Towards an Aids-free Generation

Warum wir HIV anders und stärker bekämpfen sollten

Von Jochen Ehmer

Zum ersten Mal besteht die Chance HIV ein- und zurückdämmen zu können. Die Orientierung an sieben Handlungsleitlinien, die wissenschaftlich begründet und die Rechte der Menschen ernst nehmen, könnten eine Generation ohne Aids ermöglichen.

Lesezeit 6 min.

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Am 24ten September 2012 berichtet der ägyptische Virologe Mohamed Zaki im Internet von einem rätselhaften Todesfall: Ein 60 jähriger Mann ist an einer seltsamen Lungenentzündung gestorben. Im Gewebe wird ein Virus mit strahlenförmigen Ausläufern gefunden, ein Coronavirus. Weitere Fälle treten auf,  die Medien werden aufmerksam.

Bis zum 1. Juni 2013 sind 30 der 53 bekannten Patienten gestorben. Niemand weiss, wie sich die Krankheit weiter ausbreiten wird, WHO - Direktorin Chan bezeichnet die als MERS-CoV getaufte Krankheit als ihre „derzeit grösste Sorge“.

Der Beginn

Für Epidemien ist das ein typischer Beginn: Unbeachtet, unvorhergesehen, begrenzt. Dann anschwellend, Grenzen überschreitend. Meist stehen wir solch neuen Krankheiten hilflos und voller Angst gegenüber, ohne Impfstoff, ohne Behandlung.

So war es auch vor 30 Jahren: In Los Angeles erkranken fünf homosexuelle Männer an einer seltenen Lungenentzündung, zwei davon sterben. Am 5ten Juni 1981 beschreibt die Gesundheitsbehörde im monatlichen epidemiologischen Bulletin die Fälle. Wenige nur nehmen davon Kenntnis. Niemand hätte gedacht, dass dies der Beginn einer Tragödie sei, die bis heute mehr als 30 Millionen Menschen das Leben kosten würde.

Es ist heute schwer vorstellbar, wie hilflos man Aids damals gegenüberstand, die Krankheit war das sichere Todesurteil. Erst 1983 konnten Ursache und Übertragungsweg der als GRID (Gay Related Immuno Deficiency) bezeichneten Krankheit geklärt werden, die Grundlage zur Entwicklung von Tests und Medikamenten. Luc Montagnier erhielt dafür später den Nobelpreis. Erst im vierten Jahr der Epidemie (1985) konnte man einen Aids-Test machen. Ein Jahr danach kam mit AZT das erste Medikament auf den Markt, eine Brücke zum Leben und der Beginn einer neuen Ära. Doch es sollte noch Jahre dauern, bis die Medikamente als Kombinationsbehandlung besser wirkten. Aids hatte in diesen Jahren ein amerikanisches Gesicht, geprägt von Rock Hudson, Keith Haring oder Magic Johnson.

Aids in Afrika

Dann passierte etwas Unerwartetes: Die Epidemie schwappte nach Afrika, fegte über den Kontinent wie ein Tsunami, eine moderne Pest, traf Menschen und Länder unvorbereitet, wehrlos, mit voller Wucht. Landstriche und Generationen starben aus, ein Heer von Aidswaisen wuchs heran. Bis 1996 waren 15 Millionen Afrikaner infiziert, ohne Chance aufs Überleben. Zu den medizinischen, sozialen und kulturellen Dimensionen der Krankheit kam eine weitere hinzu: HIV wurde Entwicklungshemmnis der ärmsten Staaten der Welt.

Quelle: UNAIDS 2012                 

Diese aussergewöhnliche Tragödie wurde zum Ausgang einer der grössten Erfolgsgeschichten der Entwicklungszusammenarbeit. Die Staatengemeinschaft reagierte. 1996 wurde UNAIDS gegründet, 2002 der Global Fund, 2003 PEPFAR. Der Kampf gegen HIV wurde in die Millennium-Entwicklungsziele geschrieben, die zur Bekämpfung von Aids in armen Staaten bereitgestellten Mittel stiegen von 2 auf 17 Mrd USD an (2002; 2011). Was früher niemand auch nur zu träumen wagte, wurde Realität: Die Behandlung von HIV in Afrika war möglich. 2011 erhielten erstmals mehr als die Hälfte der Behandlungsbedürftigen in armen Ländern eine Behandlung. Die entspricht knapp einem Viertel aller 34 Millionen Infizierten weltweit.

Das Glas ist jetzt knapp halb voll.        

Quelle: UNAIDS 2012 

Forschung und neue Wege der Prävention

Gleichzeitig haben Fortschritte in Wissenschaft und Forschung unser Verständnis von Aids mehrmals auf den Kopf gestellt: Wir wissen nun, dass HIV vom Affen stammt und nicht aus einem US-Labor; dass die Krankheit in Afrika begonnen hat und von einem Retrovirus verursacht wird; dass HIV menschliche Abwehrzellen zerstört und mit einer Kombination unterschiedlicher Medikamente behandelt werden muss, von denen 26 zugelassen sind. Wir wissen, wo sich HIV im Körper versteckt und wie man diese Reservoirs leeren kann. Wir kennen Infektionsrisiken, Übertragungswege, epidemiologische Muster und Labormethoden. 

Erst dieses Wissen hat in den letzten Jahren die Entwicklung wirksamerer Strategien zur HIV Prävention ermöglicht: Mit Medikamenten und Kaiserschnitt beispielsweise kann heute das Risiko einer Mutter-Kind-Übertragung von bis zu 45% auf unter 2% pro Schwangerschaft reduziert werden. Die Behandlung mit antiretroviralen Medikamenten reduziert das Übertragungsrisiko bei Erwachsenen um 96%, die Beschneidung von Männern deren Infektionsrisiko um 60%. Und es gibt weitere Strategien: Kondome, Vaginalcremes, Präexpositionsprophylaxe, Postexpositions-prophylaxe, Beschränkung der Zahl von Sexualpartnern, Behandlung von genitalem Herpes, Aufklärung der Bevölkerung, Selbsthilfegruppen und viele mehr. 

Nicht jede dieser Strategien jedoch wirkt gleich gut. UNAIDS hat die Effektivsten deshalb in einem „Investment Framework“ zusammengestellt und ihre Bedingungsfaktoren („enablers“) benannt. Es besteht heute Konsens, dass „highly active combination prevention“ auf einer kontextspezifischen Kombination biomedizinischer und struktureller Massnahmen beruhen sollte, mit den Hauptpfeilern I) Behandlung mit antiretroviralen Medikamenten, II) Vorbeugung vertikaler Übertragung, III) Beschneidung von Männern, IV) Kondome, V) Fokussieren auf spezielle Zielgruppen, VI) Verhaltensveränderung.


Quelle: UNAIDS, 2011

Am Scheideweg

Gemeinsam eingesetzt wirken diese Strategien so gut, dass Experten von einer historischen Zäsur sprechen. Erstmals könnten wir die Epidemie nicht nur bekämpfen, sondern auch kontrollieren und zurückdrängen. Françoise Barre-Sinousi, die für die Entdeckung von HIV zusammen mit Luc Montagnier den Nobelpreis erhielt, sagte im März 2013: “Models indicate that if we achieve access to ART and the elimination of mother to child transmission together with ongoing prevention techniques - we could control the HIV epidemic by 2050.”

Doch während Fachleute aufgrund dieser historischen Chance mehr Engagement und Geld für HIV fordern, haben viele Entwicklungsakteure Mühe, dies gegenüber ihren Direktorien und Parlamenten zu begründen. Zu komplex und fachtechnisch das Thema, zu gross der Fokus auf neue globale Trends geographischer (BRICS), thematischer (Klimawandel) oder politischer (arabischer Frühling; MDG+) Art.

Einige Grundsätze

An welchen Leitlinien also könnten wir uns orientieren? Welche Grundsätze könnten einem verstärkten und doch veränderten Engagement zur Bekämpfung der HIV Pandemie zugrunde liegen? Womit könnten wir solch ein Engagement begründen? Hier einige Vorschläge:

a) Zum ersten Mal hat die Menschheit die historische Chance, HIV nicht nur zu bekämpfen, sondern auch zurückzudrängen und zu kontrollieren.

b) Dazu sollten wir in Strategien investieren, die wissenschaftlich abgesichert sind und den grössten Mehrwert bringen; und nicht in Strategien, die teilweise, etwas oder vielleicht wirken. Der Investment-Framework von UNAIDS hat sie aufgezeigt. Nur so können Ausgaben in Zeiten knapper Kassen begründet werden. Let science guide our efforts!

c) Die bisher erzielten Erfolge sind beeindruckend, doch fragil. Betroffene Staaten müssen sich operationell und finanziell noch stärker engagieren, und dazu gedrängt werden. Ohne engen und fachkompetenten Dialog von Seiten der Geberländer scheint das nur schwer vorstellbar. Die USA beispielsweise haben jetzt dazu ein Institut für Gesundheitsdiplomatie geschaffen. Bewährte und effektive Mechanismen zur Bündelung von Expertise und Funds (z.B. Global Fund) sollten wir deshalb stärken und unterstützen.

d) Angepasste Labortests und erschwingliche Medikamente wurden nur möglich durch intelligente Koalitionen zwischen Staaten, Stiftungen, Universitäten und Zivilgesellschaft, begleitet von kontinuierlichem Lobbying durch Patientengruppen. In der fragmentierten globalen Gesundheitslandschaft kann HIV nur gemeinsam eindämmt werden, in Zusammenarbeit und Arbeitsteilung.

e) Investitionen im Bereich HIV schaffen Wohlstand, auch bei uns. Durch Förderung von Forschung, Privatwirtschaft und NGOs entsteht ein „return on investment“ mit Mehrwert für den Wissens- und Innovationsstandort Schweiz oder Europa. Jeder jetzt zusätzlich investierte Rappen erspart  ausserdem zukünftigen Generationen höhere Ausgaben, denn: Während wir erstmals die Epidemie eindämmen können, wird sie dann weiter anschwellen, wenn wir unsere Anstrengungen nicht verstärken. „Buisness as usual“ wird die Zahl der HIV-Infizierten bis 2050 verdoppeln.

f) Die Globalisierung birgt ein erhöhtes Risiko neu aufkommender Erkrankungen, vor allem aus Zentralafrika oder Südostasien. Erreger gehen vom Tier auf den Menschen über, verändern sich und werden infektiös. Globale Risiken halten sich nicht an Ländergrenzen. MERS-CoV und H7N9 sind dafür Beispiele. Starke und effektive Referenzlaboratorien, Gesundheitsinformationssysteme oder Qualitätskontrollen vor Ort sind im Interesse unserer Sicherheit in der Schweiz und in Europa. Dazu zählt auch gut ausgebildetes und motiviertes Gesundheitspersonal. Investitionen im Bereich HIV tragen zu all dem massgeblich bei.

g) Stabilität, Sicherheit und Wohlstand kann es nur dann nachhaltig geben, wenn eine Gesellschaftsordnung auf Gerechtigkeit und Freiheit gründet. Freiheit als Entwicklungspotential ist ohne Gesundheit nicht vorstellbar. Doch gemäss der Global Burden of Disease - Studie ist HIV noch immer einer der Hauptgründe für Krankheit und Tod, vor allem in Afrika. Investitionen in diesen Bereich sind also Investitionen in zunehmende Freiheit und damit in unserem eigenen Interesse.

Die USA haben die aussergewöhnliche,  historische und erstmalige Chance einer möglichen Eindämmung von HIV erkannt und ihre Gesundheitsaussenpolitik daran ausgerichtet. Am 29ten November 2012 sagte Aussenministerin Hillary Clinton:

„Scientific advances and their successful implementation have brought the world to a tipping point in the fight against AIDS. The United States believes that by making smart investments based on sound science and shared global responsibility, we can save millions of lives and achieve an AIDS - free generation.“ Barack Obama hat dies im Juni 2013 in seiner Rede vorm Brandenburger Tor bekräftigt.

Von diesen Worten sollten wir uns inspirieren und ermutigen lassen.

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