Botschaft zur Internationalen Zusammenarbeit 2013-2016

Verpflichtungen für eine Globalisierungsgewinnerin

Von Nina Schneider

In der Sommersession bekannte sich der Nationalrat mit einer satten Zweidrittelmehrheit zur Botschaft des Bundesrates über die internationale Zusammenarbeit 2013-16 und bekräftigte damit den letztjährigen Entscheid, das Entwicklungsbudget bis 2015 auf 0,5 Prozent des Bruttonationaleinkommens (BNE) zu erhöhen. Damit positioniert sich die Schweiz weiterhin im Mittelfeld der europäischen Staaten und noch nicht an der Spitze, wo sie bezüglich ihrer Wirtschaftskraft hingehört.

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Nach dem positiven Entscheid des Nationalrats geht die Botschaft nun an den Ständerat, der in der Herbstsession darüber abstimmen wird. Bereits ist abzusehen, dass der nötige Zuwachs von jährlich rund 9 Prozent, um 2015 die 0,5 Prozent zu erreichen, für Diskussionen sorgen wird. Das ist der höchste Budgetzuwachs – allerdings auf drei Jahre begrenzt – während andere Wachstumsbereiche des Bundeshaushaltes wie die Bildung weniger starke, aber zeitlich vorderhand nicht begrenzte Zuwächse kennen. Im Vordergrund steht dabei der Rahmenkredit für Bildung und Forschung. Die zuständige Kommission des Ständerates beantragte, diesen Rahmenkredit (2013-16) um 292,2 Millionen Franken über den Vorschlag des Bundesrats hinaus zu erhöhen. Damit würde die Schuldenbremse geritzt – einige Kommissionsmitglieder meinen nun, die gewünschten Mehrausgaben für Bildung und Forschung sollten zulasten der Internationalen Zusammenarbeit (IZA) kompensiert werden. Da gibt es noch einige Überzeugungsarbeit zu leisten.

Die Schweiz gehört zur Spitzengruppe der Globalisierungsgewinner: Sie erzielt im Aussenhandel mit den Entwicklungsländern einen positiven Handelsbilanzsaldo von 20 Millionen Franken (2010). Zudem gingen den Entwicklungsländern bis zur Finanzkrise von 2008ff. wegen der Steuerflucht in die Schweiz jährlich rund 5 Milliarden an Steuereinnahmen verloren. Daraus ergibt sich eine klare Verpflichtung, sich entsprechend der Leistungskraft am internationalen Lastenausgleich zu beteiligen.

Was ist Neu an der Botschaft 2013-16

Erstmals unterbreitet der Bundesrat dem Parlament alle Rahmenkredite der internationalen Zusammenarbeit (IZA) zusammen und begründet sie in einer gemeinsamen Botschaft. Bisher war es üblich, die Rahmenkredite für humanitäre Hilfe, Ost- und Südzusammenarbeit über die ganze Legislatur verteilt dem Parlament zu unterbreiten.

Dazu haben sich die Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit (Deza) und die Entwicklungsabteilung des Staatssekretariats für Wirtschaft (Seco) erstmals auf fünf gemeinsame strategische Ziele geeinigt: Die gesamte Schweizer IZA soll Krisen, Konflikte und Katastrophen vorbeugen und überwinden helfen; Zugang zu Ressourcen und Dienstleistungen für alle schaffen; nachhaltiges Wirtschaftswachstum för¬dern; die Transition zu demokratischen, marktwirtschaftlichen Systemen unterstützen und eine entwicklungsfördernde, um¬weltschonende und sozialverträgliche Globalisierung mitgestalten.

Gleichzeitig hielt man an der Entflechtung der Schwerpunktländer zwischen Deza und Seco fest, die im Grundsatz schon 2007 beschlossen worden war. Während die Deza sich mit humanitärer und technischer Hilfe der Not in zehn der weltweit ärmsten Länder und zehn fragilen Regionen annimmt, ist das Seco mit seiner Finanz- und Handelsförderung in Ländern mittleren Einkommens tätig.

Mehr Kohärenz zwischen den Bundesämtern

In Antwort auf die Empfehlungen des Entwicklungsausschusses der OECD widmet die Botschaft einer möglichst kohärenten Aussenpolitik für eine nachhaltige globale Entwicklung ein ganzes Kapitel. Sie verspricht ökologische, soziale und, ökonomische Interessenkonflikte zwischen der Entwicklungspolitik und anderen aussenpolitischen Zielsetzungen des Bundes weniger als bisher zulasten der Entwicklungsländer zu lösen. Damit diesen Worten aber auch Taten folgen, wird weiterhin Druck von der Zivilgesellschaft notwendig sein. Insbesondere die Aussenwirtschaftspolitik ist dafür bekannt, öfter mit den entwicklungspolitischen Zielen des Bundes in Konflikt zu geraten. Immer noch enthalten die meisten bilateralen Freihandels- und Investitionsabkommen keine verbindlichen Auflagen zur Einhaltung von Menschen- und Umweltrechten. Diese gilt es in allen Bereichen der Aussenpolitik jedoch entschieden zu stärken.

Armutsbekämpfung bleibt zentral

Die neue Botschaft betont, dass die Entwicklungszusammenarbeit weiterhin der Armutsbekämpfung in Entwicklungs- und Transitionsländern verpflichtet bleiben soll. Das entspricht den Bestimmungen von Gesetz und Verfassung und der Uno-Millenniumserklärung. Mit ihr hat die Staatengemeinschaft versprochen, bis 2015 den Anteil der Menschen, die unter dem absoluten Existenzminimum leben, zu halbieren.

Der Fokus Armutsbekämpfung entspricht aber auch innenpolitischer Logik: Wenn alle Schweizer Steuerzahlenden, auch die wenig Bemittelten, an die Entwicklungshilfe zahlen müssen, dann sollen die Nutzniessenden zu den vier Milliarden Menschen gehören, denen es deutlich schlechter geht als den Ärmsten unter uns. Anders als ein Transfer von Reich zu Arm lässt sich Entwicklungshilfe nicht begründen.

Neue Akzente in fragilen Staaten ...

Die Botschaft setzt auch einige neue Akzente. So will sich die Deza vermehrt in sogenannt „fragilen Kontexten“ engagieren. Gemeint sind Länder mit schwachen staatlichen Institutionen und ungelösten Fragen der Machtausübung und -verteilung. Laut Angaben der Weltbank leben 1.5 Milliarden Menschen in fragilen Kontexten – dort sind Armut, Recht- und Perspektivlosigkeit am meisten verbreitet. Typische Beispiele sind Somalia, ein Land ohne Staat, die Demokratische Republik Kongo oder Afghanistan. Der arabische Frühling 2011 hat die Anzahl fragiler Staaten vergrössert, nachdem Libyen, Tunesien und auch Syrien bis vor wenigen Jahren noch als sehr oder ziemlich stabile Staaten gegolten haben.

Die Deza glaubt, die Schweiz verfüge als neutrales Land ohne koloniale Vergangenheit über gute Voraussetzungen für eine wirkungsvolle Tätigkeit in diesen Regionen. Die enge Zusammenarbeit mit multilateralen Organisationen und die jahrzehntelange Erfahrung im humanitären Bereich würden sie dafür zusätzlich qualifizieren.

... in Nordafrika …

Einen neuen Anlauf nehmen die Deza und das Seco auch in den postrevolutionären Staaten Nordafrikas. Vor dem arabischen Frühling 2011 war lediglich Ägypten ein Schwerpunktland des Seco. Dies deshalb, weil Ägypten der Unterzeichnung des Freihandelsvertrags mit der Schweiz nur unter der Bedingung zustimmte, dass ihm Entwicklungshilfe gewährt würde. Die ägyptische Regierung betrachtet dies als Kompensation für die grossen Überschüsse, welche die Schweiz im Handel mit Ägypten erzielt (2010: 547 Mio. Franken). Nach dem Umsturz wird auch Tunesien zum Seco-Schwerpunktland. Die Deza ist hier ergänzend mit humanitärer Hilfe und in der Reintegration abgewiesener Asylsuchender tätig.

… und in der Migrationsaussenpolitik

In der Botschaft 2013-16 wird der Bundesrat aufgefordert, in allen aussenpolitischen Abkommen spezifische Interessen der Schweiz zu verankern. Die migrationspolitischen Eigeninteressen werden erstmals prominent hervorgehoben. Deza und Seco werden angewiesen, in Absprache mit dem Bundesamt für Migration (BFM) zu prüfen, ob das aussen- und wirtschaftspolitische En¬gagement der Schweiz im Rahmen eines Interessenausgleichs an Fortschritte bei der Zusammenarbeit im Migrationsbereich geknüpft werden kann. Insbesondere bei der Rückübernahme und der Bekämpfung der irregulären Migration seien konkrete Gegenleistungen oder Abkommen anzustreben.

Mit dieser Forderung geht die Botschaft ausserordentlich weit. Leistungen von der Bereitschaft eines Staates zur Rückübernahme abgewiesener Asylsuchender abhängig zu machen, ist faktisch unsinnig und politisch verwerflich. Aus aussenpolitischem Realismus lehnt gar der Bundesrat eine strikte Koppelung ab: Die Schweiz hätte höchstens bei kleinen unbedeutenden Ländern genügend Macht und Einfluss, um einseitig ihre Wünsche zu diktieren. Kommt hinzu, dass nur ein kleiner Prozentsatz der Asylsuchenden aus Schwerpunktländern der Schweizer Entwicklungszusammen¬arbeit stammt.

Migration ist eine Lebensrealität von weltweit rund 214 Millionen Menschen (UN DESA 2008) und Folge und Ursache von grossem Leid. Menschen fliehen vor Konflikten, Kriegen, Krisen und Katastrophen oder suchen – wie bis vor wenigen Jahrzehnten Millionen von EuropäerInnen – ein besseres Leben. Die internationale Zusammenarbeit ist ein Instrument, um solchen Ursachen mit zielgerichteten Programmen zu begegnen. Dies kann auch für Migrationspartnerschaften gelten, sofern sie entwicklungsfreundlich umgesetzt sind.

Neue Globalprogramme

Vor vier Jahren initiierte die Deza vier Globalprogramme, und zwar zu Klimawandel, Wasser, Ernährungssicherheit und Migration (siehe oben). In diesen Themenfeldern will die Deza fachliche Kompetenz aufbauen und auf internationale Organisationen und Abkommen Einfluss nehmen, Pilotprojekte fördern, wegweisende Lösungen aufzeigen sowie Knowhow für die konkrete Arbeit in den Schwerpunktländern generieren. In der Botschaft 2013-16 werden sie um das neue Globalprogramm „Gesundheit“ ergänzt. Bestehende Programme des Seco werden neu im sechsten Globalprogramm „Finanzen und Handel“ zusammengefasst und widmen sich der Handelsförderung und dem Aufbau von effizienten Steuersystemen.

Die Globalprogramme rücken die wichtigsten globalen Herausforderungen ins Zentrum. Wichtig wäre es, diese Programmbereiche mit Bemühungen zur Verbesserung der Rahmenbedingungen zu ergänzen. So sollte die IZA zum Beispiel darauf hinwirken, dass die Gewinne aus dem Rohstoffabbau der Bevölkerung zugute kommen. Ähnliches gilt für die Durchsetzung der Grundrechte auf Wasser, Bildung und Gesundheit.

Kritisch begleiten sollte die Öffentlichkeit Globalprogramme in Ländern, in denen die Schweiz grosse wirtschaftliche Interessen verfolgt, aber wegen deren Wirtschaftskraft keine eigentlichen Entwicklungsprogramme legitimieren kann. So zum Beispiel klimarelevante Projekte in China und Indien, die Schweizer Unternehmen neue Perspektiven bieten, aber möglicherweise wenig entwicklungswirksam sind.

Klimapolitische Massnahmen separat finanzieren

Dürre, Wirbelstürme und überflutete Küstenregionen: Die Entwicklungsländer leiden unter der globalen Klimaerwärmung weit mehr als die Verursacher, die Industrienationen. Die veränderten klimatischen Bedingungen stellen arme Länder vor enorme Anpassungsprobleme. Sie müssen den Nahrungsmittelanbau radikal umstellen, neue Siedlungsgebiete erschliessen, Dämme bauen und Frühwarnsysteme einrichten. Zur Linderung all dieser Risiken will die IZA im Rahmen der Globalprogramme innovative Projekte lancieren. Denn Klimaveränderungen sind besonders da spürbar, wo Menschen in ihrem Lebensunterhalt direkt von der Natur abhängen, das gilt für 70 Prozent der Armutsbetroffenen.

Allerdings sollten Anpassungsprogramme an den Klimawandel nach dem Verursacherprinzip finanziert werden und aus neuen zusätzlichen Mitteln stammen. Es darf nicht sein, dass die Klimaverpflichtungen der Schweiz, die sich aus den laufenden Klimaabkommen ergeben, bei der IZA zulasten der Armutsbekämpfung kompensiert werden.

Die Aufgabe der IZA liegt darin, alle ihre Entwicklungsprogramme ökologisch nachhaltig auszurichten sowie Sensibilisierungsarbeit zum Einsatz erneuerbarer Energien und einer effizienten Ressourcennutzung zu leisten. Entwicklungspolitisch sinnvolle Anpassungsprojekte erfordern zudem eine massgebliche Mitsprache der Entwicklungsländer und ihrer Bevölkerung, sowie unabhängige Kontroll- und Evaluationsmöglichkeiten. Auch hier könnte die Deza dank ihrer Basisnähe gute Koordinationsarbeit leisten.

Zusammenarbeit mit dem Privatsektor

Ganz im weltweiten Trend, will die Schweiz auch ihre Zusammenarbeit mit dem Privatsektor stärken. Laut Botschaft „hat die Evaluation der Millenniumsentwicklungsziele 2010 bestätigt, dass die Überwindung der Armut und dringlicher globaler Probleme nur in Zusammenarbeit mit dem Privatsektor möglich ist“. Deshalb will nun die Deza, neben der Privatsektorförderung im Süden, vermehrt so genannte öffentlich-private Entwicklungspartnerschaften (PPDP) mit Schweizer Unternehmen eingehen. Konkret bedeutet das: Multinationale Konzerne der Schweiz erhalten Finanzmittel der internationalen Zusammenarbeit, um in armen Ländern profitorientierte Aktivitäten mit einem starken entwicklungspolitischen Nutzen aufzubauen.

Fachleute aus der Zivilgesellschaft befürchten, solche Partnerschaften könnten die Mitsprache der HilfsempfängerInnen beschneiden und neue Abhängigkeiten schaffen, die für lokale Regierungen und ihren Institutionen weder überschaubar noch kontrollierbar sind. Kritisiert wird weiter, die Privatsektorförderung könnte zu Lasten des öffentlichen Sektors eine fehlgeleitete Privatisierungspolitik zementieren.

Bei der Deza ist man sich solcher Risiken bewusst. In einem Grundsatzpapier von 2009 verpflichtet sie sich, nur Partnerschaften einzugehen, die eindeutig die Armut reduzieren, keine lokalen Initiativen verdrängen und positive Auswirkungen auf öffentliche Institutionen und deren Problemlösungskompetenz zeigen. Dennoch sollte die Öffentlichkeit Einblick verlangen und überwachen, dass über PPDPs keine Entwicklungsgelder in die Wirtschaftsförderung sickern. Die Schweiz wäre auch gut beraten, für die Zusammenarbeit mit Privatunternehmen Qualifikationskriterien zu definieren und vor Abschluss neuer Partnerschaften, in Zusammenarbeit mit der lokalen Zivilgesellschaft, mögliche Auswirkung auf die Menschenrechtslage zu prüfen.

Fazit – Solidarität mit den Ärmsten

Mit ihrer programmatischen Ausrichtungen stösst die Botschaft des Bundesrates nicht nur beim Nationalrat sondern auch bei den Hilfswerken auf grosse Zustimmung. Sie bekennt sich zur langen Tradition humanitären und solidarischen Handelns und ist auf globale Herausforderungen wie Armutsbekämpfung oder Schutz der globalen öffentlichen Güter fokussiert. Sie verfolgt die richtigen Schwerpunkte, setzt ihre Mittel effizient und effektiv ein, arbeitet partnerschaftlich und wirkungsorientiert. Die der Strategie zugrunde liegende Analyse der weltwirtschaftlichen und politischen Verschiebungen, der globalen Krisen und der Armutssituation ist differenziert und treffend. Im Wissen um den eigenen Wohlstand zeigt sich die Schweiz um einen Augleich bemüht mit Menschen, die in Armut leben, die zu Opfern von Gewaltkonflikten und Katastrophen werden und an den Errungenschaften der Globalisierung nicht teilhaben können. Mit all diesen Ansätzen und ihrer Uneigennützigkeit hat sich die Schweizer Entwicklungshilfe weltweit einen guten Ruf geschaffen. Entscheidend ist deshalb, dass die Schweiz künftig nicht nur ihre Umwelt, Friedens- oder Menschenrechtsarbeit entwicklungspolitisch kohärent ausrichtet, sondern auch ihre Wirtschafts- und Steueraussenpolitik.

Alliance Süd hofft, dass der Ständerrat der Botschaft ohne Abstriche zustimmt.

*Nina Schneider arbeitet bei Alliance Sud und ist zuständig für das Dossier Entwicklungspolitik. Kontakt: Nina.Schneider@alliancesud.ch

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