Wanderarbeiter aus Lesotho in den Minen Südafrikas

Sie bringen Geld nach Hause... und zudem eine Staublunge oder Aids

Von Rudolf Fischer und Pontso Monese

Wie andere an Ressourcen arme, kleine Territorien dieser Welt lebt Lesotho zu einem guten Teil von den Geldüberweisungen seiner Bürger, die ins Ausland ausgewandert sind und mit ihren Zahlungen ins Heimatland die dort zurückgebliebene Familie unterstützen. Der Fall Lesothos unterscheidet sich von anderen Ländern dadurch, dass der Grossteil der Wanderarbeiter einer bestimmten Berufskategorie angehört, den Bergarbeitern.

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Die Migration zur Arbeit nach Südafrika hat in Lesotho eine lange Tradition. Schon um 1860 fanden es die Behörden der damaligen Vorgängerstaaten des heutigen Südafrika nötig, den Zufluss (schwarzer) Wanderarbeiter gesetzlich zu regeln. Während die Wanderarbeit bei den Männern am Anfang landwirtschaftlichen Beschäftigungen galt und deshalb saisonal blieb, gab es ab ca. 1890 vermehrt industrielle Beschäftigungsmöglichkeiten in Südafrika, welche die Männer aus Lesotho veranlassten, über längere Zeiten zu migrieren. Das gleiche galt auch für Frauen aus Lesotho, die in Südafrika als Hauspersonal tätig waren. Während in der Anfangsphase das Einkommen aus der Wanderarbeit die Erträge aus dem heimischen Landwirtschaftsbetrieb ergänzten, kehrte sich dieses Verhältnis etwa in den 1920er Jahren um: Die Wanderarbeit in Südafrika wurde vermehrt zur Haupterwerbsquelle, als die Landwirtschaft in Lesotho wegen der steigenden Einwohnerzahl und der Bebauung zunehmend marginaler Böden die ländliche Bevölkerung nicht mehr zu ernähren vermochte.

Die Arbeit in den Minen wird knapp

Über den volkswirtschaftlichen Nutzen oder Schaden der Wanderarbeit gibt es eine epische wissenschaftliche und politische Debatte Die Bedeutung für die Wirtschaft Lesothos steht ausser Frage: Die Höchstzahl der in den Minen Südafrikas beschäftigten Bergarbeiter Lesothos wurde in den 1970 er Jahren erreicht und betrug etwa 115'000. Diese Zahl konnte sich bis etwa Mitte der achtziger Jahre halten und hat seither mehr oder weniger kontinuierlich abgenommen. Der Grund für diesen Rückgang liegt in der abnehmenden Rentabilität der Gruben, namentlich der Goldminen, und - seit dem Ende der Apartheid - in einer Präferenz für einheimische Arbeitskräfte in Südafrika.

Die Proportionen dieser Entwicklung werden dann besonders deutlich, wenn man die Zahl der in den Minen Südafrikas Beschäftigten der Gesamtzahl der Männer in Lesotho gegenüberstellt: 1976 hatte fast jeder zweite männliche Bürger Lesothos in der Altersgruppe 20-54 eine Anstellung in den Gruben Südafrikas, während es 1986 nur noch 38 Prozent waren, und im Jahr 2000 werden es vielleicht noch 15 Prozent sein.

Wie meistens und überall, wenn Arbeitsplätze abgebaut werden, trifft es zunächst die unqualifizierten Arbeitskräfte. Während die von Südafrika nach Lesotho überwiesenen Beträge von Bergarbeitern absolut abnehmen, steigt der durchschnittliche Betrag pro Arbeiter. Dies deutet darauf hin, dass die besser qualifizierten, höher bezahlten Bergarbeiter aus Lesotho nach wie vor in Südafrika ihr Auskommen finden, weil sie - zumindest im jetzigen Zeitpunkt - noch nicht durch einheimische Arbeitskräfte ersetzbar sind.

Die volkswirtschaftliche Bedeutung der Minenarbeit für Lesotho lässt sich daran ablesen, dass die Geldüberweisungen der Bergarbeiter Mitte der 80er Jahre fast 45 Prozent des Bruttosozialprodukts ausmachten, inzwischen immerhin noch etwa 30 Prozent. Lesotho hatte denn in der jüngeren Vergangenheit nie Probleme mit Devisenreserven, weil aufgrund eines zwischenstaatlichen Abkommens 30 Prozent der Nettosaläre der Bergarbeiter von den Unternehmen auf ein Konto in Lesotho überwiesen werden müssen. Wie Studien gezeigt haben, bringen die Bergarbeiter allerdings nicht nur diesen "Pflichtteil" ihres Einkommens nach Lesotho zurück, sondern im Durchschnitt sogar fast 70 Prozent.

Generationen von Familien ohne Väter

Für Generationen von Menschen in Lesotho wurde die Wanderarbeit zur existentiellen Erfahrung. Dies nicht nur für die Migranten selbst, sondern ebenso sehr für ihre Familien. Durch eine berufliche "Karriere" in den Minen sind ganze Generationen von Männern im besten Erwerbsalter für Jahrzehnte von zuhause abwesend. Während ihre aktiven Arbeitslebens kommen sie nur für die Ferien nach Hause, sie sind deshalb nicht in der Lage, ihren Anteil an Arbeit in Haus und Hof zu leisten. Wenn sie für kurze Perioden nach Hause kommen, ruhen sie sich vor allem aus. Am Ende ihres Arbeitslebens können sie keinen bedeutsamen Beitrag mehr zum Unterhalt ihrer Familie oder zur Wirtschaft Lesothos leisten. Sie sind dann entweder krank und beanspruchen staatliche Dienstleistungen, für die sie nie einen Beitrag entrichtet haben, da sie ihre Einkommenssteuer in Südafrika bezahlt haben. Sie verfügen ach nicht über die notwendigen Fähigkeiten, um sich zum Beispiel in einer handwerklichen Tätigkeit nützlich zu machen, da sie dies nie gelernt haben.

Die Abwesenheit der Väter hat dazu geführt, dass ein Familienleben nicht stattfindet. Manche Familien werden von den abwesenden Männern finanziell vernachlässigt; Fälle von Verwahrlosung von Kindern sind häufig. Die Frauen und Mütter in Lesotho sind dadurch zu den wichtigsten Entscheidungsträgern in Haus, Hof und Familie geworden. Dadurch haben sie Ansehen gewonnen und eine Selbstsicherheit, die man nicht überall in Afrika antrifft. Es wird auch gesagt, die Aussicht, für unqualifizierte Arbeit in den Minen einen relativ guten Lohn zu erhalten, habe die männlichen Jugendlichen in Lesotho davon abgehalten habe, gute schulische Leistungen anzustreben. Da die Knaben und Jungen in Lesotho auch als Viehhirten gefragt sind, was ein anderer Grund ist, nicht zur Schule zu gehen, hat dies zur Folge, dass heute die meisten mittleren Kaderstellen in den modernen Unternehmungen Lesothos mit Frauen besetzt sind, die dort im allgemeinen ausgezeichnete Arbeit leisten.

Gesundheitliche Belastungen

Durch die Trennung der Männer von ihren Frauen und Familien ergaben und ergeben sich auch gesundheitliche Belastungen und Risiken. Im St. Joseph’s Hospital in Roma, Lesotho, werden immer wieder Wanderarbeiter behandelt. Ihre hauptsächlichen Gesundheitsprobleme sind:

  • Erkrankungen der Atemorgane
  • Hörschäden
  • HIV/Aids und Folgekrankheiten
  • Verletzungen

Erkrankungen der Atemorgane wie z.B. Pneumoconiosis ergeben sich bei fast allen Minenarbeitern nach einer gewissen Zeit unter Tag. Typische Symptome sind anhaltender Husten und Atemnot. Schirmbildaufnahmen zeigen deutliche Veränderungen der Lunge. Daneben gibt es auch Fälle von Tuberkulose. Arbeiter, die an den typischen Berufskrankheiten leiden, werden meist schon in den Minen behandelt und werden zum Teil nach Hause geschickt, um ihre Krankheit auszukurieren. Wenn es eindeutig ist, dass die Erkrankung eine Folge der Minenarbeit ist, werden sie von ihren Arbeitgebern auch entschädigt. Ebenfalls eine direkte Folge der Arbeitbedingungen sind die häufigen Hörschäden.

Die von ihren Frauen getrennt lebenden Männer (bis vor kurzem war ein "Familiennachzug" an den Arbeitsort in Südafrika nicht möglich) gründeten oft am Arbeitsort eine zweite Familie. Homosexuelle Beziehungen unter Bergarbeitern aus Lesotho in Südafrika sind gut dokumentiert. Beides hat zweifellos zu der rasanten Ausbreitung von Aids beigetragen (siehe Kasten). In den letzten drei, vier Jahren sind denn auch einige Arbeiter mit Symptomen, die auf eine HIV-Infektion zurückzuführen sind (Tuberkulose, Meningitis), im St. Joseph’s Hospital behandelt worden. HIV-Infizierte zeigen sich oft verwirrt und leiden unter Verhaltenstörungen. Ihre Verwandten bringen sie deshalb in vielen Fällen zunächst zu den traditionellen Heilern. Wenn sie dann ins Spital eintreten, sterben sie oft innert weniger Tage.

Die im Spital behandelten Verletzungen entstehen in der Regel nicht in den Minen selbst, sondern auf dem Heimweg: Arbeiter, die am Wochenende ihre Familien in oft entlegenen Orten besuchen, werden Opfer von Strassenräubern, die es auf ihr Geld abgesehen haben, oder lassen sich in den von ihnen gerne besuchten Trinkhallen in Schlägereien verwickeln. Ein weiteres trauriges Phänomen: Während der Wochenendbesuche der Minenarbeiter kommt es auch vor, dass ihre Ehefrauen das Spital aufsuchen: Sie leiden unter unspezifischen Beschwerden, die wohl häufig Folge von ehelichen Streitereien sind. Einige müssen auch behandelt werden, weil sie von ihren Männern misshandelt wurden.

Rudolf Fischer ist Geschäftsführer von SolidarMed. Pontso Monese ist Chefärztin des St. Joseph’s Hospital in Roma, Lesotho. Ihr Beitrag ist ein Zusammenzug zweier Artikel aus den "SolidarMed Notizen" Nr. 21 vom 15. Mai 1999.

HIV/AIDS and migrant workers in South Africa:

A Squatter Camp near East Driefontein Gold Mine...

A squatter camp, just a 10-minute walk from the East Driefontein gold mine, which has extracted more than 1.7 million pounds of gold from the earth: About 150 women in the camp get their piece of that fortune by selling herself to the miners. The going rate is 20 rand, about $3.25. But the women sometimes turn a john for as little as five rand, or 80 cents.

Places like this exist everywhere in Africa, with sex workers caught in the pincers of poverty. But perhaps nowhere on this continent are conditions as favorable to her profession as in South Africa's gold-mining towns. The miners, who migrate from all over southern Africa, are barracked in all-male hostels, in which a dozen or more men share rooms as small as 20-by-20 feet. Most can afford to visit their families no more than one weekend every other month. With such separations from wives and girlfriends commonplace, the sex trade flourishes - and so does HIV. Between 27 and 41 percent of miners around the town of Carletonville, where the East Driefontein mine is located, are HIV-positive. So are two-thirds of the women in so-called hot spots like this squatter camp. And at the regional hospital run by the mining giant Anglo American, Dr. Danie van Tonder says that deaths in mining hospitals used to occur mainly on the surgery ward, which cared for workers injured on the job. "But there's been a terrible change in the last five years," he says. "In surgery you cure people; on the medical wards you watch them die."

The Carletonville area is a key to understanding how HIV was able to spread so quickly in this country, which, just five years ago — when apartheid ended and Nelson Mandela became president — had alarming but still manageable rates of AIDS. Mark Lurie, a scientist with the country's Medical Research Council who is studying the effect of migration on the spread of the virus, explains how migrant labor has fueled its explosion: "If you wanted to spread a sexually transmitted disease, you'd take thousands of young men away from their families, isolate them in single-sex hostels, and give them easy access to alcohol and commercial sex. Then, to spread the disease around the country, you'd send them home every once in a while to their wives and girlfriends. And that's basically the system we have with the mines."

Auszug aus einem Feature von Mark Schoofs über Aids und Wanderarabeit in Südafrika. In: Village Voice, Ausgaben 17 und 18/1999, Internet http://www.villagevoice.com/features/9917/schoofs.shtml.