Advocacy für einen starken Global Fund

„Wenn es den Global Fund nicht gäbe, müssten wir ihn erfinden“

Von Helena Zweifel

Die Streichung der 11. Finanzierungsrunde, die Reaktion von Südpartnern sowie die Fachtagung im April 2012 haben aidsfocus.ch veranlasst, sich aktiv für die Stärkung des Globalen Fonds zur Bekämpfung von Aids, Tuberkulose und Malaria zu engagieren. aidsfocus.ch ist heute international gut vernetzt mit Advocacy-Organisationen und –Netzwerken und hat den Politikdialog mit Schweizern Entscheidungsträgern im Globalen Fonds aufgenommen.

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Der Globale Fonds zur Bekämpfung von AIDS, Tuberkulose und Malaria (GF) ist ein Kind der Advocacy der Zivilgesellschaft, welche sich lautstark für den Zugang aller zu Aidsmedikamenten einsetzte. „The internationally-recognized role that civil society played in launching the Global Fund’s first funding round and in the conceptualization and design of the Global Fund led to a sense of ownership; the Global Fund was an initiative that they had helped to create, fund and govern”, anerkennt der GF (An evolving partnership, GF). Der Beschluss über die Gründung des GF wurde auf der UNO-Sondergeneralversammlung zu HIV/AIDS in New York 2001 auf Antrag von Kofi Annan gefasst und in Zusammenarbeit mit zivilgesellschaftlichen VertreterInnen umgesetzt.

„Wenn es den Global Fund nicht gäbe, müssten wir ihn erfinden“, erklärte Simon Bland, Präsident des Board des GF zu Beginn des Workshops des Global Fund Advocacy Networks (GFAN) am 21. Juli 2012 in Washington. Die VertreterInnen des Boards und des Sekretariats des GF waren am Workshop des GFAN und an der internationalen Aidskonferenz in Washington sehr präsent. Sie informierten, stellten sich Fragen und suchten die Dialog.

Das Kerngeschäft: Leben retten

Die Leistungen des GF lassen sich sehen: Er ist in den zehn Jahren seines Bestehens zum weltweit wichtigsten Finanzierungsinstrument im Gesundheitsbereich geworden. Von praktisch keiner Aidsbehandlung im Globalen Süden im Jahre 2002 sind bis heute 7 Millionen Menschen in den wenig entwickelten Ländern mit antiretroviralen Medikamenten behandelt worden, etwa die Hälfte von ihnen dank dem GF. Auch die HIV-Prävention konnte weltweit ausgedehnt werden. Heute erhalten etwa die Hälfte aller HIV-positiven, werdenden Mütter Medikamente, um die Übertragung des Virus auf ihr Baby zu verhindern. Die Mehrzahl dieser Dienstleistungen wurde durch die Finanzierung durch den GF ermöglicht. 9,3 Millionen Menschen konnten für Tuberkulose behandelt und 270 Millionen imprägnierte Bettnetze zur Prävention von Malaria verteilt werden. Gesundheitssysteme wurden gestärkt und das Leben einer signifikanten Zahl von ÄrztInnen und weiteren GesundheitsarbeiterInnen gerettet.

Die Crew des GF gibt sich zuversichtlich, dass der GF gestärkt aus der Krise erwächst, welche durch angebliche Veruntreuung von Geldern des GF, angeschlagenes Vertrauen von Geberländern in den GF und der Streichung der 11. Finanzierungsrunde im November 2011 hervorgerufen worden war. Der GF hat in diesem Jahr im Eiltempo einen tiefgreifenden Restrukturierungsprozess durchgemacht, um zielgerichteter arbeiten zu können. Vor allem das Management der Gelder wurde gestärkt und in Form gebracht. Das Vertrauen der Geber scheint zurückgewonnen worden zu sein. Statt der befürchteten finanziellen Engpässe, die zur Streichung der 11. Runde geführt hatten, stehen dem GF dieses Jahr 1,6 Milliarden Dollar zur Verfügung, sodass Lücken gefüllt und mit der Umsetzung der neuen Strategie 2012-2016 „Investing for Impact“ begonnen werden kann. Der Vorwurf der Korruption und Veruntreuung von Geldern konnte gemildert werden. Eine vom Generalinspektorat in Auftrag gegebene Analyse von Audits und Untersuchungen zeigt, dass ein sehr kleiner Teil der Mittel – 3,0 Prozent – der zwischen 2005 und 2012 überprüften Mittel vergeudet, in betrügerischer Absicht missbraucht oder unzureichend in Rechnung gestellt worden waren. (GF 10/07/2012) Punkto Vorwürfen angeblicher Korruption scheint der GF Opfer einer seiner Stärken – der Transparenz – geworden zu sein.

Knackpunkt: Neue Finanzierungsmechanismen

Der GF ist im Prozess der Entwicklung eines neuen Finanzierungmodells, das das Finanzierungssystem mit den Runden ersetzen soll. Das finanzielle Unterstützung des Fonds soll vor allem Ländern mit der höchsten Krankheitslast und armen Ländern mit der grössten Kluft zwischen Bedarf und vorhandenen Ressourcen zu gute kommen. Für Regierungen und Nichtregierungsorganisationen (NGO) im Globalen Süden und Osten ist es ein Anliegen, die sehr komplizierte Bürokratie des GF zu vereinfachen, damit sie sich ihren primären Aufgaben, der Umsetzung der Programme widmen können und nicht ein Grossteil ihrer Zeit für das Schreiben von Projektanträgen und Berichten und dem Verhandeln mit dem GF aufwenden müssen.

Das neue Finanzierungsmodell schlägt einen iterativen Prozess mit länderspezifischen Lösungen vor: Implementierende Länder und GF arbeiten zusammen die Finanzgesuche aus, basierend auf den Bedürfnissen und nationalen Strategien der jeweiligen Länder und Interventionsstrategien, deren Wirksamkeit als erwiesen gilt. Mit diesem für jedes Land massgeschneiderten partizipativen Prozess sollen die Länder „Ownership“ gewinnen.

Viele NGOs in Süd und Nord begrüssen grundsätzlich das neue, auf partizipativen Prozessen beruhende Modell. Doch der Teufel sitzt im Detail, und die Details sind noch nicht ausgearbeitet worden. Wer sind die Gesprächs- und VerhandlungspartnerInnen? Wer sind die “Länder” und wie werden die Gelder festgelegt? Was geschieht mit den Country Coordinating Mechanismen, Multi-Stakeholder-Partnerschaften, in denen die Zivilgesellschaft vertreten ist, die aber nicht immer reibungslos funktionieren? Wie werden die Länder ausgewählt? Die Anliegen der Regierungen und die der Zivilgesellschaft sind nicht immer deckungsgleich oder auch nur aushandelbar. In Russland und der Ukraine z.B. werden Gruppen, in denen HIV stark verbreitet ist, wie DorgennutzerInnen und Männer, die Sex mit Männern haben (MSM), diskriminiert. Nur dank dem GF erhielten zivilgesellschaftliche Organisationen, die mit Risikogruppen zusammenarbeiten, bisher die notwendige Unterstützung für zielgruppengerechte Prävention, Behandlung und Betreuung.

Proteste

An der Internationalen Aidskonferenz in Washington unterbrach ein Gruppe von AktivistInnen die Podiumsdiskussion zur Zukunft des GF mit einer Protestaktion, um ihre Botschaft an die Leute zu bringen: Das neue Finanzierungsmodell muss nachfrageorientiert sein und darf den Anträgen von Ländern keine Obergrenze setzen („No caps“). Die AktivistInnen baten die PodiumsteilnehmerInnen, ein entsprechendes Versprechen zu unterzeichnen. Der CEO des Global Fund Gabriel Jaramillo was der erste, der seine Unterschrift unter das Dokument setzte.

Die Welt braucht einen voll finanzierten und starken GF um die Zahl der dringend notwendigen lebensrettenden Dienstleistungen massiv zu erhöhen, betonte die Sprecherin der Aktivistinnen, Rosemary Mburo, Koordinatorin der Africa Civil Society Platform bei der World AIDS Campaign. Sie hielt fest, dass „wir keine aidsfreie Generation verwirklichen können mit einem Global Fund, der für Länder und Regionen einen engen Rahmen und für Gesuche willkürliche Obergrenzen setzt, oder der zufällige Listen mit den Interventionen aufstellt, die finanzierbar sind.“

Als einzige Vertreterin der Zivilgesellschaft fand die Marokkanerin Nadia Rafif, NGO-Vertreterin für die MENA-Länder im Board des GF, offiziell Platz auf dem Podium. Die Zivilgesellschaft sei besorgt, da viele Regierungen ein neues Modell vorschlagen, das das GF-Prinzip der Nachfrageorientierung widerspricht würden und harte Obergrenzen für Summen („Caps“) setzen würde für die Gelder, die ein Land oder eine Region erhalten würde. „Wir glauben, dass dies ein verhängnisvoller Fehler sein würde. Politiken, die die Nachfrage eingrenzen ermutigen weder Country Ownership noch Innovation, Kreativität und Flexibilität“, erklärte sie.

Dialogbereitschaft

In der Networking Zone des Global Fund Advocacy Netzworks (GFAN) im Global Village waren VertreterInnen des Global Fund sehr präsent und suchten das Gespräch, informierten, beantworteten Fragen und ermutigten zu Vorschlägen. Auf die besorgte Fragen eines Teilnehmers, wie garantiert werden können, dass die Beiträge nachfrageorientiert vergeben werden können, versicherte Shaun Mellow, Vertreter der Communities im Board des GF, dass jeder neue Finanzierungsmechanismus wie bisher auf die Anträge der Länder reagieren muss. Im neuen Modell wird mehr Interaktion zwischen Geldgebern und Empfängern stattfinden. Bisher wurden nur 40 Prozent aller Anträge finanziert, 60 Prozent zurückgewiesen - eine grosse Zeit- und Ressourcenverschwendung.

Wie kann sichergestellt werden, dass das Geld dahin fliesst, wo es gebraucht und um wirkungsvollsten eingesetzt werden kann, insbesondere für sogenannten „Key Populations (Bevölkerungsgruppen, die besonderen Risiken ausgesetzt sind und stigmatisiert werden, wie MSM, SexarbeiterInnen und DrogennutzerInnen)? Todd Summers, Präsident des Strategy, Investment and Impact Committee des Global Fund (SICC) gab ein erklärendes Beispiel: Wenn ein Land mit einer konzentrierten Epidemie nur 9 Prozent für „Key Populations“ wie Drogenabhängige, bei welchen die HIV-Prävalenz sehr hoch ist, budgetieren würde, müsste der Global Fund mit den LandesvertreterInnen darüber diskutieren. Die Ausrede eines Landes, sie hätten keine Studien zu den „Key Populations“ gelte nicht. Der GF würde Gelder für eine entsprechende Studie zur Verfügung stellen, und darauf aufbauend kann ein Antrag mit wirksamen Interventionen für die besonders betroffene Gruppe formuliert werden.

Von allen Beteiligten wurde wiederholt betont, dass an dem festgehalten werden soll, was gut und spezifisch für den Global Fund ist, wie die Country Coordinating Mechanism mit aktiver Beteiligung der Zivilgesellschaft. Viele Fragen zur konkreten Trendwende im Global Fund blieben jedoch offen.

Das lange Warten

Der Global Fund hat erklärt, dass Ende September neue Finanzierungsmöglichkeiten für Länder eröffnet werden und im April 2013 Entscheide zu den Gesuchen getroffen werden können. In der langen Wartezeit kämpfen Länder damit, die finanziellen Lücken zu füllen, die durch die Streichung der Beiträge des Global Fund entstanden sind. An einem Anlass des GFAN im Global Village stellten VertreterInnen von Médecins Sans Fornières (MSF), RESULTS, der HIV/AIDS Alliance, des Eurasian Harm Reduction Network und der Open Society Foundations ihre Studien zu den Auswirkungen finanzieller Löcher vor. Sie zeichneten ein erschütterndes Bild.

MSF dokumentierte im Bericht „Losing Ground: How funding shortfalls and the cancellation of the Global Fund’s Round 11 are jeopardising the fight against HIV & TB” (MSF 2012) Länder wie die Demokratische Republik Kongo und Guinea bereits die Zahl der Menschen, die antiretrovirale Behandlung (ART) bekommen sollte, beschränken musste, während Uganda nicht in der Lage war, die Zahl der Leute, die jedes Jahr mit einer Behandlung beginnen, zu erhöhen.

Der Bericht der Open Society Initiative zeigte auf, wie die Finanzierungskrise die Aktivitäten von zivilgesellschaftlichen Organisationen im südlichen Afrika ernsthaft untergraben hat. Die knapper werdenden Gelder wurden aus relevanten Unterstützungsprogrammen und von der Arbeit mit den von der Epidemie besonders betroffenen Gruppen genommen. (OSISA 2012) „Die Länder werden gezwungen, zwischen der Aufrechterhaltung von wichtigsten medizinischen Dienstleistungen und der Unterstützung von zivilgesellschaftlichen Initiativen, die diese unterstützen, zu entscheiden. Meist haben diese Länder ihre Gelder von der Unterstützung zivilgesellschaftlicher Organisation, Menschenrechtsprogrammen, Basisarbeit und politisch sensitiven Programmen abgezogen“, erklärte die Autorin des Berichts, Laura Lopez Gonzalez. Gerade diese Aktivitäten, die so zentral sind für den Erfolg nationaler HIV-Programm, sind die ersten, die gestrichen werden.

Unsere Verantwortung wahrnehmen

Die Reaktionen von Südpartnern auf die Streichung der 11. Finanzierungsrunde im November 2011 und ihre Appelle an aidsfocus.ch sowie die Diskussion an der Fachtagung im April 2012 zu HIV, Aids und Advocacy waren Auslöser für ein verstärktes Engagement von aidsfocus.ch für einen gestärkten Global Fund. aidsfocus.ch arbeitet heute eng mit dem deutschen Aktionsbündnis gegen Aids (www.aids-kampagne.de) und ist Mitglied der deutschen zivilgesellschaftlichen Steuerungsgruppe zum Global Fund. aidsfocus.ch ist zudem gut vernetzt mit weiteren Organisationen und Netzwerken, insbesondere dem Global Fund Advocacy Network (GFAN), um anstehende Fragen zu diskutieren, Positionen zu erarbeiten und Einfluss zu nehmen auf die Entwicklung und Entscheide des Global Fund.

Die Schweiz ist im Board des Global Fund als Mitglied der Interessensgruppe Deutschland-Kandada-Schweiz vertreten. So ist es naheliegend, dass auch zivilgesellschaftliche Organisationen der Schweiz, Deutschlands und Kanadas für den Policy-Dialog mit ihren Vertretern zusammenspannen. Im Herbst soll Deutschland einen eigenen Sitz im Board bekommen, die Schweiz wird sich nur noch zusammen mit Kanada einen Sitz teilen, womit Einflussbereich und Verantwortung der Schweiz steigt. aidsfocus will den Reformprozess im GF kritisch begleiten und den Policy-Dialog mit den Schweizer Entscheidungsträgern, insbesondere der Schweizer Vertretung im GF, Marc de Santis, intensivieren. Auf der Agenda sind aktuelle Geschäfte mit grossem Impakt, die dieses Jahr noch besiegelt werden, wie die Verabschiedung des neuen Finanzierungsmodells und die Wahl des neuen CEO.

„Wenn der Globale Fonds jetzt seine Investitionen zurückfährt, wird das verheerende Konsequenzen haben, die in manchen Ländern schon ansatzweise zu sehen sind“, sagte Farai Mahaso, Geschäftsführer der simbabwischen Aidsorganisation BHASO, in unserem abschliessenden Gespräch am Rande der Aidskonferenz in Washington. aidsfocus.ch nimmt die Befürchtungen seiner Südpartner ernst. VertreterInnen der schweizerischen Zivilgesellschaft wollen sich in internationalen Netzwerken nicht weiter schämen müssen für den völlig ungenügenden Schweizer Beitrag zum Global Fund. Im Jahr 2012 zahlte die Schweiz bescheidene 8,7 Millionen US$ ein. Im europäischen Vergleich: Dänemark hat dem GF dieses Jahr 29,3 Millionen US$ zugesprochen, Holland 31,4 Millionen US$, Deutschland 254,9 Millionen US$ und Frankreich 452,8 Millionen US$. (GF, www.theglobalfund.org/en/about/donors)

In der neuen Botschaft zur internationalen Zusammenarbeit der Schweiz 2013 - 2016, welche die Schweizer Entwicklungs- und Aussenpolitik der nächsten Jahre prägen wird, ist der Globale Fonds zur Bekämpfung von Aids, Tuberkulose und Malaria als eine der 13 prioritären, multilateralen Organisationen aufgeführt, mit denen die DEZA zusammenarbeitet. „In Periode 2013–2016 ist eine substanzielle Erhöhung des Beitrages vorgesehen“, steht im Anhang zum Botschaftstext.

aidsfocus.ch wird sich dafür einsetzen, dass die Schweiz in den nächsten Jahren ihren Beitrag mindestens verdoppelt. Mit Informations- und Öffentlichkeitarbeit will aidsfocus.ch die Schweizer Öffentlichkeit, Politik und Verwaltung für die Notwendigkeit eines starken GF mit einer namhaften Unterstützung der Schweiz für globale Gesundheit und Gerechtigkeit sensibilisieren. aidsfocus.ch wird den Policy-Dialog mit den EntscheidungsträgerInnen pflegen, insbesondere der DEZA, und wenn notwendig mit weiteren Advocacy-Instrumenten die Schweizer Regierung zur Rechenschaft ziehen.


*Helena Zweifel, Geschäftsführerin Medicus Mundi Schweiz und Koordinatorin von aidsfocus.ch, der Fachplattform HIV/Aids und internationale Zusammenarbeit, http://www.aidsfocus.ch Kontakt: hzweifel@medicusmundi.ch


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