Der Bericht zur aidsfocus.ch Fachtagung

Eine Zukunft ohne Aids

Von Helena Zweifel

Wie investieren wir unsere beschränkten Ressourcen am wirksamsten mit dem Ziel, eine Welt ohne Aids zu verwirklichen? Dies war eine der Kernfragen, die PartnerInnen von aidsfocus.ch mit Fachpersonen aus Nord und Süd und Interessierten an der Fachtagung von aidsfocus.ch am 11. April in Bern diskutierten.

Lesezeit 7 min.
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Eine Welt ohne Aids ist möglich. Davon ist aidsfocus.ch, die Fachplattform von schweizerischen Entwicklungsorganisationen zu HIV und Aids überzeugt. Wir haben die technischen Möglichkeiten, Aids zu beenden, nicht nur bei uns in der Schweiz sondern weltweit. Was vor zehn Jahren noch undenkbar schien – etwa die Zahl der HIV-Neuinfektionen zu senken und über acht Millionen HIV-positive Menschen weltweit mit antiretroviralen Medikamenten zu behandeln – wird heute erreicht. Jetzt gilt es, diese Chance zu nutzen und alle Kräfte zu mobilisieren, um die technischen Möglichkeiten auszuschöpfen und das realistische Ziel einer Welt ohne Aids zu verwirklichen. Die Frage ist: wie?

Strategisch investieren

„Um eine Welt ohne Aids zu verwirklichen müssen wir strategische Investitionen machen und uns auf jene Interventionen konzentrieren, die sich als wirkungsvoll erwiesen haben“, erklärte in Bern Marjorie Opuni von UNAIDS, der Aidsorganisation der Vereinten Nationen. Marjorie war Mitglied des internationalen Expertenteams mit VertreterInnen von UNAIDS, des Global Fund zur Bekämpfung von Aids, TB und Malaria, der Weltgesundheitsorganisation etc., welches unter der Leitung Bernard Schwartländer den “New investment framework for the Global HIV response” (2011) entwickelte.

Der Investment Framework fokussiert auf die wirksamsten Programmaktivitäten für Prävention und Behandlung: Prävention der HIV-Übertragung aufs Kind, Kondome, Fokussieren auf spezifische Bevölkerungsgruppen (SexarbeiterInnen, MSM, DrogennutzerInnen), Zugang aller zu medizinischer Behandlung, Pflege und Unterstützung, Verhaltensänderungsprogramme und die Beschneidung von Männern. Diese Programminterventionen müssen begleitet und unterstützt werden durch kritische Bedingungsfaktoren (‘critical enablers’), die diese Programmarbeit erst ermöglichen. Dazu gehören politisches Engagement, Advocacy, Bekämpfung von Stigma und die Mobilisierung von Gemeinschaften. Zwischen HIV-Programmen, kritischen Enablers und anderen Entwicklungssektoren wie Bildung, Rechtsreformen, Geschlechtergerechtigkeit, Armutsreduktion und Gesundheitssystemen sollen Synergien gebildet werden. Der Investment Framework  basiert auf einem Menschenrechtsansatz in der HIV-Antwort, der sicherstellt, dass er universell, gleichberechtigt und inklusiv ist und die Partizipation und Rechenschaft fördert. (vgl. dazu auch den Artikel „An investment framework for the global HIV response„ in diesem Bulletin).

Für eine Zukunft ohne Aids braucht es auch finanzielle Investitionen. Der Framework projiziert eine Erhöhung der Ausgaben für HIV und Aids bis ins Jahr 2015, gefolgt von sinkenden Ausgaben zwischen 2015 bis 2020. Durch gezielte finanzielle Investitionen jetzt kann eine hohe Zahl an Infektionen und Todesfällen verhindert werden. Erstmals ist ein Modell entwickelt worden, das ein vermindertes künftiges Engagement im Bereich von HIV-Programmen und Dienstleistungen zeigt, als Resultat von zielgerichteten Investitionen heute, um den Wendepunkt zu erreichen. Danach werden HIV-Investitionen und HIV-Raten sinken.

Jochen Ehmer, Leiter des internationalen Programms von SolidarMed und Mitglied der Steuergruppe von aidsfocus.ch bekräftigte die historische Chance, Aids zu kontrollieren und zurückzudrängen. Dazu müssen wir „in Strategien investieren, die wissenschaftlich abgesichert sind und den grössten Mehrwert bringen; und nicht in Strategien, die teilweise, etwas oder vielleicht wirken… Let science guide our efforts!“

Engagement von Gemeinschaften – ein kritischer Enabler

Der Framework führt ein sehr wichtiges Konzept ein, die „kritischen Enabler“. Zu den kritischen Enablern gehört die Mobilisierung und Einbezug der Gemeinschaft, ein Konzept, mit welchen sich viele PartnerInnen von aidsfocus.ch identifizieren, und dem in anderen Modellen bislang kaum die notwendige Anerkennung zugesprochen worden ist.

Die Beispiele von SüdpartnerInnen aus Simbabwe und Indien bezeugten die Relevanz der Beteiligung von Gemeinschaften und weiterer kritischer Enablers in einer erfolgreichen Aidsarbeit.

Simbabwe, ein Land, in dem 1,2 Millionen Menschen mit HIV leben, ist mit einer Prävalenzrate von 14,9% eines der am härtesten von der Aidsepidemie betroffenen Länder weltweit. Die simbabwische NGO BHASO (Batanai HIV/AIDS Service Organisation) investiert primär in Gemeinschaften und Menschen, die mit HIV leben. „Wir wollen, dass Leute, die mit HIV leben, an vorderster Front kämpfen, um mit HIV und Aids umzugehen und zu beenden, denn sie verstehen ihre eigene Situation und einander besser“, erklärte Farai Mahaso, Koordinator von BHASO. Für ein wirkungsvolles Engagement brauchen sie auch Kenntnisse und Fertigkeiten. Hier kommt BHASO ins Spiel, indem es HIV-positive Menschen mit den notwendigen Informationen ausstattet und darin unterstützt, ihre eigene Stimme zu erheben und gemeinsam für ihre Rechte und Anerkennung zu kämpfen als Teil der Gemeinschaft. BHASO fokussiert auf die Umsetzung von kostengünstigen Aktivitäten und die betroffenen Menschen übernehmen selbst Verantwortung. Simbabwe ist es gelungen, die Infektionsrate von 20-30% auf etwa 13,7% zu senken, und dies vor allem dank Verhaltensänderungen.

Auch in Indien, einem anderen Kontinent und Kontext, einem Land mit konzentrierter Epidemie und einer relativ niedrigen Prävalenzrate in der allgemeinen Bevölkerung, spielen Gemeinschaften eine ausschlaggebende Rolle im Engagement gegen Aids. Die südindische NGO Samraksha arbeitet eng mit Gemeinschaften zusammen – Gruppen von Frauen in der Sexarbeit, Männern, die Sex mit Männern haben, gefährdeten Jugendlichen und Menschen, die mit HIV leben – also Bevölkerungsgruppen, die besonderen Risiken einer HIV-Infektion ausgesetzt sind. Im Investment Framework werden sie als zentrale Zielgruppe für HIV-Interventionen bezeichnet.

Wie in Simbabwe unterstützt Samraksha in Indien betroffene Menschen und ihre Gemeinschaften in deren Strategien und stärkt sie im Selbstwert und Selbstvertrauen. „Die Motivation um „safer sex“ zu praktizieren und regelmässige Gesundheitschecks zu machen sind zentral für die Gesundheit von Frauen in der Sexarbeit“, erklärte Sanghamitra Iyengar, Direktorin von Samraksha: „Frauen müssen fühlen, dass ihre Gesundheit Priorität hat und dass der eigene Schutz an erster Stelle kommt. Dazu müssen Veränderungen von innen kommen und von aussen unterstützt werden.“ Samraksha arbeitet mit den Frauen zusammen an den Umfeldbedingungen, insbesondere der Entkriminalisierung der Sexarbeit, der Reduktion von Stigma und der Schaffung starker Unterstützungsnetze.

Die Erfahrungen von Samraksha mit Frauen im Sexgewerbe und von BHASO mit Menschen, die mit HIV leben, validieren die Bedeutung der kritischen Enabler und die Verknüpfung mit anderen Entwicklungsbereichen, wie vom Investment Framework vorgeschlagen.

Vernetzung und Zusammenarbeit

Im World Café im Rahmen der Fachtagung entbrannten lebhafte Diskussionen unter den Teilnehmenden zur Fokussierung: Was heisst smart investieren, mit den vorhandenen Ressourcen möglichst effektiv umgehen in Hinblick auf das Ziel, eine künftige Welt ohne Aids? Sollen wir, Partnerorganisationen von aidsfocus.ch, uns vermehrt auf medizinische HIV-Interventionen konzentrieren, deren Wirksamkeit wissenschaftlich erwiesen ist? Oder sollen wir auf die Kraft und Innovationsfähigkeit  von lokalen Gemeinschaften und Basisorganisationen setzen, um  Ergebnisse und wahrnehmbare Veränderungen vor Ort zu erzielen, die jedoch nicht mit „harten Daten“ belegbar sind?

Die Debatten brachten die Heterogenität der Partner von aidsfocus.ch und weiterer Schweizer Akteure auf den Tisch. Viele Organisationen sehen ihre Stärke in der Basisarbeit und auf gesellschaftlicher Ebene, andere haben besonderen Kompetenzen und Aufgaben in der Basisgesundheit und medizinischen Interventionen. Trotz unterschiedlicher Strategien und Prioritäten sind sich grundsätzlich alle einig, dass es „smarte“ Investitionen in der Aidsbekämpfung und zielgerichtete HIV-Interventionen, wie Behandlung und die Prävention der HIV-Übertragung aufs Kind (PMTCT), braucht, die aber unabdingbar mit den kritischen Enablern verknüpft sind. Die Erfahrung hat uns wiederholt gelehrt, dass es nicht reicht, antiretrovirale Medikamente anzubieten ohne dass die Betroffenen gut informiert und beraten und von der Gemeinschaft ganzheitlich unterstützt werden. So arbeitet BHASO erfolgreich mit den medizinisch ausgerichteten Organisationen SolidarMed und Médecins Sans Frontières (MSF) zusammen, sich gegenseitig ergänzend und unterstützend.

Noch sind wir nicht am Ziel

Die bislang erzielten Erfolge werden zunichte gemacht, wenn wir uns nicht jetzt mit voller Kraft für die Bekämpfung von HIV und Aids engagieren. Jochen Ehmer fordert daher, dass betroffene Staaten sich operationell und finanziell noch stärker engagieren müssen. Doch „ohne engen und fachkompetenten Dialog von Seiten der Geberländer scheint das nur schwer vorstellbar“, ergänzt er. Ausserdem sollten wir „bewährte und effektive Mechanismen zur Bündelung von Expertise und Funds (z.B. Global Fund) stärken und unterstützen“.

Die Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit (DEZA) ist eine globale Akteurin im HIV/AIDS-Bereich. Sie  investiert im Thema auf drei unterschiedlichen Ebenen. Gerhard Siegfried, Leiter der Abteilung Ost- und Südliches Afrika und des Themenbereichs Gesundheit bei der DEZA führt aus, dass die politische Ebene des Themas für einen staatlichen Akteur hohe Priorität hat. Die DEZA leistet durch ihre Politikarbeit Beiträge zur Verbesserung der globalen Gouvernanz, in der multilaterale, bilaterale und zivilgesellschaftliche Organisationen und Regierungen in unterschiedlichen Rollen zusammenarbeiten; dies geht über das Engagement bei UNAIDS und anderen multilateralen Organisationen hinaus. Eine zweite Ebene ist die Advocacy (Anwaltschafts-)-Rolle: hier geht es darum, dafür einzustehen, dass HIV und Aids auf der globalen Agenda eine wichtige Priorität auf der globalen Gesundheitsagenda bleibt. Dies geschieht mit unterschiedlichen Instrumenten, unter anderem die finanzielle Unterstützung von aidfocus.ch und der Finanzierung von, respektive die Teilnahme an internationalen Plattformen zu HIV und Aids. Eine dritte Ebene ist die Zusammenarbeit mit und Unterstützung von Partnerländern und Organisationen auf Programm-/Projektebene, wobei sich die DEZA auf zwei Subthemen fokussiert: Prävention und Kinder/Jugendliche als spezifische Zielgruppe. 

Die in der Fachplattform aidsfocus.ch organisierten Entwicklungsorganisationen werden sich weiterhin für eine Zukunft ohne Aids engagieren und ihre Kräfte vermehrt bündeln. Die Partnerorganisationen geben ihre Fachexpertise in den Austausch ein, auf dem die Sensibilisierungsarbeit und der entwicklungspolitische Dialog von aidsfocus.ch aufbauen. Die Arbeit mit Partnern vor Ort gibt ihnen die Möglichkeit, die Erfahrung, Kenntnisse und Interessen von betroffenen Gemeinschaften, Ländern und Regionen miteinzubringen. Sowohl die Unterstützungsgruppen von BHASO wie auch von Samraksha bringen sich, ihre Anliegen und Kenntnisse in die nationale Debatten und HIV-Politik ein und bilden Netzwerke national und international. Veranstaltungen wie die Fachtagung sind wichtige Orte, um miteinander und mit Südpartnern, multilateralen Organisation und weiteren Fachleuten das Wissen zu teilen, voneinander zu lernen, Kontakte zu knüpfen und Allianzen zu schmieden für die entwicklungspolitische Arbeit. Dazu gehört das Engagement für einen starken Global Fund zur Bekämpfung von Aids, Tuberkulose und Malaria und für einen der wirtschaftlichen Kraft der Schweiz angemessenes finanziellen Beitrag für den Global Fund, der seine Expertise und Wirksamkeit bewiesen hat und im Engagement für eine Welt ohne Aids ein tatkräftiger Partner ist.

*Helena Zweifel ist Koordinatorin der Fachplattform aidsfocus.ch und Geschäftsführerin des Netzwerkes Medicus Mundi Schweiz.