Welche Lehren für den Gesundheitsbereich?

Human Resource Development (HRD)

Von Malte Lipczinsky

Entwicklung, ohne dabei den Menschen ins Zentrum zu rücken, ist ein Widerspruch in sich. Konzepte des Human Resource Development gibt es deshalb überall, im Norden und im Süden, im öffentlichen und im Privatsektor. Sie können auf die verschiedensten Themen und Sektoren angewendet werden, auch auf den Gesundheitsbereich.

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Ausgehend von einer allgemeineren Betrachtungsweise des Human Resource Development und des Capacity Development werden im Folgenden einige Aspekte herausgegriffen, die in der Meinung des Verfassers auch für den Gesundheitsbereich gültig sind. Die LeserInnen sind aufgefordert, sich auf Grund Ihrer "Check Reality" kritisch zu fragen, ob die eine oder andere Aussage und insbesondere die Thesen für den Gesundheitsbereich gelten und inwieweit sie dabei noch weiterer Spezifizierung bedürfen.

Aus- und Weiterbildung - aus welchem Blickwinkel?

Aus der Sicht der NutzniesserInnen von Gesundheitsdienstleistungen, aus der Sicht einer Fachkraft in einer Gesundheitsinstitution, aus der Sicht der Verantwortlichen einer Gesundheitsorganisation und aus der Sicht von Gesundheitssystemgestaltern stellt sich die Beurteilung von Human Resource Development sehr unterschiedlich dar.
Für NutzniesserInnen von Gesundheitsdienstleistungen, zum Beispiel DorfbewohnerInnen in Mosambik, macht Aus- und Weiterbildung von GesundheitsberaterInnen vor allem dann Sinn, wenn sie zu spürbaren Verbesserungen bei den Gesundheitsdienstleistungen führen, weil die Ausbildungsinhalte dort ansetzen, wo die Beratung oder Behandlung bisher nicht oder nur schlecht erfolgte.

Aus der Sicht einer Fachkraft, die in einem Krankenhaus einer Provinzhauptstadt arbeitet, lohnt sich Aus- und Weiterbildung, wenn sie ihre Arbeit sichert, Arbeit und Lohn verbessert und Antworten auf Fragen gibt, die für die Ausübung ihrer Arbeit direkt verwendet werden können. Auch sollte sich die Ausbildung als Baustein in die eigenen Lebenspläne einfügen.

Aus der Sicht der Verantwortlichen für den Betrieb und die Weiterentwicklung eines Provinzkrankenhauses ist Ausbildung ein Instrument, um einerseits das reibungslose Funktionieren der Organisation Krankenhaus sicherzustellen, aber auch, um erkannte Schwachstellen zu reduzieren und durch bessere Dienstleistungen die mittelfristige Finanzierung der Institution zu sichern.

Und die Gesundheitssystemmanagerin im Gesundheitsministerium in der Hauptstadt eines Entwicklungslandes oder der Vertreter einer Entwicklungshilfeorganisation werden prüfen, wie bedeutsam Human Resources für die Entwicklung des gesamten Gesundheitssystems sind. Falls sie, wie dies wohl häufig der Fall ist, als wichtige Schwachstelle identifiziert sind, hängt es davon ab, inwieweit die Ressourcen und der politischer Wille da sind, Human Resource Development proaktiv in Angriff zu nehmen.

Aus dem oben Aufgezeigten wird deutlich, wie verschieden die Sichtweisen und die Beurteilung von Human Resource Development sein können. Für die Gestaltung und Umsetzung von Massnahmen in diesem Bereich heisst dies: Systeme, aber auch konkrete Aktionen sind so zu gestalten, dass die Massnahmen für die unterschiedlichen AkteurInnen und deren Interessen so Sinn machen, dass möglichst viele am gleichen Strang ziehen. Dies kann eher dort gelingen, wo sich die verschiedenen Interessen decken. Um die gemeinsame Sichtweise von Anfang an zu fördern, sollten HRD-Programme deshalb immer partizipativ ausgehandelt werden.

Human Resource Development - was und warum?

Weltweit finden umfassende Veränderungen statt, und dies mit immer schnellerem Tempo. Globalisierungseffekten kann sich niemand entziehen, ob sie oder er nun in der so genannten entwickelten Welt oder in den Entwicklungsländern leben. Allerdings sind die Auswirkungen höchst unterschiedlich. Deshalb braucht es beides, eine globale Sichtweite, die durch eine vertiefende Analyse in den jeweiligen Ländern und im lokalen Kontext ergänzt werden muss. Und es braucht eine Klärung darüber, wie wichtig die Rolle des Menschen bei diesen Veränderungen ist. Ist er mehr passiv Erduldender oder aktiv Gestaltender? Genau um das aktive Gestalten zu stärken, kommt den HRD-Prozessen eine entscheidende Rolle zu.

Capacity Development kann verstanden werden als ein Prozess, bei dem sich Individuen, Gruppen und Organisationen sowie ganze Gesellschaften Skills (Kenntnisse, Fähigkeiten und Fertigkeiten) einzeln oder gemeinsam erwerben und diese einsetzen, um Funktionen wahrzunehmen, Probleme zu lösen und Ziele erreichen.

Human Resource Development (HRD) baut auf dem individuellen Erwerb von Skills durch Bildung, Ausbildung und durch Selbstlernen auf. Der individuelle Erwerb von Kompetenzen ist jedoch auch häufig Teil eines Lernprozesses, der innerhalb von Gruppen und Organisationen abläuft. Deshalb bezieht sich Human Resource Development nicht nur auf den Erwerb von Wissen, Kenntnissen, Fähigkeiten und Fertigkeiten, sondern auch darauf, wie innerhalb von Organisationen Training gefördert werden kann, wie Organisationen zum richtigen Personal kommen und dieses behalten und motivieren können.

Organisationsentwicklung beinhaltet neben dem HRD auch andere Faktoren wie zum Beispiel die Infrastruktur, die benötigt wird, damit die in einer Organisation arbeiteten Menschen (und Maschinen) so zusammenwirken, dass die Hauptaufgaben und Ziele einer Organisation bestmöglich erreicht werden.

Entwicklungsstrategien stellen oft den Menschen ins Zentrum der Entwicklung. Dieser Ansatz muss dann allerdings auch konsequent durchgehalten werden. Genau dazu ist ein Konzept des Human Resource Development ein hilfreiches Instrument, sei es, um analysierend besser die Auswirkungen der Veränderungen auf den Menschen zu erfassen, sei es, um Strategien und Vorgehensweisen zu entwickeln, um den Menschen zu befähigen, sich aktiv in diesen Umgestaltungsprozess einzuschalten, und sei es auch "nur" in seinem unmittelbaren Umfeld.

Zur Diskussion gestellt...

Realitätsbezogene Lern- und Ausbildungskonzepte: Human Resource Development beginnt damit, die Realität zu analysieren, Trends einzuschätzen und daraus Schlussfolgerungen für die zu wählenden Strategien zu ziehen. Je nachdem, ob sich HRD auf eine Organisation, eine Region oder einen Sektor bezieht, ist zu entscheiden, welche Realität(en) als Bezugsbasis dienen. Nun ist es durchaus wahrscheinlich, dass trotz aller Anstrengungen, Trends im Vorhinein zu bestimmen, zu einem späteren Zeitpunkt unvorhergesehene Einflussfaktoren auftauchen, die aber für das HRD-Konzept bedeutsam sind und berücksichtigt werden sollten. Dabei wird ein daraus resultierender Ein- beziehungsweise Umbau von Lerninhalten und -methoden um so leichter zu bewerkstelligen sein, je früher diese partizipativ bestimmt und ausgehandelt wurden.

Was sind die wichtigsten Umfeldeinflüsse und Trends, die wir bei der Gestaltung eines Ausbildungsprogramms für das Gesundheitspersonal in einer Region beachten müssen? Und wer sollte bei der Ausarbeitung eines mehrjährig gültigen Ausbildungsprogramms und dessen Inhalte und Methoden von Anfang an mitwirken?

Praxisrelevante Lern- und Ausbildungsinhalte: Was soll gelernt werden, und in wie engem Bezug stehen diese Lerninhalte mit der Arbeitsrealität der Auszubildenden? Es kann nicht darum gehen, anderswo ausgearbeitete Lehrpläne stur durchzuführen, sondern diese im lokalen Kontext und mit den dortigen Schlüsselakteuren auszuarbeiten beziehungsweise anzupassen und über lokale Beispiele lebendig zu gestalten. So können die Auszubildenden zum Lernen motiviert werden und VertreterInnen der Organisationen und Institutionen, in denen die Ausgebildeten arbeiten, sind aufgrund der Praxisrelevanz der Ausbildung bereit, bei der Ausarbeitung der Curricula mitzuarbeiten.

Wie müssen wir uns organisieren, dass wir die “richtigen” und zukunftsrelevanten Ausbildungsinhalte identifizieren?

Bedürfnisse und Nachfrageprinzip: Bei der Ausrichtung von Ausbildungsaktivitäten gibt es zwei mögliche Vorgehensweisen: die Angebotsorientierung oder die Nachfrageorientierung. Bei der Angebotsorientierung entscheiden Strukturen und Instanzen beziehungsweise die LehrerInnen darüber, was und wie gelernt werden sollte. Bei der Anwendung des Nachfrageprinzips versuchen die EntwicklerInnen von Kursen und (Aus-)bildungsgängen, diese auf Grund der Bedürfnisse der Aus- und Weiterzubildenden und im direkten Kontakt mit VertreterInnen der Zielgruppen und Ihrer Realität zu bestimmen.

Je mehr es gelingt, Ausbildungsinhalte und -methoden mit den Betroffen zu entwerfen und durchzuführen, desto höher werden die Lernmotivation der Auszubildenden und letztlich der Lerneffekt sein.

Wie müssen wir Ausbildende uns organisieren, dass wir die Wissens- und Ausbildungsbedürfnisse der Auszubildenden kennen lernen und in den Ausbildungsinhalten darauf einzugehen?

Core Skills und Schlüsselkompetenzen: Gerade da sich unser Umfeld verändert und Überraschungen parat hält, brauchen wir Fähigkeiten und Fertigkeiten, die uns allgemein helfen, mit neuen Situationen umzugehen. Dazu gehören Kommunikationsfähigkeiten, also im Kontakt mit anderen herauszufinden, was für Neues auf mich als betroffenes Individuum zukommen wird, was das für mich oder eine Gruppe heissen kann (Analysefähigkeit), welche Probleme dabei auftauchen könnten und wie ich diese alleine oder mit anderen lösen kann.

Diese Schlüsselkompetenzen sind von allgemeiner Bedeutung, egal, ob ich nun beispielsweise als MitarbeiterIn in einem Betrieb in Europa sitze, der einem harten Konkurrenzkampf ausgesetzt ist, als dessen Folge Leute entlassen werden könnten, oder ob ich in einem Krankenhaus in einem Entwicklungsland arbeite, das aufgrund von Spar- und Strukturanpassungsmassnahmen riskiert, geschlossen zu werden.

Welche Schlüsselkompetenzen braucht es in einem Programm oder in einer Organisation, um mit wichtigen Herausforderungen proaktiv umgehen zu können?

Ein Leben lang lernen: Wenn die Hypothese stimmt, dass globalen Veränderungen andauern werden, heisst dies auf der Ebene der Individuen, bereit zu sein weiterzulernen. Und auch diese Bereitschaft, ein Leben lang gewillt zu sein zu lernen, will gelernt sein!

Ein Bildungssystem, aber auch Organisationen, die bereit sind sich anzupassen, den Kopf vor Veränderungen nicht in den Sand stecken, müssen sich dieser Notwendigkeit stellen und beispielsweise flexible Ausbildungsmodule bereithalten, aber auch Anreize schaffen, dass Individuen weiterlernen wollen. Oder mit anderen Worten, es muss sich für Individuen lohnen, sich weiterzubilden. Dies kann sich auf finanzielle Anreize beziehen, muss es aber nicht. Motivierend können auch neue Aufgaben und Verantwortlichkeiten sein.

Wie steht es mit der Bereitschaft der AkteurInnen, lebenslang zu lernen?

Kosten kennen und Finanzierung auf mehrere Schultern verteilen: Jede Aus- und Weiterbildung kostet Geld, und Geld ist chronisch knapp. Die Kosten im Vorhinein auszurechnen und die tatsächlich anfallenden Kosten aufmerksam zu verfolgen, sind wichtige Entscheidungshilfen, wann und wie immer ausgebildet werden soll. Je besser die Kosten einer Ausbildung bekannt sind, desto einfacher ist es auszuhandeln, wer welchen Teil übernimmt. Bildung und Ausbildung haben Aspekte eines öffentlichen Gutes, es ist also auch Aufgabe des Staates, dass breite Teile der Bevölkerung daran teilhaben. Weiterbildung kann aber auch im direkten Interesse einer Organisation oder Institution liegen, so dass zum Beispiel ein Krankenhaus die Ausbildung seiner MitarbeiterInnen übernimmt. Und je mehr die Aus- und Weiterbildung den individuellen Lebens- und Karriereplänen der Individuen entspricht, desto eher kann man erwarten, dass sich Aus- und Weiterzubildende an den Kosten beteiligen.

Wie viel kostet der Kurs X, und wer bezahlt dabei welchen Teil?

Ausbildung mit Human Resource Development und Organisationsentwicklung verknüpfen: Die Wirkung einer einzelnen Ausbildung lässt sich verstärken, je mehr die einzelnen Kurse aufeinander aufbauen und Teil einer Strategie zur Entwicklung der Human Resources sind. Dies lässt sich am ehesten innerhalb von Organisationen und Institutionen bewerkstelligen. Dazu müssen diese erstens Farbe bekennen, wie wichtig ihnen der Mensch und sein Dazulernen als Kernelement der Entwicklung innerhalb der Organisation sind. Und zweitens muss danach die Personalentwicklung so gestaltet werden, dass sich Weiterbilden lohnt, sei es über materielle oder andere Anreize. Wenn die Weitergebildeten das Gelernte schliesslich in ihrem Arbeitsumfeld auch anwenden können, entsteht eine lernende Organisation.

Wie können wir ein modularisiertes Ausbildungsprogramm in einer Organisation so gestalten, dass es attraktiv ist, daran teilzunehmen, und dass es motivierend ist, das Gelernte auch anzuwenden?

Somit wird deutlich: HRD braucht auch den Willen der EntscheidungsträgerInnen. Die Wirkung von Ausbildungsprogrammen hängt einerseits vom Willen und der Motivation der Lernenden ab, das Gelernte auch anzuwenden, anderseits von einem Human Resource- und Organisationskonzept, das für einen förderlichen Rahmen sorgt.

*Malte Lipczinsky ist von Beruf Wirtschaftsingenieur und in der Themensektion Arbeit und Einkommen der DEZA für Fragen der beruflichen Qualifizierung zuständig. Kontakt: malte.lipczinsky@deza.admin.ch. Allgemeine Informationen zum Engagement der DEZA im Bereich Skills Development: www.vetnet.ch.