Von der Horizonterweiterung zum langjährigen Engagement

Idealisten, Amateure, Profis (I): Secours Dentaire International

Von Michael Willi

Der Beruf des Zahnarztes wird in den meisten Fällen in der eigenen Praxis ausgeübt. Dies bedeutet, dass die eigentliche zahnärztliche Tätigkeit während des gesamten Berufslebens in den gleichen ein oder zwei Behandlungszimmern stattfindet, wobei das Arbeitsfeld jeweils den Umfang von wenigen Quadratzentimetern hat. Diese räumliche Fixierung, die man mit der Eröffnung der eigenen Praxis eingeht, führt in manchen Fällen zum Wunsch, sich zumindest für eine kurze Zeit aus dieser Enge auszuklinken und dadurch den eigenen Horizont zu erweitern. Es waren also mitunter auch sehr eigennützige Motive, die mich damals bewogen haben, einen Einsatz als Zahnarzt in Afrika zu suchen.

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Als sich im Jahre 1977 die Schweizer Zahnärzte Adrian Jemelin, J.F. Guignard und Franz Plattner zusammenfanden, um am Albert-Schweitzer Spital in Lambaréné die marode Zahnklinik wieder zum Laufen zu bringen, wurde mit keinem Wort über Entschädigung, Lohnausfall oder gar Bezahlung gesprochen – und der Grundstein für die Organisation "Secours Dentaire International" (SDI) gelegt. Zur Zeit meiner eigenen ersten Afrikaerfahrung im Jahr 1986, als meine Frau und ich während sechs Monaten in der Klinik von Lambaréné arbeiteten, besagte der Arbeitsvertrag, dass die ersten drei Monate ohne Bezahlung waren, während für die Folgemonate eine Entschädigung von 3'000 Franken zur Deckung der Unkosten zu Hause (Krankenkasse, Miete, Versicherungen etc.) ausbezahlt wurden.

Aufgrund der regelmässig eintreffenden Anfragen junger Berufskolleginnen und –kollegen stelle ich fest, dass auch heute noch dieselben Gründe für den Wunsch nach einem Auslandeinsatz verantwortlich sind, die mich damals nach Afrika geführt haben. Da die Kandidatinnen und Kandidaten in der Regel auch über eine ausreichende finanzielle Basis verfügen, ist die Höhe einer allfälligen Entschädigung (Flugkosten, Spesen, kleines Honorar) niemals Grund für eine Diskussion. Während des eigentlichen Einsatzes in Afrika erleben viele Experten dann ein noch viel grösseres Eingeschlossensein im Umfeld der Zahnkliniken, welche sich oft in ländlichen und abgelegenen Gebieten befinden. Es bleibt viel Zeit zum Nachdenken über Sinn und Nutzen des eigenen Einsatzes. Wer nach diesem eine positive Grundhaltung gegenüber dem Wirken von Secours Dentaire International in der Dritten Welt beibehält, wird sich für ein weiteres ehrenamtliches Mitmachen in der Organisation bereit erklären.

Eine Führungsfunktion übernehmen

Die Bereitschaft, sich nicht nur ideell, sondern durch konkretes und langfristiges persönliches Engagement für das Projekt in Gabun einzusetzen, bildete die Basis, auf der sich Secours Dentaire International entwickelte. Über lange Zeit wurden alle Kadermitglieder von SDI aus dem Pool der Freiwilligen rekrutiert, die zuvor bereits während mehrerer Monate in Lambaréné als Zahnärzte gearbeitet hatten. Auch heute noch ist die Voraussetzung für die Übernahme der Projektleitung in einer Klinik der vorgängige Einsatz als Experte. Mit dem Anwachsen von SDI auf zehn Kliniken in mehreren Ländern Afrikas und in Haiti wurden auch Nicht-Zahnärzte in die Führung von Secours Dentaire International aufgenommen. Diese Freiwilligen sind in hohem Mass dazu befähigt, den wohl zu einseitigen Zahnärzte-Blickwinkel innerhalb der Organisation zu erweitern und durch ihre eigenen Erfahrungen zu ergänzen. Diese Entwicklung fand 1998 durch die Wahl der Juristin Ingrid Jent zur Präsidentin von SDI ihren vorläufigen Höhepunkt.

Im Vergleich mit dem einmaligen Einsatz als Experte in Afrika folgt die Motivation zur Übernahme einer Führungsfunktion bei SDI (Präsidium, Direktion, Projektleitungen anderen Regeln: Es geht um die kontinuierliche Beanspruchung des ohnehin durch Familie und Beruf schon arg belasteten Zeitbudgets. Dazu kommen die nicht unwesentlichen finanziellen Aufwendungen sowie der Erwerbsausfall für die jährlich wiederkehrenden Projektreisen (SDI bezahlt Flugticket und 100 Franken pro Reisetag), sowie für Sitzungen und Seminare. Da ist es geradezu erstaunlich, dass in der Führung von SDI in den letzten Jahren nur sehr wenige Änderungen stattgefunden haben. Bei einigen Mitgliedern ist im Gegenteil die Bereitschaft vorhanden, über das Engagement bei SDI hinaus andere ehrenamtliche Funktionen bei verschiedensten Hilfsorganisationen anzunehmen.

Grenzen erfahren

Allerdings bleibt die Leitung einer Organisation mit zehn Kliniken und einem Jahresbudget von mehr als zweihunderttausend Franken ein schwieriges Unterfangen, und man könnte sich ernsthaft fragen, ob dies Laien überhaupt möglich ist. Hinzu kommen die Autoritätsprobleme bei Meinungsverschiedenheiten zwischen der Direktion und einzelnen Projektleitern. Einem unbezahlten Mitarbeitenden gegenüber hat man praktisch kein Druckmittel in der Hand, und die Betroffenen reagieren gerade wegen Ihrer Bereitschaft, als Freiwillige zu arbeiten, auf Kritik äusserst sensibel.

Andererseits ist die Einstellung von bezahlten Mitarbeitern für SDI kein Thema, denn dadurch würde einerseits die Gleichbehandlung aller Mitglieder beendet und andererseits das Budget übermässig stark strapaziert. Glücklicherweise ist die Materie, mit der wir als Projektleiter in Afrika zu tun haben, zum grössten Teil unser ureigenstes Gebiet, nämlich das Führen einer Zahnarztpraxis . Hier sind wir als Zahnärzte Profis und die Kompetenz von SDI kann durch kein anderes Hilfswerk so leicht ersetzt werden. Sicherlich kann man auch als Einzelkämpfer irgendwo ein Klinik aufbauen. Für die Kontinuität des Projektes ist jedoch die Eingliederung in eine Organisation wie SDI essentiell, denn dort liegt das "know how" von über zwanzig Jahren. Dies ist inzwischen auch in Afrika bekannt, denn immer wieder gelangen Anfragen für die Einrichtung einer neuen Klinik an Secours Dentaire International.

Die Zukunft sichern

Die Geschichte von der Freiwilligenorganisation Secours Dentaire International ist im Ganzen gesehen eine Erfolgsgeschichte. Die Konzepte haben nichts von ihrer Gültigkeit verloren, die meisten Kliniken laufen bereits seit mehr als zehn Jahren, und wir sind bisher von Skandalen aller Art verschont geblieben. Dies ist wohl der Hauptgrund für die ungebrochene Bereitschaft der vielen Freiwilligen mitzuarbeiten, wenn auch der Erhalt von Bestehendem weniger attraktiv ist als die Errichtung von Neuem. Wir können uns auch glücklich schätzen, dass wir in den letzten Jahren dank grosszügiger Zuwendungen von verschiedenster Seite keine grösseren finanziellen Sorgen hatten.

Mit der Ankündigung der Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit DEZA als einem der grösstem Geldgeber von SDI, die Unterstützung per Ende 2000 aufzukündigen, könnte die Entwicklung von SDI eine Wende nehmen. Wenn dieser Entscheid nicht revidiert werden kann und wenn es SDI nicht gelingt, alternative Geldgeber zu finden, werden drastische Sparmassnahmen notwendig sein. Dies könnte dazu führen, dass die Projektleiter künftig nicht nur die jährlichen Reisen zu den Kliniken, sondern auch möglicherweise Teile des Unterhaltes der Kliniken aus der eigenen Tasche bezahlen müssten. Damit dürfte wohl für einige der Punkt gekommen sein, an dem sie ihren Status als Freiwillige überdenken.

*Dr. Michael Willi ist Projektleiter von SDI für Tanzania. Informationen und Kontakt: www.medicusmundi.ch/sdi ; michael.willi@sunweb.ch