Konfliktsensitive Entwicklungszusammenarbeit mit dem „Do No Harm“ Konzept

Mit dem Bau eines Spitals Krieg stiften?

Von Marcel von Arx

Internationale Gesundheitszusammenarbeit ist mit ihren Projekten oft in Ländern und Regionen präsent, in welchen sich gesellschaftliche Konflikte zu bewaffneten Auseinandersetzungen zu entwickeln drohen. Wie müssen Projekte geführt sein, damit sie nicht Teil einer verhängnisvollen Konfliktspirale werden? Die Instrumente des „Do No Harm“ Konzeptes bieten hier wichtige Leitplanken.

Lesezeit 4 min.

Nach einer Überschwemmung oder einem Erdbeben brauchen die Menschen vor Ort dringend medizinische Versorgung oder ein Dach über dem Kopf. Helferinnen und Helfer von Staat und Zivilgesellschaft, national und international, sind unter oft schwierigen Bedingungen bemüht, diese Grundbedürfnisse schnell und wirksam zu decken. Die Humanitäre Hilfe will unmittelbar ‚Gutes’ tun.

Die Entwicklungszusammenarbeit leistet einen Beitrag zur Armutsreduktion. Schulen und Spitäler sollen qualitativ verbessert und möglichst allen Menschen zu erschwinglichen Preisen zugänglich gemacht werden. Mit lokalen und internationalen Akteuren sollen strukturelle Mängel, oft institutioneller Natur, nachhaltig verbessert werden. Die Entwicklungszusammenarbeit will dauerhaft ‚Gutes’ tun.

Auch die besten Absichten können jedoch ‚Schaden’ bewirken. Wie die Praxis zeigt, provoziert die Internationale Zusammenarbeit manchmal neue Konflikte und fördert oder verlängert bestehende Kriege.

Der ‚Do No Harm’ Ansatz ist ein Instrument, welches dazu dient, solche ungewollten, negativen Folgen der Humanitären Hilfe und der Entwicklungszusammenarbeit zu verhindern. Gemeinsam mit internationalen und lokalen Organisationen der Entwicklungszusammenarbeit und der Humanitären Hilfe entwickelt die amerikanischen NGO ‚Collaborative for Development Action’, CDA, das Instrument über Jahre hinweg.

Dabei geht es darum, ein Programm oder Projekt während seiner gesamten Dauer (Planung, Umsetzung, Monitoring, Evaluation) konsequent auf seinen Einfluss betreffend Krieg und Frieden hin zu überprüfen und allenfalls anzupassen. Es wird dabei verlangt, dass die Internationale Zusammenarbeit einen Konflikt nicht ausblendet, sondern ihn bewusst in ihre Arbeit mit einbezieht. So soll Alles getan werden, um durch die Intervention keinen ‚Schaden’ (‚Harm’) im Sinne einer Intensivierung des Konfliktes zu verursachen. Gleichzeitig sollen mögliche Potentiale zur Friedensförderung erkannt und ausgeschöpft werden. Was dies heisst, soll im Folgenden am Beispiel des Baus eines Spitals dargestellt werden.

„Dividers“ und „Connectors“ identifizieren

Ein Spital ist Teil seines Umfeldes, seines Kontextes. Dieser muss analysiert und verstanden werden, um die Bedürfnisse der lokalen Bevölkerung zu identifizieren oder das Gesundheitssystem vor Ort zu kennen. Am ‚Do No Harm’ Ansatz, der in Kriegs- und Krisengebieten entwickelt und vor allem dort angewendet wird, ist spezifisch, dass diese Kontextanalyse bestehende und mögliche Gewaltkonflikte in den Vordergrund stellt.

Es werden so genannte ‚dividers’ und ‚connectors’ identifiziert. ‚Dividers’ sind all die Faktoren, die bestehende Konfliktlinien in einer Gesellschaft verstärken oder Spannungen fördern. ‚Connectors’ hingegen sind Faktoren, welche die Menschen in einer Gesellschaft auch über bestehende Konfliktlinien hinweg verbinden und allenfalls einen Beitrag zum Frieden leisten. Dies können gemeinsame Interessen, Bedürfnisse oder Werte sein. Bei der Planung und dem Bau des Spitals werden ‚dividers’ neutralisiert und ‚connectors’ gefördert:

‚Traditional healers’ widersetzen sich dem modernen Spital, weil sie um ihre Existenz fürchten. Dank ‚Do No Harm’ Überlegungen werden die Ängste dieser potentiellen ‚dividers’ ernst genommen und es wird versucht, sie für den Bau des Spitals zu gewinnen, indem ihre Heilkunst in das Angebot des Spitals aufgenommen wird. Ansonsten würde der Bau des Spitals zu einer Marginalisierung ihres Berufsstandes beitragen, was wiederum zu Spannungen und Konflikten führen kann. Oder: Bei der Planung des Spitalbaus kann bewusst der Entscheid getroffen werden, ein modernes Krankenhaus in der Hauptstadt statt fünfzig ‚health posts’ auf dem Land zu bauen. Tatsächlich führt ein Spital im Zentrum oft zu einer noch grösseren ‚Schere’ zwischen Stadt und Land, was oft die Ursache von Konflikten ist. Oder: Es kann friedenspolitisch klug sein, das Spital in einem Distrikt mit einem hohen Prozentsatz einer diskriminierten Minderheit zu bauen, da der Einbezug derselben wahrscheinlich ein friedliches Zusammenleben fördert.

Transfer von Ressourcen: Profiteure und VerliererInnen

Beim Spitalbau kommt es automatisch zu einem Transfer von Ressourcen. Dieser ist materiell und immateriell. Einerseits werden Zement und Ziegelsteine gekauft, Arbeiterinnen und Arbeiter angestellt und die lokale Wirtschaft wird belebt (materiell). Anderseits werden Aufträge vergeben, es wird Land enteignet und Leute werden für die Arbeit angeheuert und oft ‚empowered’ (immateriell, oft allerdings mit materiellen Folgen).

Beim ‚Do No Harm’ Ansatz wird genau geprüft, welchen Einfluss dieser Transfer von Ressourcen auf die lokale Realität und Machtverhältnisse hat und vor allem, ob dadurch bestehende Konflikte gefördert oder neue Krisen provoziert werden. Beim Transfer von Ressourcen soll ebenfalls verhindert werden, dass ‚dividers’ gestärkt und ‚connectors’ geschwächt werden:

Wenn sämtliche Arbeiten an Firmen vergeben werden, die einer politischen Partei nahe stehen, kann dies zu Widerstand bei der Oppositionspartei führen und bestehende Spannungen zwischen den beiden Gruppen verschärfen. Oder: Die konsequente Umgehung der staatlichen Baubehörde zu Gunsten einer informellen Parallelstruktur gibt dieser eine Legitimierung, die den Staat unterhöhlt. Ein schwacher Staat wiederum hat schon oft zu gewalttätigen Konflikten geführt.

Die Bauherrschaft eines Spitals ist automatisch ein Akteur des Kontextes und damit der lokalen Realität. Es kann sich dabei um einen beachtlichen neuen Machtfaktor handeln, bei dem es um Geld und Prestige geht, mit Gewinnern und Verliererinnen. Aber auch durch so genannte ‚implicit ethical messages’, welche beim Bau des Spitals automatisch ausgesendet werden, werden der Kontext und das Umfeld mitgeprägt. Problematisch wird dies dann, wenn diese Botschaften die Kultur der Gewalt und des Krieges unterstreichen:

Fatale Botschaften

Die Architektin und der Ingenieur begegnen den Bauarbeiterinnen und Bauarbeitern mit Geringschätzung und sie gehen ihnen systematisch aus dem Weg, da sie sie als minderwertig betrachten. Oder: Der Ingenieur wird mit einem Loch im Kopf in ein ausländisches Spital transferiert, während die lokale Arbeiterin nach einem Beinbruch als Folge ihrer Arbeitsunfähigkeit ihren Job verliert. Oder: Der Korruptionsfall, in den die Architektin verwickelt ist, wird von der Bauherrschaft ignoriert und gedeckt, was den Verdacht auf Straflosigkeit bei den Eliten verstärkt. Oder: Die Verzögerung bei der Fertigstellung des Spitals wird vom Projekt mit der langsamen Arbeit und vielen Streiks entschuldigt und es werden keine Fehler in der Planung zugegeben. Die Botschaften, die hier ausgesendet werden, sind dieselben, die auch im Krieg dominieren: ‚Nicht jedes Leben ist gleichwertig’. Oder ‚Wer Unrecht tut, muss keine Folgen fürchten’. Oder ‚Der Stärkere braucht niemandem Rechenschaft abzulegen’.

Der ‚Do No Harm’ Ansatz empfiehlt, dass während dem gesamten Projektzyklus die Aktivitäten sowie deren ‚outputs’ und ‚outcomes’ mit konflikt-sensiblen Linsen hinterfragt und allenfalls angepasst werden. Oft wenden Praktiker und Praktikerinnen viele Überlegungen aus dem ‚Do No Harm’ Ansatz unbewusst und intuitiv an. Es handelt sich um Themen und Fragen, die sie im Verlauf eines Projektzyklus automatisch angehen und beantworten. Dies erstaunt nicht, weil der ‚Do No Harm’ Ansatz während Jahren direkt aus der Praxis heraus entwickelt wurde. Neu sind jedoch vor allem zwei Dinge: erstens die systematische Analyse und Einschätzung der Projektauswirkungen auf den Konfliktkontext und zweitens der Hinweis auf einen ‚blinden Fleck’ in vielen Kontextanalysen, d.h. auf diejenigen Dinge, welche die Menschen verbinden und damit lokale Friedenspotentiale sind.

*Marcel von Arx ist Programme Officer des Kompetenzzentrums Friedensförderung (KOFF) bei swisspeace. Kontakt: marcel.vonarx@swisspeace.ch

Ausgewählte Literatur

  • Mary B. Anderson: Do No Harm: How Aid Can Support Peace - Or War. Boulder 1999
  • Mary B. Anderson: Options for Aid in Conflict: Lessons from Field Experience. Boulder 2000

 

Trainingsangebot von Swisspeace/KOFF

27./28. August 2008: Sharing the Pain of a Bitter Past: Working on Trauma in Communtities affected by Mass Violence
24./25. September 2008: Reflecting on Peace Practice
22./23. Oktober 2008: Do No Harm
13./14. November 2008: Theory and Practice of Dialogue Facilitation

Informationen und Anmeldung: KOFF@swisspeace.ch