Symposium “Gemeinsam für Gesundheit”: Mali

Eigenverantwortung aufbauen – utopisch oder möglich?

Von Alexander Schulze

Gemeinschaftliche Initiativen müssen lokal verankert sein, damit sie eine Chance auf Nachhaltigkeit haben. Kann aber in „von aussen“ initiierten oder geförderten Programmen überhaupt „ownership“ auf Seiten der Gemeinschaft entstehen? Erfahrungen aus einem gemeindebasierten Gesundheitsprojekt in Cinzana, Mali.

Lesezeit 11 min.

Bei gemeindebasierten Initiativen – ob im Bereich Bildung, Umwelt oder Gesundheit – wird in der Regel von zwei Annahmen ausgegangen: Zum einen gelten sie als Ausdruck selbstbestimmter Entwicklung von „unten“, die Anliegen und Bedürfnisse der Bevölkerung ins Zentrum rücken. Zum anderen stellen sie sicher, dass Entwicklungsmassnahmen lokal stärker verankert und damit nachhaltiger sind.

Oft aber werden selbst gemeindebasierte Initiativen nicht von der Bevölkerung ausdefiniert, sondern externe Akteure schlagen diese vor, konzipieren und begleiten sie. Das heisst, dass die Initiative zwar nicht von „innen“ heraus angestossen wird, aber durchaus auf explizit geäusserten Bedürfnissen basieren kann. Auch schliesst dies nicht per se eine starke Partizipation der Nutzniesser aus.

In der Realität der internationalen Zusammenarbeit werden gemeindebasierte Massnahmen wie auch andere Ansätze aus unterschiedlichen, zum Teil nachvollziehbaren Gründen „von aussen“ angestossen und konzipiert: Die Nutzniesser haben zum Teil keine ausreichenden Ressourcen, um Initiativen völlig selbstständig zu erarbeiten, obwohl sie eine klare Idee davon haben mögen, welche Probleme bestehen und was sie verbessert haben wollen. Des Weiteren haben sich mit zunehmender empirischer Evidenz Modelle bewährt, die mit Anpassungen auch in anderen Lokalitäten dort ähnlich wahrgenommene Probleme oder Risiken abbauen können, wobei die Nutzniesser nicht von der Existenz dieser Modelle wissen. Schliesslich kommt es vor, dass potentielle Nutzniesser bestimmte, durch wissenschaftlich-empirische Analysen identifizierte Probleme beziehungsweise gewisse Ursache-Wirkungs-Zusammenhänge nicht als bedeutsam wahrnehmen, die aber ihre Lebensqualität einschränken und durch extern eingebrachte Konzepte angegangen werden können.

Ohne auf die Grundsatzdiskussion einzugehen, inwiefern von „aussen“ eingebrachte Programme und Konzepte, die nicht aus der Mitte der Gemeinschaft kommen, überhaupt zulässig sind, weil sie gegen den Grundsatz der Selbstbestimmung verstossen, geht es in diesem Beitrag vielmehr darum, ob und wie Eigenverantwortung im Rahmen von „von aussen“ angeregten, gemeindebasierten Initiativen aufgebaut werden kann. Kurzum: Dieser Beitrag geht davon aus, dass von „aussen“ angestossene und begleitete Initiativen legitim sind, sofern sie auf explizit geäusserten Bedürfnissen und der Zustimmung seitens der „Nutzniesser“ basieren.

Eigenverantwortung als Ausdruck von ownership

Die lokale Verankerung und Nachhaltigkeit jedweder Entwicklungsinitiative, so auch gemeindebasierter, setzt Eigenverantwortung als Ausdruck von ownership voraus. Was aber wird unter ownership verstanden? Der englische Begriff bedeutet zunächst direkt übersetzt so viel wie Eigentum oder Besitz. In der internationalen Zusammenarbeit wir dieser Begriff leicht verändert verwendet. Danach meint ownership, dass Nutzniesser sich nicht nur aktiv an einer Massnahme beteiligen, sondern sie zu ihrer eigenen Sache machen, sich dafür verantwortlich fühlen und so auch zukünftig eigenverantwortlich handeln (DEZA 2003).

Der Aufbau und die Reichweite von Eigenverantwortung und ownership hängen massgeblich von unterschiedlichen Rahmenbedingungen ab. Ausserdem können auch innerhalb gemeindebasierter Initiativen Eigenverantwortung und ownership auf verschiedenen Ebenen und von unterschiedlichen Akteuren wahrgenommen und beeinflusst werden.

In der Regel verlangt die Stärkung von Eigenverantwortung und Übernahme von ownership, dass die Nutzniesser beziehungsweise Gemeinschaften „ermächtigt“ beziehungsweise befähigt werden. Unter „Ermächtigung“ (engl.: empowerment) versteht man, „die Einflussmöglichkeiten benachteiligter gesellschaftlicher Akteure auf die Gestaltung ihrer Lebensverhältnisse zu erweitern“ (DEZA 2003). Danach müssen diese zunächst über notwendige Ressourcen und Spielräume verfügen, um Eigenverantwortung wahrnehmen zu können. Dies kann zum einen durch Aus- und Bewusstseinsbildung geschehen, beispielsweise zu bestehenden Anrechten (entitlements) und Pflichten oder solchen, die in den internationalen Menschenrechten festgeschrieben sind. Empowerment kann auch durch Vermittlung technischen oder organisationellen Wissens stattfinden.

Zum anderen wird empowerment vor allem durch institutionelle Rahmenbedingungen beeinflusst. Der Grad an Demokratisierung oder Dezentralisierung bestimmt, inwiefern gemeindebasierte Akteure Verantwortung wahrnehmen können. So ermöglichen Selbstverwaltungseinheiten im Rahmen dezentralisierter Systeme a priori die Delegierung von öffentlichen Aufgaben wie zum Beispiel das Management von Bildungs- und Gesundheitseinrichtungen gemäss des Subsidiaritätsprinzips vom Zentralstaat und seinen Verwaltungseinheiten an untere lokale Einheiten wie zum Beispiel Distrikte oder Gemeinden (1). Diese haben den Vorteil, dass sie näher an lokalen Realitäten sind.

Die blosse Existenz gesetzlich geregelter Rechte oder lokaler Institutionen der Selbstverwaltung bedeutet noch nicht, dass Gemeinschaften tatsächlich Rechte umsetzen, die Institutionen funktionieren und sich ownership entwickeln kann. Zu oft fehlen weitere notwendige Elemente, so zum Beispiel finanzielle Ressourcen, Humankapital, technisches oder Orientierungswissen. Zudem sind vielfach die Zuständigkeiten zwischen Zentral- und Lokalebene oder innerhalb der Gemeinschaft nicht ausreichend klar geregelt.

Insbesondere Entwicklungsinitiativen, die von aussen angestossen werden, stehen immer vor der Herausforderung, auch langfristig tragfähig zu sein, und zwar nicht nur mit Blick auf finanzielle Nachhaltigkeit. Daher sollte der Aufbau von Eigenverantwortung von Anfang an als transversales Ziel nicht nur mitgedacht, sondern durch konkrete Massnahmen gefördert werden.

Erfahrungen in einem gemeindebasierten Projekt in Cinzana, Mali

Auch gemeindebasierte Entwicklungsmassnahmen sind mit einer Vielzahl von Interessenlagen lokaler, regionaler oder gar nationaler Akteure konfrontiert. Zur Verankerung von Initiativen kann die Übernahme von Eigenverantwortung ganz unterschiedlicher Akteure durchaus sinnvoll sein, nur muss geklärt sein, wer sich wofür verantwortlich zeichnet. So können lokale Akteure der Gemeinderat, der Bürgermeister, Dorfchefs, religiöse Führer oder Assoziationen sein. Auf Distrikt-, regionaler und nationaler Ebene kommen Geber und der Zentralstaat mit seinen Behörden dazu. Dass die Wahrnehmung von Verantwortung seitens des Staates und seiner Behörden auch unterstützend oder zumindest nicht hinderlich sein muss, stellt das Fallbeispiel aus Mali zur Diskussion.

Das als Beispiel dienende Projet Intégré de Santé et d’Activités Mutualistes (PISAM) ist in der grössten ländlichen Gemeinde Malis (2), Cinzana, 40 Kilometer östlich der Regionalhauptstadt Ségou, angesiedelt.

Die Gemeinde umfasst 72 Dörfer, die in sechs „Entwicklungssektoren“ unterteilt sind. Cinzana hat 32’249 Einwohner, die hauptsächlich vom Hirse-, Sorghum- und Niébéanbau leben. Die vornehmlich aus Bambara, Sarakolé und Peul bestehende muslimische Bevölkerung bemüht sich darum, neben diesen vor allem zur Subsistenz dienenden Anbaupflanzen alternative Einkommensquellen zu erschliessen, so zum Beispiel Sesam- und Gemüseanbau oder Kleinhandel.

Die Gemeinde Cinzana ist in vier sogenannte aires de santé eingeteilt, wobei vom Gemeinderat beabsichtigt ist, in jeder einzelnen ein Gesundheitszentrum einzurichten. Bisher hat aber nur die aire de santé de Cinzana, die mit rund 12.000 Einwohner mehr als ein Drittel der Bevölkerung der Gesamtgemeinde stellt, ein Zentrum, weshalb die anderen drei nur auf dem Papier bestehen.

Interventionen im Gesundheitsbereich wurden explizit vom Gemeinderat und Teilen der Bevölkerung (über die Dorfchefs) gewünscht, da wie in anderen Regionen Malis Mangelernährung bei Kindern, die schlechte Qualität der Gesundheitsdienste sowie der zumindest saisonal schwierige finanzielle Zugang zu Konsultationen und Medikamenten ein Problem darstellen. Ausdruck dieser Problemlage war die niedrige Nutzungsrate von 0,15 neuen Kontakten pro Person und Jahr im alten Gesundheitsposten von Cinzana (2001).

Nach einer kleinen Studie zur Gesundheitssituation in der Gemeinde vereinbarten die Novartis Stiftung und die Republik Mali, ein Projekt über fünf Jahre (2001-2005) in der Gemeinde Cinzana durchzuführen. Das Projektziel besteht darin, den Zugang zu qualitativ höherstehenden Gesundheitsdiensten (kurativ und präventiv) zu erhöhen. Erreicht werden soll dieses Ziel durch die Sicherstellung von drei Resultaten:

  1. Der finanzielle Zugang zu Gesundheitsdiensten ist für ein Grossteil der Bevölkerung der Aire de Santé Cinzana durch Mitgliedschaft in einer lokalen Krankenkasse verbessert.
  2. Die Qualität der Gesundheitsdienste ist gemäss biomedizinischer Standards und in der Wahrnehmungen der Bevölkerung deutlich erhöht.
  3. Massnahmen zur Bekämpfung der Mangelernährung und Verbesserung der Nahrungs-, Haushalts- und Gemeinschaftshygiene werden von einem Grossteil der erreichten Bevölkerung angewendet.

Lokale Partner waren von Anfang an die Gemeinde Cinzana, die Trägerorganisation des Gesundheitszentrums (Centre de Santé Communautaire – CSCOM), die Association de Santé Communautaire (ASACO) und das Gesundheitspersonal. Die Krankenkasse und Animateurinnen kamen erst durch die Projektaktivitäten hinzu.

Finanzieller Zugang und Krankenkasse: Zu Beginn hat die technische Unterstützungsstruktur (Union Technique de la Mutualité Malienne UTM) eine Machbarkeitsstudie zur Krankenkasse durchgeführt, im Rahmen derer der Bevölkerung unterschiedliche, ökonomisch tragfähige Vorschläge zum Leistungskatalog sowie zur Prämien- und Zuzahlungshöhe gemacht wurden. Nach ihrer Entscheidung für eine Option arbeiteten Gemeindevertreter auch massgeblich an der Ausarbeitung von Satzungen und Statuten der neuen Kasse mit, die mittlerweile auch gesetzlich anerkannt ist. Das ehrenamtliche Führungspersonal und Krankenkassen-Repräsentanten in jedem Dorf der aire de santé sind aus- und regelmässig fortgebildet worden. Sie werden weiterhin von der UTM begleitet. Die Krankenkassen-Verantwortlichen sensibilisieren und informieren regelmässig die Bevölkerung im Rahmen einer mit Unterstützung des Projekts ausgearbeiteten sozialen Marketing-Kampagne, um mehr Mitglieder zu gewinnen, was für die institutionelle und finanzielle Tragfähigkeit der Kasse unabdingbar ist. Bisher sind gut 10 Prozent der Zielbevölkerung (1200 Personen) Mitglied, was auf eine gewisse Verankerung der Krankenkasse schliessen lässt, aber die Breitenwirksamkeit (die ursprüngliche Zielsetzung betrug 20 Prozent) bleibt bisher hinter den Erwartungen zurück. Ökonomisch ist die Kasse gegenwärtig gesund.

Qualität der Gesundheitsdienste: Durch den Neubau des Gesundheitszentrums, neue Ausstattung, die Anstellung eines Landarztes sowie durch die Weiterbildung des bestehenden Personals konnte die Nutzungsrate als ein erster Proxy-Indikator von 0,15 auf 0,3 neue Kontakte pro Jahr und Person (Durchschnitt Mali: 0,21) gesteigert werden. Der Einnahmeanteil des Zentrums durch die Krankenkasse ist bisher bescheiden. Um die Nutzerrate der nationalen Zielmarke von 0,5 näher zu bringen, ist mittlerweile die in der nationalen Gesundheitsstrategie vorgesehene stratégie avancée umgesetzt worden, um durch das Angebot „mobiler“ Gesundheitsdienste des Landarztes in entfernten Dörfern der Gemeinde mehr Menschen zu erreichen. Schliesslich ist auch das Management der ASACO gestärkt worden.

Prävention und Mangelernährung: Zur Verbesserung der Gesundheitsprävention und Bekämpfung der Mangelernährung ist ein Netz von Animateurinnen in mittlerweile 38 der 72 Dörfer aufgebaut worden. Diese sind in der Durchführung von Sensibilisierungskampagnen im Bereich „Ernährung und Hygiene“ ausgebildet worden und werden durch das Projekt begleitet. Sie haben über 400 Sensibilisierungsveranstaltungen 7000 Frauen erreicht. Im Rahmen von Haushaltbesuchen werden auch vermehrt Männer erreicht.

Durch die Einführung und lokale Produktion von nahrhafterem Mehl für die Zubereitung von Babybrei (Basis: Hirse, Malz, Niébé) konnte im Rahmen medizinischer Untersuchungen des Ernährungszustandes bei 622 Kleinkindern zwischen 6 und 24 Monaten die Senkung chronischer Mangelernährung von 43,4 auf 28,5 Prozent nachgewiesen werden.

Aufbau von Eigenverantwortung in der Gemeinde Cinzana

Wie die drei Interventionsfelder des Projekts zeigen, gibt es eine Vielzahl an lokalen Akteuren, die aktiv bestimmte Aktivitäten tragen oder von ihnen direkt oder indirekt betroffen sind. Daher wurde schnell klar, dass zunächst die Rollen und Verantwortlichkeiten zwischen den lokalen Akteuren geklärt werden mussten, damit ownership überhaupt entstehen kann. Es ging auch darum, dass Projekt mit seinen zwei Mitarbeitenden richtig zu verorten, so dass dies nicht als Parallelstruktur den Aufbau von Eigenverantwortung behindert.

Als erste konkrete Massnahme wurde ein Comité de Pilotage eingerichtet, in dem nicht nur die regionale Behörden sitzen, sondern auch alle lokalen Akteure. Schrittweise wurden die lokalen Akteure – ob Krankenkasse oder ASACO - dahin geführt, im Comité ihre Aktivitäten des abgelaufenen Jahres in Bambara vorzustellen. Ausserdem wurde mit Unterstützung der NGO Santé Sud ein Workshop durchgeführt, an dem zusammen mit dem Bürgermeisteramt, der Trägerorganisation ASACO, dem Gesundheitspersonal, den Krankenkassen-Verantwortlichen und Animateurinnen Zuständigkeitsfelder abgesteckt wurden. Beispielsweise fiel es den Verantwortlichen der ASACO schwer, ihre Rolle gegenüber dem Gesundheitspersonal und der Krankenkasse zu definieren. Schliesslich wird jedes Jahr jeweils im Oktober oder November eine Selbstevaluation der Jahresaktivitäten vorgenommen und das nächste Jahr geplant. Abgesehen von der Notwendigkeit, die Zuständigkeitsbereiche gemeinsam zu klären, geht es aber auch darum, das spezifische ownership eines jeden zu stärken, wobei dies nicht nur lokale Akteure betrifft.

Bürgermeister und Gemeinderat: Die Eigenverantwortung des Bürgermeisters und Gemeinderates als kleinste Verwaltungseinheit des Staates muss insbesondere bezüglich ihrer Rolle als Koordinatoren beziehungsweise facilitators gestärkt werden. Daher bemüht sich der Projektkoordinator, bei allen Aus- und Fortbildungen und wichtigen projektbezogenen Sitzungen immer einen Gemeindevertreter anwesend zu haben, damit das Bürgermeisteramt auf dem Laufenden ist. Zudem übernimmt der Bürgermeister mehr und mehr die Schlichterrolle, so zum Beispiel bei einem Konflikt zwischen Krankenkasse und Gesundheitspersonal um einige Elemente der Dienstleistungsqualität. Was auf lokaler Ebene langsam wächst, ist auf Distrikt- beziehungsweise Regionalebene weitaus schwieriger. Hier unterstützt der Projektkoordinator weiterhin erheblich, wenn es beispielsweise um die Beantragung neuen Personals für das Gesundheitszentrum oder Schulen über den Fonds PPTE (3) geht. Die Gemeinden kennen oftmals die Prozedere nicht ausreichend und verfügen über keine Verhandlungsmacht. Schliesslich hat die Gemeinde auch einen Teil der Investitionskosten getragen. Wichtiger ist aber, dass sie einige Saläre und Transportmittel und damit laufende Kosten des Gesundheitszentrums dauerhaft übernommen hat.

Krankenkasse: In der Literatur zu Zielsetzungen und Rollen von gemeindebasierten Krankenkassen wird explizit angesprochen, dass diese Ausdruck lokalen Empowerments und der Selbstbestimmung und nicht nur blosse Werkzeuge sein müssen, um Gesundheitsdienste zu finanzieren (vgl. Bart Criel et al. 2002). Die Krankenkasse Cinzana zeigt - auch dank starker Führungspersönlichkeiten - die klare Bereitschaft zur Eigenverantwortung. So wurden zwar in Rücksprache mit dem Projekt, aber aus eigener Initiative, die Beitrittsbedingungen (Beitritt als Kernhaushalt anstatt der „Produktionsgemeinschaft“) und Beitragszahlungen (für 6 oder 12 Monate) neu gefasst, um durch diese flexibleren Regelungen mehr Mitglieder anzulocken. Gleichzeitig hat sie ein cahier de plainte für die Mitglieder eingerichtet und bespricht Klagen bezüglich der Gesundheitsdienste regelmässig mit dem Gesundheitspersonal. Schliesslich haben die Verantwortlichen ihren eigenen Aktivitätsplan für Informationsveranstaltungen in allen Dörfern aufgestellt.

ASACO und Gesundheitspersonal: Während die Krankenkassen-Verantwortlichen sich kompetent verantwortlich zeigen, gestaltet sich dies bei der Trägerorganisation ASACO schwieriger. Hier müsste die Führung erneuert werden, damit das administrative Management des Gesundheitszentrums und die Informationsveranstaltungen in den Dörfern verbessert werden können. Doch ist es nicht leicht, respektierte, aber technisch wenig versierte Führer zu ersetzen und zudem kompetenten Ersatz zu finden. Viele Initiativen in ländlichen Gegenden bauen auf wenigen, kompetenten Personen auf, die nicht selten durch Doppelfunktionen überlastet sind. Das Projekt hat sich entschieden, die Neuwahl der Führung zwar zum Thema zu machen, aber die Initiative dem Bürgermeisteramt und der ASACO zu überlassen. Es geht der Gemeinde darum, der bisherigen Führung einen Abgang ohne Gesichtsverlust zu ermöglichen.

Bevölkerung: Um Eigenverantwortung für die unterschiedlichen Initiativen wie Krankenkasse oder Präventionsmassnahmen bei der „breiten“ Bevölkerung aufzubauen, bemühen sich die verschiedenen Parteien (Krankenkasse, Bürgermeisteramt etc.), regelmässig Diskussionen in den Dörfern zu führen, damit Misstrauen aufgrund negativer Erfahrungen mit früheren Entwicklungsinitiativen reduziert und Fragen zu den neuen, exogenen Konzepten gestellt werden können. Vertrauen lassen sich auch dadurch fördern, dass die Verantwortlichen der Krankenkasse und der ASACO sowie die Animateurinnen durch die Bevölkerung selbst gewählt werden.

Gesundheitsbehörden: Eigenverantwortung für gemeindebasierte Initiativen beschränkt sich jedoch nicht auf die lokalen Akteure. So hat der Staat über seine Gesundheitsbehörden die Aufgabe und durchaus das Recht, neue gemeindebasierte Konzepte und laufende Programme zu verfolgen und auf ihre Brauchbarkeit zu überprüfen (4). Dies ist die Vorbedingung dafür, dass vielversprechende Ansätze in die nationale Gesundheitspolitik und -strategie aufgenommen und wohlmöglich anderweitig redupliziert werden. Vor diesem Hintergrund hat sich das PISAM bemüht, die regionalen und nationalen Gesundheitsbehörden nicht nur in das Comité de Pilotage zu integrieren, sondern sie auch zu einer aktiven, konstruktiven Begleitung der Aktivitäten zu ermutigen. Dies geschieht nicht immer regelmässig, dennoch haben sich Verantwortliche von nationaler und regionaler Ebene bereits mehrere Male in die Gemeinde begeben, um sich ein eigenes Bild zu machen.

Schlussfolgerungen und Herausforderungen

Welche allgemeinen Rückschlüsse können nun aus dem Projektbeispiel für die Stärkung von Eigenverantwortung gezogen werden? Zunächst lässt sich festhalten, dass ein vom Zentralstaat politisch geförderter Dezentralisierungsprozess eine günstige Rahmenbedingung darstellt, auch wenn der frei gewordene Verantwortungsbereich erst durch die lokalen Akteure „besetzt“ und „gefüllt“ werden muss. Hier aber kann ein Projekt mit transversalen Aktivitäten unterstützen. Doch auch unter Bedingungen, die nicht durch einen Dezentralisierungsprozess begünstigt sind, lässt sich Eigenverantwortung stärken – zum Beispiel durch Informationen bezüglich Rechte und Pflichten (Hilfestellung bei Antragsstellung für Ressourcen etc.), Einführung von Instrumenten der Selbstevaluation und Planung oder organisationelle Stärkung. Dazu ist es aber nötig, zunächst eine klare Idee zu haben, welche Akteure eine tragende Rolle spielen können und sollten.

Selbst wenn Aufbau von Eigenverantwortung auch ohne Dezentralisierung möglich ist, so scheint doch wichtig, dass der Zentralstaat und seine Verwaltungseinheiten Eigenverantwortung lokaler Akteure nicht systematisch behindert. Zudem feit Demokratisierung und Dezentralisierung nicht vor schwachem ownership: Auch lokale Machtverhältnisse und Kooperationswille sind mitentscheidend dafür, wer wofür Eigenverantwortung übernehmen kann.

Ein Projekt kann durchaus helfen, Wissen und Informationen breit verfügbar zu machen, so dass Gemeinden und andere lokale Akteure eine gewisse Gegenmacht gegenüber regionalen Behörden aufbauen können.

Letztendlich ist aber von äusserster Bedeutung, dass der Aufbau von Eigenverantwortung ein langsamer Prozess ist, der wiederkehrende Diskussionen mit den Nutzniessern zulassen muss, auch wenn dies nicht der „Donor-Logik“ entspricht – die meisten Projekte sind auf drei bis fünf Jahre angesetzt. Und: Eigene Lösungsansätze der Akteure müssen zu einem bestimmten Grad akzeptiert werden, auch wenn sie dem extern ausgearbeiteten Projektkonzept nicht ganz entsprechen. Auch wenn dies das PISAM in seiner ersten Phase ebenfalls nicht geleistet hat: Eine klar vorgezeichnete Strategie, mit welchen Massnahmen Eigenverantwortung von Anfang systematisch aufgebaut und dann mit einer exit strategy für das Projekt verbunden werden kann, sollte für jedes gemeindebasierte Programm ein Muss sein.

*Alexander Schulze ist Project Officer bei der Novartis Stiftung für Nachhaltige Entwicklung. Kontakt: alexander.schulze@novartis.com, www.novartisstiftung.com

Literatur

Criel, Bart et al. 1996: Community financing or cost recovery: Empowerment or social dumping or. In: Tropical medicine and International Health. Vol. 1, No. 3, S. 281f.

DEZA 2003: Was ist eigentlich…? Broschüre zu Begriffen der EZA. Bern.

Leisinger, Klaus M. 1995: Gouvernanz oder “Zu hause muss beginnen, was leuchten soll im Vaterland”. In: Leisinger, K.M. und Hösle, V. (Hrsg.). München, S. 114-172.

Anmerkungen

1. Unter dem Subsidiaritätsprinzip versteht man die Delegierung der grösstmöglichen politischen, wirtschaftlichen, sozialen und ökologischen Verantwortung auf die kleinstmögliche Verwaltungs- oder Gesellschaftsebene (Leisinger 1995: 131f.).

2. In Bezug auf die Anzahl Dörfer, die die Gemeinde umfasst: 72.

3. Fond Pays Pauvres Très Endettés

4. Dieses Rollenverständnis des Staates entspricht dem Konzept des steward der WHO, wonach der Staat möglichst viele Gesundheitsaufgaben an niedrigere Ebenen delegiert, aber weiterhin die Aufgabe hat, einen kohärenten Rahmen zu schaffen und die Abstimmung zwischen den Ebenen sicherzustellen.