Perspektiven schaffen für ein Leben in Würde.

Auszüge aus den Grundsätzen der DEZA im Engagement gegen die Armut

Die vorliegenden Armutsgrundsätze kondensieren das Wesentliche der auf jahrelanger Erfahrung beruhenden Orientierungen, Strategien und Ansätze des bilateralen und multilateralen Engagements der schweizerischen Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit (DEZA) in den Partnerländern des Südens und des Ostens.

Lesezeit 5 min.

In der Realität der Arbeit zugunsten der Benachteiligten und Diskriminierten stossen wir oft auf Widersprüche und an Grenzen. Wir können nicht in jeder Situation allen Grundsätzen gleichzeitig und gleichgewichtig nachleben. Entscheidend ist, dass wir uns der Widersprüche und Zwänge, aber auch unserer bescheidenen Einfluss- und Wirkungsmöglichkeiten bewusst sind. Die Armutsgrundsätze helfen, allzu schnellen pragmatischen Kompromissen vorzubeugen und die Vision und die Ziele unserer Arbeit nicht aus den Augen zu verlieren.

Die Vision

Die Millenniums-Deklaration und die Millenniums-Entwicklungsziele bekräftigen das Grundrecht aller Menschen, am ökonomischen, sozialen und politischen Prozess ihrer Gesellschaft teilzunehmen. Es ist das Recht, die Gesellschaft frei, aktiv und wirksam mitzugestalten und mitzubestimmen und an den Früchten der Entwicklung teilzuhaben.

Die DEZA teilt diese Sichtweise. Unsere Vision ist die einer Welt, in der alle Menschen in Wohlergehen, Frieden, Freiheit und Sicherheit leben und in der auch künftige Generationen über ausreichende Ressourcen für ihre Entwicklung verfügen. Der gesellschaftliche Entwicklungsprozess beruht auf einem tragfähigen Produktions- und Konsumverhalten und auf einer gerechten Verteilung von materiellen Gütern und Ressourcen, von Lebenschancen, Wissen, Wahlmöglichkeiten – und von Macht.

Das Engagement für die Benachteiligten und ihr Empowerment hat eine politische Dimension. Es stellt Entwicklungsmodelle, Interessen und Machtverhältnisse in Frage, die Ungerechtigkeit und Armut verursachen und die Lebensgrundlagen zerstören. Wenn wir uns zusammen mit den Armen für eine Veränderung dieser Verhältnisse engagieren, so nehmen wir unvermeidlich Konflikte in Kauf, latente Konflikte werden sichtbar oder brechen auf. Die Armutsgrundsätze verpflichten uns, Spielräume, Mechanismen und Fähigkeiten für friedliche Lösungen von Konflikten zu unterstützen. Gleichzeitig trägt unser Engagement für die Verwirklichung einer gerechten Entwicklung dazu bei, Konfliktpotenzial in der Gesellschaft abzubauen.

Das gemeinsame Verständnis

Armut bedeutet Diskriminierung, Behinderung und Ausschluss

  • in der Befriedigung der grundlegenden Lebensbedürfnisse,
  • in der Nutzung und Entfaltung der eigenen immateriellen und materiellen Potenziale, Fähigkeiten und Kreativität,
  • in der Wahrnehmung von Chancen und Wahlmöglichkeiten zur Gestaltung eines erfüllten, würdigen Lebens,
  • in der Entwicklung von Perspektiven,
  • in der Mitgestaltung und Mitentscheidung des sozialen, politischen und wirtschaftlichen Wandlungsprozesses

Wohlergehen heisst

  • den Lebensunterhalt unter würdigen Bedingungen selbst sichern und vom Ertrag der eigenen Arbeit leben zu können,
  • ein gleichberechtigtes und verantwortliches Mitglied im sozialen, politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Leben der Gesellschaft zu sein,
  • gleichberechtigten Zugang zu haben zu Ressourcen, Informationen, Dienstleistungen, Institutionen und Entscheidungsstrukturen,
  • geschützt zu sein vor Gewalt und Willkür,
  • auf Hilfe, Sicherungsnetze und Solidarität bauen zu können im Fall von Krisen und Katastrophen,
  • für sich und die nachfolgenden Generationen Zukunftsperspektiven zu haben

Armut bekämpfen bedeutet

  • die Benachteiligten ermächtigen und befähigen, Disparitäten abzubauen und Verarmungsprozesse aufzuhalten,
  • auf den Fähigkeiten, Erfahrungen und Potenzialen der Benachteiligten aufbauen,
  • Prioritäten zugunsten der Armen und Benachteiligten setzen und dabei ihre Sichtweisen wahrnehmen und ihre Prioritäten respektieren,
  • Organisationen im Interesse der Armen stärken,
  • auf allen Ebenen, der nationalen und auch der multilateralen, an der Veränderung der Strukturen und Rahmenbedingungen arbeiten, die zu Benachteiligung, Verarmung und Ausschluss von Individuen und gesellschaftlichen Gruppen führen,
  • sich für wirksame armutsmindernde Politiken (PRSP) einsetzen,
  • anwaltschaftlich wirken in der Verteidigung der Rechte der Armen und in der Anklage gegen Machtmissbrauch,
  • uns den Konflikten stellen, welche sich aus der Parteinahme für die Armen und Benachteiligten ergeben, und sie mit friedlichen Mitteln im Interesse der Benachteiligten austragen helfen,
  • Katastrophen, Krisen und Konflikte auch als Chance für Aufbruch und Neugestaltung der Spielräume nutzen.

Was wir tun und wo wir ansetzen

Ursachenbekämpfung: Die DEZA unterstützt die Veränderung von strukturellen Ursachen und Rahmenbedingungen, welche Verarmung und chronische Armut, Abhängigkeit, Ungerechtigkeit und Ausschluss hervorbringen oder andauern lassen. Dabei orientieren sich die DEZA-Aktivitäten an den Millennium-Entwicklungszielen. Im Interesse von Nachhaltigkeit und grösstmöglicher Wirkung der beschränkten Mittel setzt die DEZA Schwerpunkte innerhalb der Ziele und gibt den qualitativen Aspekten der Zielerreichung grosses Gewicht: dem Abbau von Disparitäten, der aktiven Rolle der Betroffenen und der sozialen und ökologischen Qualität des Prozesses.

Engagement auf allen Ebenen: Die DEZA engagiert sich auf der lokalen, nationalen und multilateralen Ebene. Sie bekämpft die Armut einerseits durch Empowerment der Menschen, damit sie selbst ihre Lebensumstände verbessern können, Einfluss gewinnen auf Institutionen und Entscheidungen, ihre Rechte wahrnehmen und Strukturen und Rahmenbedingungen verändern können. Andererseits wirkt die DEZA «von aussen» auf die Verbesserung der nationalen und internationalen Rahmenbedingungen und Institutionen ein. Sie führt einen engagierten Politikdialog mit den Regierungen der Partnerländer und im internationalen und multilateralen Zusammenhang.

Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit: Die DEZA stärkt sowohl zivilgesellschaftliche Gruppierungen und Organisationen als auch staatliche Stellen, welche zur Förderung der Menschenrechte und der Rechtsstaatlichkeit beitragen. Gute Regierungsführung und Rechtsstaatlichkeit bedingen sich gegenseitig. Die DEZA fordert und fördert dies auf allen Ebenen. Das Engagement der DEZA basiert auf dem Recht jedes Einzelnen auf Entwicklung und impliziert die Befähigung der Akteure der Zivilgesellschaft, staatliche Stellen und Institutionen in der korrekten Erfüllung ihres Auftrages zu überwachen.

Koordination und Kohärenz: Die DEZA fördert die Absprache ihrer Arbeit mit den anderen schweizerischen, internationalen und multilateralen Akteuren zugunsten und im Interesse der Armen. Sie achtet auf die Kohärenz ihres Engagements zugunsten der Benachteiligten auf allen Ebenen. Die DEZA macht auch Widersprüche und gegenläufige Politikansätze in der Zusammenarbeit mit anderen Bundesämtern, bilateralen Gebern und multilateralen Institutionen transparent und setzt sich für grösstmögliche Kohärenz ein.

Strategien zur Armutsreduktion (Poverty Reduction Strategies – PRS): Die DEZA stimmt ihr Engagement gegen die Armut ab mit kohärenten nationalen PRS-Prozessen oder anderen armutsorientierten Programmen und Strategien. Sie fördert die Aneignung und Führung dieser Prozesse durch die betreffenden Regierungen und die Zivilgesellschaft. Priorität hat die aktive Partizipation der Zivilgesellschaft, sowohl in der Definition der Entwicklungsziele und der Erarbeitung der nationalen Strategien und Programme, als auch bei deren Umsetzung.

Systemisch denken und selektiv handeln

Armut hat viele Ursachen und Erscheinungsformen, die sich gegenseitig bedingen und verstärken. Armut bekämpfen heisst ganzheitlich ansetzen, in dieses komplexe System eingreifen und seine Wirkungsweise zugunsten der Benachteiligten verändern. Dazu müssen wir die Situation der Menschen in ihrem Kontext gesamtheitlich wahrnehmen, erfassen und verstehen. Wir denken systemisch und handeln selektiv: Wir beziehen alle Ebenen in die Analyse der Armutssituation und der Ressourcen, Fähigkeiten und Potenziale der Betroffenen mit ein. In der konkreten Intervention setzen wir selektiv und sektoriell an. Dabei nutzen wir unsere beschränkten Mittel so, dass wir grösstmögliche Synergien zugunsten der Armen erzielen.

Verpflichtung und Verantwortung

Das Engagement zugunsten der Armen und Benachteiligten und die «Linderung von Not und Armut in der Welt» ist gesetzliche Verpflichtung und eines der fünf aussenpolitischen Ziele der Schweiz. Dieses Engagement ist verbindlicher Teil der Arbeitsethik in der DEZA. Die Armutsgrundsätze reflektieren die gemeinsamen Werte unserer Arbeit. Alle Mitarbeitenden sind verantwortlich für die Planung und Umsetzung von Aktivitäten, Projekten, Programmen, Interventionen und Initiativen zur Armutsbekämpfung auf der Grundlage dieser Werte. Auf der politischen Ebene trägt die Direktion die Verantwortung, diese Grundsätze im schweizerischen Kontext, in den bilateralen, internationalen und multilateralen Organisationen und Initiativen zu vertreten.

Auszug aus: Perspektiven schaffen für ein Leben in Würde. Grundsätze der DEZA im Engagement gegen die Armut (März 2004). Bestellungen: DEZA-Verteilzentrum, Telefon 031 322 44 12, Fax 031 324 13 48, www.deza.admin.ch (Services/Publikationen); info@deza.admin.ch. Erhältlich in Deutsch, Französisch, Italienisch, Englisch, Spanisch, Russisch. Download von: www.deza.admin.ch/index.php?navID=2809.

Das Referat von Barbara del Pozo (DEZA) zum Thema „Armutsbekämpfung und Gesundheit in der staatlichen Entwicklungszusammenarbeit: Beim Huhn oder beim Ei beginnen?“ am Symposium vom 3. November 2004 ist auf der MMS-Website dokumentiert (Outline und Powerpoint-Präsentation): www.medicusmundi.ch/symposium2004/Dokumentation.htm