt von IAMANEH Mali geführt.

Nicht nur mit den Augen, sondern auch mit dem Herzen habe ich viele Bilder und Eindrücke aufgenommen. Ich bin froh, dass ich mich vor ein paar Monaten entschieden hatte, mich für IAMANEH Schweiz zu engagieren. Was IAMANEH in Mali machen kann, ist ein Tropfen auf einen heissen Stein. Der Tropfen ist aber für diejenigen, denen er zugute kommt, unglaublich wertvoll. Mit dieser Gewissheit bin ich aus Mali zurückgekehrt. Die Reise hat sich gelohnt.

*Silvia Schenker ist Nationalrätin und seit Juni 2008 Präsidentin von IAMANEH Schweiz. Westafrika ist neben dem Westbalkan eine Schwerpunktregion von IAMANEH, die sich speziell jungen Müttern in Entwicklungsländern widmet. In ihrem ausserparlamentarischen Leben ist Silvia Schenker Sozialarbeiterin und Mutter dreier erwachsener Kinder. Kontakt: silvia.schenker@parl.ch