Editorial

Altern als Chance und Herausforderung für die internationale Zusammenarbeit

Von Martina Staenke

Glücklich und gesund im Alter? Ist es nur eine Utopie oder nimmt die Lebenszufriedenheit im Alter tatsächlich zu? Glaubt man den verschiedenen Studien zur Glücksforschung der vergangenen Jahre, so widerlegen diese die weitverbreitete Vorstellung, dass das Alter vor allem mit Unglücklichsein und einem negativen Selbstwertgefühl einhergeht.

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Altern als Chance und Herausforderung für die internationale Zusammenarbeit

Gebrechliche alte Frau wird von katholischer Ordensschwester in einem Altersheim gepflegt Sansibar, Tansania. (Photo: Peter van Eeuwijk/Universität Basel)


Demgegenüber steht die Feststellung der Weltgesundheitsorganisation (WHO), dass das Alter häufig mit einer Zunahme von Krankheiten einhergehe. Das längere Leben ist gekennzeichnet durch chronische und nicht heilbare Erkrankungen (Multimorbidität) und die gewonnen Lebensjahre bedeuten für immer mehr Ältere eine längere Leidenszeit, einhergehend mit zunehmender Alterdiskriminierung. Das Gefühl nicht mehr respektiert zu werden und anderen eine Last zu sein, könne bei älteren Menschen zu Depressionen und Einsamkeit und zu einer Verkürzung der Lebenszeit um 7,5 Jahre führen, so die Weltgesundheitsorganisation. Umgekehrt, so zeigt die Forschung, führen negative Altersvorstellungen zu selbst verschuldeter Unmündigkeit und einem Verlust an Denkfähigkeit schon im frühen Alter.

Fakt ist, dass ganze Völker in einem nie gekannten Ausmass altern und die Lebenserwartung weltweit ansteigt. Diese an sich positive Nachricht stellt die Politik nicht nur bei uns vor grosse Herausforderungen. Dieser Prozess wird auf unabsehbare Zeit anhalten – Schätzungen zufolge werden bereits bis zum Jahr 2050 ca. 2 Milliarden Menschen das Rentenalter erreicht haben.

Die Studien über die „glücklichen Alten“ spiegeln vorrangig das Lebensgefühl von älteren Menschen in den wohlhabenden Industrieländern, die über ökonomische Ressourcen, intakte soziale Netzwerke und über körperliche und psychische Gesundheit verfügen. Das Problem ist nur, für viele kann von solch einem erfüllten Leben nicht die Rede sein. Hunderte Millionen alte Menschen werden bis an ihr Lebensende arbeiten müssen, weil es eine Alters- oder Gesundheitsversorgung ausgerechnet in den Ländern, in denen der Alterungsprozess am schnellsten voranschreitet, nicht oder nur höchst unzureichend gibt: in den meisten Entwicklungsländern (siehe Beiträge Peter van Eeuwijk und Stefan Hofmann). Traditionelle Unterstützungsnetzwerke sind ein Relikt aus der Vergangenheit, Pflegeaktivitäten durch Familienangehörige werden nur widerwillig erbracht und ohne staatliche Wohlfahrtseinrichtungen fragen sich viele alte Menschen: „Wer pflegt mich denn noch?“ (siehe Beitrag Peter van Eeuwijk)

Paradigmenwechsel

Die Weltgesundheitsorganisation will das weltweite Ungleichgewicht und die Vernachlässigung von älteren Menschen in der gesundheitlichen Versorgung ändern und hat in ihrem ersten World Report on Ageing and Health (2015) einen Paradigmenwechsel in der Gesundheitspolitik eingeläutet. Der Bericht beinhaltet eine Neudefinition von „gesundem aktivem Altern“ und unterstreicht, dass vor allem in drei gesellschaftliche Bereiche erheblich investiert werden muss, um den alternden Gesellschaften neue Perspektiven zu eröffnen und den Blick auf alte Menschen fundamental zu ändern (siehe Beitrag von Diane Wu):

  1. Die Gesellschaften müssen altenfreundlicher werden und älteren Menschen die volle Teilhabe am sozialen und kulturellen Leben ermöglichen.
  2. Die Gesundheitssysteme müssen ihren Fokus ändern: Nicht mehr die Behandlung einzelner akuter Erkrankungen soll im Vordergrund stehen, sondern die Behandlung chronischer Krankheiten mit ihrer (lebens-)langandauernden und komplexen Therapie.
  3. Zentral ist die Forderung nach der Integration von Langzeitpflegesystemen in die Gesundheitssysteme, mit dem Ziel, auch bei Pflegebedürftigkeit die Selbständigkeit möglichst lange zu erhalten.

Neu an der Strategie der WHO ist, dass nicht mehr die Abwesenheit von Krankheit als oberstes Ziel angesehen wird, sondern vielmehr die Verbesserung der Lebensqualität. Im Mittelpunkt steht ein Gesundheitsverständnis, welches die Aufrechterhaltung und Stabilisierung der funktionalen Fähigkeiten und des Wohlbefindens verfolgt. PatientInnen sollen trotz vorhandener Krankheiten neu befähigt und unterstützt werden, ihre Kompetenzen und Ressourcen so zu nutzen, dass ihre Lebensqualität weitgehend erhalten bleibt und sie in der Lage sind, ein selbstbestimmtes Leben zu führen.

Aus Sicht der vor Ort tätigen NGOs wird deutlich, dass der globale Süden von solch einem Verständnis oder gar Paradigmenwechsel noch weit entfernt ist. Die gesundheitliche und pflegerische Versorgung alter Menschen steckt noch in den Kinderschuhen (siehe Beiträge Piet van Eeuwijk, SolidarMed, Help Age Deutschland) und gleicht in humanitären Krisen einem Desaster (siehe Beitrag HelpAge International, HelpAge Deutschland).

Auch Prävention und Gesundheitsförderung bzw. „gesundes, aktives Altern“ wie es die WHO in ihrer Lebenslauf–Perspektive propagiert, bleiben vorerst Utopie. Piet van Eeuwijk stellt die Frage: „Kann sich eine islamische Grossmutter im öffentlichen Raum körperlich betätigen, indem sie etwa frühmorgens joggen geht?“ (siehe Beitrag Peter van Eeuwijk)  

Und müssen wir uns nicht auch fragen, inwieweit die Vorgaben der WHO von einem westlichen Kulturverständnis geprägt sind und inwieweit sie mit dem kulturellen Verständnis der Menschen im globalen Süden über ein Leben im Alter übereinstimmen? Denn „wie das eigene Alter empfunden und der Umgang mit dem Alter gestaltet wird, ist besonders durch soziale und kulturelle Prozesse bestimmt“, wie der Beitrag von Stefanie Becker betont. 

Weitgehend einig sind sich die Forscher in einem Punkt: Vielversprechend sind Ansätze, die die ältere Bevölkerung in die gesundheitliche und pflegerische Versorgung miteinbeziehen und befähigen, aktiv an der Lösung ihrer Probleme mitzuarbeiten. „Community Empowerment“ oder „working WITH beneficiares instead FOR them“ (Beitrag Swiss Red Cross) sind favorisierte Ansätze und entsprechende Projekte zeigen erste Erfolge (Swiss Red Cross, Swiss TPH). Weitere Forschung in diesem Bereich ist jedoch dringend notwendig, denn offen bleibt nicht nur die Frage, inwieweit eingesetztes nichtmedizinisches Personal in der Lage ist, entsprechende Behandlungskonzepte umzusetzen (siehe Beitrag SolidarMed).

Die WHO Strategie und ihr Aktionsplan zu Gesundheit und Alter verlangt von allen Mitgliedstaaten angemessene Lebenswelten und Gesundheits- und Pflegesysteme für die älter werdende Bevölkerung aufzubauen. Auch soll das Alter nicht nur als Herausforderung, sondern auch als eine Chance gesehen werden, unsere Leitbilder zu überdenken und die Stärken des Alters als ein Potential für das Gemeinwohl zu begreifen.

Gleichwohl darf nicht ausser Acht gelassen werden, dass die Divergenz in der Lebenssituation alter Menschen häufig in direkter Korrelation, zu den sozialen, wirtschaftlichen und politischen Bedingungen steht, in denen sie leben. Armutsbekämpfung und die Bereitstellung von Sicherungssystemen, wie die Auszahlung monatlicher Renten ist essentiell, um ein Altern in Würde zu ermöglichen (siehe Beitrag Stefan Hofmann).

Martina Staenke
Martina Staenke
Mitarbeiterin Kommunikation Medicus Mundi Schweiz,