Editorial

Kann „Gesundheit für alle“ von unten her aufgebaut werden?

Von Thomas Schwarz

Lesezeit 2 min.

Gesundheitsförderung ist ein Prozess, um Individuen
und Gruppen zu befähigen, ihre Kontrolle über die
Determinanten der Gesundheit zu erhöhen und
dadurch ihre Gesundheit zu verbessern.
(Ottawa-Charta zur Gesundheitsförderung, 1986)


„Für Deine Gesundheit bist Du zunächst einmal selbst verantwortlich.“ - Dieser Leitsatz der Gesundheitsförderung wird auch für Gruppen von Menschen allzu oft mutwillig falsch interpretiert und missbraucht. Wenn sich ein Staat aus seiner Verantwortung für die Wohlfahrt der Bevölkerung stiehlt, kann er sich heutzutage auf viele gängige Slogans stützen: Dezentralisierung, Subsidiarität, „Entwicklung von unten“ - oder eben Community Development: „Die Leute wissen am besten, was sie brauchen, also lassen wir sie ruhig machen…“. - Doch hat der Überlebenskampf einer sich selbst überlassenen Gruppe, einer kleinen Gemeinschaft, so engagiert und erfolgreich er oft auch geführt wird, meist wenig mit Entwicklung und mit nachhaltiger Verbesserung der Lebensumstände zu tun.

Wir waren dem eigentlich verführerisch klingenden Motto der „Community Action for Health“ gegenüber zunächst einmal skeptisch eingestellt. Und wir haben deshalb am Anfang unserer Vorbereitung des Symposiums „Gemeinsam für Gesundheit“ vom 9. November 2005 in Basel einige kritische Fragen formuliert: Kann „Gesundheit für alle“ überhaupt von unten her aufgebaut werden? Was können Basisgesundheitsinitiativen, die in einer Gemeinschaft oder Gemeinde verwurzelt sind, aus eigener Kraft erreichen – und wo liegen ihre Grenzen? Wie lässt sich „Gesundheit von unten“ sinnvoll mit nationaler Planung und internationalen Initiativen verbinden?

Am Symposium zeigten Beispiele aus der Arbeit schweizerischer Organisationen und ihrer Partner, dass „Community Action for Health“ durchaus möglich ist: Gemeinschaften - soziale Gruppierungen von Menschen mit gemeinsamen Interessen oder einer gemeinsamen Identität – können im Gesundheitssystem eine wichtige Rolle spielen. Doch wurde in den Beiträgen des Symposiums keine heile Welt vorgespiegelt. Die Anstrengungen einer Gruppe, einer Gemeinschaft, ihre Lebensumstände und ihre Gesundheit zu verbessern, funktionieren nur richtig als Teil eines gesellschaftlichen und politischen Systems, in welchem sich die Akteure auf allen Ebenen dafür engagieren, eine für alle Menschen zugängliche Gesundheitsversorgung zu gewährleisten. „Gemeinsam für Gesundheit“ darf nicht an der Grenze der Gemeinschaft aufhören.

Auch dieses Jahr bot das Symposium des Netzwerks Medicus Mundi Schweiz den Organisationen der internationalen Gesundheitszusammenarbeit einige anschauliche und bewegende Geschichten, die nicht nur den Kopf ansprachen – wie etwa der Filmbeitrag aus dem Amazonasbecken in Ecuador, die Lesung aus dem Buch „The Community is my University“ aus Südafrika oder das Gespräch zwischen dem Gast aus Kamerun und dem schweizerischen Arzt. Und es brachte eine Erkenntnis, die sowohl in der Schweiz wie in Ländern des Südens gleichermassen gültig ist: Zusammenarbeit und Partnerschaft zwischen den verschiedenen Akteuren eines Gesundheitssystems, zwischen Gemeinschaften und Basisgruppen, Gesundheitsorganisationen und dem Staat oder einer Hilfsorganisation, benötigen nicht nur ein gegenseitiges Interesse, sondern auch klare Regeln und Rahmenbedingungen.

Thomas Schwarz
Co-Geschäftsführer von Medicus Mundi Schweiz

Symposiumsreader und Sammlung von Projektskizzen: Die vorliegende Ausgabe des Bulletins von Medicus Mundi Schweiz ist einerseits der Tagungsreader zum Symposium vom 9. November 2005 und beinhaltet die wichtigsten Referate. Daneben werden in standardisierten Kurzporträts einige weitere Projekte schweizerischer Organisationen im Bereich der Community Health vorgestellt. Diese Sammlung wird fortgesetzt und kann in der Internetausgabe eingesehen werden, ebenso wie diejenigen Porträts, die in der gedruckten Bulletinausgabe keinen Platz gefunden haben.

Danke! Das Symposium „Community Action for Health“ vom 9. November 2005 wurde durch die Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit DEZA inhaltlich und finanziell mit namhaften Beiträgen unterstützt. Wir danken ebenfalls dem Regierungsrat des Kantons Basel-Stadt für einen grosszügigen Beitrag aus dem Fonds für Entwicklungshilfe sowie den Mitgliedern und Partnern unseres Netzwerks für ihre wertvollen Inputs.