Ohne Gesundheit keine nachhaltige Entwicklung

Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung

Von Michael Gerber

Am 25. September 2015 verabschiedeten die 193 Mitgliedstaaten der UNO die Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung. Mehr als 140 Staats- und Regierungschefs waren persönlich präsent – mehr als je zuvor an einem UNO-Gipfeltreffen in New York – und setzten damit ein starkes politisches Zeichen für die nachhaltige Entwicklung.

Lesezeit 4 min.
Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung

Palais des Nations, Genf (Foto: United Nations Photo/flickr)


Kern der Agenda 2030 sind die 17 Ziele für nachhaltige Entwicklung (Sustainable Development Goals, SDGs). Sie treten an die Stelle der Millenniumsentwicklungsziele (2000-2015) und vereinen sozio-ökonomische Entwicklungsfragen mit den umweltpolitischen Anliegen der Rio-Agenda seit dem Erdgipfel 1992. Neu ist, dass die Ziele universelle Gültigkeit haben, wodurch jedes Land aufgefordert ist, zu deren Erfüllung beizutragen.

Dieser Paradigmenwechsel gründet auf der Erkenntnis, dass globale Herausforderungen gemeinsamer, länderübergreifender Antworten bedürfen. Gerade die Verbreitung von Ebola in Westafrika in den letzten zwei Jahren hat aufgezeigt, dass Gesundheitskrisen keine nationalen Grenzen kennen. Sowohl die Länder des Südens als auch des Nordens sind in solchen Fällen dazu aufgerufen, gemeinsame Verantwortung zu übernehmen.

Ein weiterer Aspekt der SDGs, der uns zwingt, bisherige Denk- und Handlungsmuster zu überwinden, ist ihr integrativer Charakter: Die drei Dimensionen des Nachhaltigkeitskonzepts – Wirtschaft, Soziales und Umwelt – ziehen sich durch die gesamte Agenda und finden sich zugleich in jedem einzelnen Ziel. Dadurch lässt sich kein Ziel mehr verfolgen, ohne gleichzeitig relevante Aspekte anderer Ziele zu berücksichtigen. Um beim Beispiel von Ebola zu bleiben: Aus einer Nachhaltigkeitsperspektive reicht es nicht aus, die Krankheit zu behandeln und ihre Übertragung zu verhindern. Es muss sichergestellt werden, dass nationale und lokale Gesundheitssysteme künftig über Ressourcen und Kapazitäten verfügen, umgehend und wirkungsvoll auf eine solche Krise reagieren zu können. Die Ursachen der Entstehung und Weiterverbreitung müssen erforscht, entsprechende Massnahmen und Medikamente entwickelt, der Zugang zu entsprechenden Gesundheitsdienstleistungen für alle Menschen gleichermassen gesichert werden. Der öffentliche und der private Sektor müssen dabei eng zusammenarbeiten.

Erfolgreiches Verhandlungsengagement der Schweiz

Dass es gelungen ist, dieser Komplexität in einem hochpolitisierten Verhandlungsprozess gerecht zu werden, ist nicht ganz selbstverständlich. Mehr als drei Jahre arbeiteten Vertreterinnen und Vertreter von Staaten, Zivilgesellschaft, Privatwirtschaft, internationalen Organisationen und Politik an der Ausgestaltung der neuen Agenda für nachhaltige Entwicklung. Dabei wurde schnell klar, dass der Gesundheit eine zentrale Rolle zukommen muss, da sie sowohl Mittel als auch Zweck der nachhaltigen Entwicklung ist.

Aus diesem Grund gehörte das Thema Gesundheit zu den Schwerpunkten des Schweizer Engagements in den zwischenstaatlichen Verhandlungen der Agenda 2030. Wir setzten uns von Beginn an für ein umfassendes Gesundheitsziel ein, das von den Grundsätzen der Universalität und der Integration geleitet wird. Das heutige SDG 3 „Ein gesundes Leben für alle Menschen jeden Alters gewährleisten und ihr Wohlergehen fördern“ widerspiegelt denn auch die wichtigsten Schweizer Anliegen:

  • Die mit den Millenniumsentwicklungszielen verfolgten Anstrengungen werden fortgesetzt, insbesondere in den Bereichen der Kinder- und Müttersterblichkeit sowie übertragbarer Krankheiten wie HIV/AIDS, Tuberkulose und Malaria.
  • Neu wird auch nicht-übertragbaren Krankheiten die ihnen gebührende Aufmerksamkeit gewidmet.
  • Ein Unterziel des SDG 3 verlangt den universellen Zugang zu Dienstleistungen im Bereich reproduktiver und sexueller Gesundheit.
  • Eine universelle Abdeckung mit Gesundheitsdienstleistungen (Universal Health Coverage) wird als notwendige Bedingung zum Erreichen des Ziels 3 definiert.
  • Nicht nur Krankheiten an sich, sondern auch deren soziale, politische, ökologische und ökonomische Determinanten, beispielweise Drogenkonsum, Wasser-, Luft- und Bodenverschmutzung etc., werden berücksichtigt.

Universelle und integrierte Gesundheit

Demnach bedarf es für die Erfüllung des Gesundheitsziels – entsprechend der Schweizer Forderung – einer integrativen und universellen Herangehensweise: Das Ziel soll nicht isoliert betrachtet und umgesetzt werden. Es muss stets berücksichtigt werden, wie sich andere Ziele auf das Erreichen des Gesundheitsziels auswirken und welche Folgen die Anstrengungen im Gesundheitsbereich auf andere Ziele haben. Denn es liegt auf der Hand: Ohne Fortschritte im Gesundheitssektor können die SDGs nicht verwirklicht werden. Gleichzeitig kann das Ziel 3 nicht erreicht werden, ohne sich auch den Krankheitsursachen zu widmen, die in vielen anderen Zielen ihren Niederschlag finden.

Das Beispiel von Gesundheitsschäden aufgrund von Luftverschmutzung in chinesischen Grossstädten macht deutlich, worum es hier geht: Es reicht nicht, den Bürgerinnen und Bürgern Asthma-Medikamente oder Atemschutzmasken zu verabreichen, ohne gleichzeitig auf eine Verbesserung der Luftqualität hinzuwirken. Entsprechende Unterziele finden sich in den Zielen zu nachhaltigen Städten und Siedlungen (SDG 11) sowie Nachhaltigkeit in Konsum und Produktion (SDG 12).

Anyang City, China: Die Stadt ist bekannt für seine Luftverschmutzung (Foto: V.T. Polywoda/flickr)


Die Arbeit beginnt erst – für alle Akteure

So erfolgreich die Ausarbeitung der Agenda 2030 und das Verhandlungsengagement der Schweiz waren, die tatsächliche Arbeit beginnt erst jetzt und möglichst alle sollen beitragen: Privatwirtschaft, Wissenschaft, Politik und Zivilgesellschaft. Dabei stellt sich uns in der internationalen Zusammenarbeit unter anderem die Frage: Wie lassen sich bestehende „Silos“ überwinden und können die relevanten Akteure künftig besser zusammenarbeiten.

Auf multilateraler Ebene würde dies zum Beispiel bedeuten, dass die Weltgesundheitsorganisation (WHO) von nun an stärker mit dem UNO-Umweltprogramm (betreffend die Umweltdeterminanten von Gesundheit) und der Welthandelsorganisation (WTO) (betreffend den Handel mit Medikamenten) zusammenarbeitet und Projekte durchführt. In der Wissenschaft gilt es, die fakultätsübergreifende Zusammenarbeit weiter zu fördern, während der öffentliche und der private Sektor noch direkter kooperieren müssen, um eine grössere Wirkung zu entfalten. Gerade im Gesundheitssektor werden solche Multi-stakeholder-Ansätze immer wichtiger.

Auch Nichtregierungsorganisationen können und sollen sich engagieren, indem sie etwa zur Bekanntmachung der Agenda 2030 in der Öffentlichkeit beitragen, ihre Projekte nach den Grundsätzen der Universalität und der Mehrdimensionalität ausrichten und/oder ihre wichtige Advokatenrolle wahrnehmen und bei den Regierungen Rechenschaft für die Umsetzung der Agenda 2030 einfordern.

Das Netzwerk Medicus Mundi Schweiz hat sich seit Beginn der internationalen Diskussionen zur Agenda 2030 engagiert. Auf das Netzwerk sowie auf dessen einzelne Mitglieder konnten wir uns in den Verhandlungen an der UNO stets stützen. Ich bin zuversichtlich und dankbar, nun auch bei der Umsetzung weiterhin auf die wertvolle Arbeit dieser Gemeinschaft zählen zu können.

Es braucht alle Akteure, um die ehrgeizigen Ziele zu erreichen. Die Agenda 2030 bietet uns allen einen gemeinsamen Wegweiser für eine friedliche und gesunde Welt. Folgen wir ihm.

Michael Gerber
Michael Gerber
Botschafter, Sonderbeauftragter für globale nachhaltige Entwicklung
Eidgenössisches Departement für auswärtige Angelegenheiten EDA, Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit DEZA,