Wie syrische Mediziner im Untergrund Leben retten

Die geheimen Ärzte

Der Bürgerkrieg in Syrien geht mit unverminderter Härte weiter. Die medizinischen Einrichtungen und das medizinische Personal, das so dringend gebraucht würde, sind längst zu Zielen der Aufstandsbekämpfung geworden. Für medico Deutschland berichtet ein Arzt.

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Es ist der Februar dieses Jahres. Syrien ist in Aufruhr. Überall wird demonstriert, in manchen Städten wie Homs und Idlib finden regelrechte Strassenkämpfe statt. Wir haben uns in Beirut verabredet. Nach Tagen des Wartens steht er am Nachmittag einfach vor uns. Wir nennen ihn Doktor B. Seinen wirklichen Namen können wir nicht preisgeben, es wäre lebensgefährlich für ihn. Doktor B. ist etwa Mitte Dreissig, schmächtig, blass und hat tiefe Ringe unter den Augen, die von vielen Nächten ohne Schlaf erzählen. Er ist Thorax-Chirurg und arbeitet in einem staatlichen Krankenhaus einer syrischen Grossstadt. Nach der täglichen Schicht beginnt sein zweites Leben, dann ist er ein „Doktoor al-Thaura“, ein Arzt der Revolution. Er fährt an die Orte des Protestes und besucht die Patienten in Privatwohnungen, Kellern oder in Hinterzimmern.

Die staatlichen Krankenhäuser sind längst nicht mehr sicher: „Ich habe gesehen, wie verletzte Demonstranten in der Notaufnahme vom Sicherheitsdienst geschlagen und gefoltert wurden.“ Viele seine Kollegen hätten sich darüber empört. Die Verletzten würden entweder nicht registriert, so dass sie nach einer Erstversorgung direkt verschleppt werden können, oder aber als „Verkehrsunfälle“ geführt.

Netz von „illegalen“ Kliniken

Doktor B. konnte das nicht mehr ertragen. Er begann mit einer kleinen OP-Tasche illegale Hausbesuche zu machen. „Einmal versorgte ich in meinem Auto sechs Stunden lang einen Studenten, der drei Schussverletzungen hatte. Als uns ein Privatkrankenhaus aufnehmen wollte, wurden wir vom Geheimdienst entdeckt, konnten aber in letzter Minute fliehen.“ Zusammen mit anderen Ärzten gründete er eine medizinische Kommission, sie richteten ein Netz von illegalen Kliniken ein. Alles musste heimlich geschehen, denn werden diese sogenannten „Untergrundhospitäler“ verraten oder vom Regime entdeckt, droht den Patienten und Ärzten mindestens eine Verhaftung mit anschliessender Folter, oftmals auch der Tod. Auch die Apotheken werden überwacht, so dass auch die Medikamente entweder ins Land geschmuggelt werden oder unter Lebensgefahr aus den staatlichen Krankenhäusern mitgenommen werden müssen.

Der Doktor hat uns auf einem winzigen Chip Videofilme mitgebracht: Ärzte behandeln Schussverletzungen, es gibt einen Operationstisch, Licht, entsprechendes chirurgisches Gerät. Alle engagierten Mediziner leben gefährlich: Nach Angaben der Lokalen Koordinationskomitees in Syrien wurden seit dem Ausbruch der Demonstrationen am 14. März letzten Jahres mindestens 295 Ärzte verhaftet. Was passiert, wenn er entdeckt wird? „Medizinische Hilfe wird behandelt wie Terrorismus oder Desertion“, sagt er ernst und ergänzt ohne jedes Pathos: „Ich hoffe, sie töten mich schnell, wenn sie mich erwischen“. Der Doktor muss zurück. Er quittiert uns eine Geldsumme, die wir ihm übergeben. Damit wird er später in Syrien auf dem grauen Markt dringend benötigtes medizinisches Gerät kaufen. Dann verschwindet er: „Morgen früh um 6 Uhr beginnt im Krankenhaus meine Schicht. Wenn ich fehle, stehe ich sofort unter Verdacht.“

Solidarität mit Syrien

Das MMS Bulletin publiziert diesen Beitrag mit freundlicher Genehmigung von medico international Deutschland - einer Schwesterorganisation von medico international schweiz. Der Bericht ist im medico rundschreiben 1/2012 erschienen.

Seit Beginn des Aufstands unterstützt medico unbewaffnete lokale Bürgerkomitees in ihrem mutigen Einsatz gegen das Assad-Regime. Von den Medien meist unbeachtet demonstrieren die vorwiegend jungen Aktivistinnen und Aktivisten noch immer für ihre Freiheitsrechte und ein Leben ohne Angst und Despotie. Darüber hinaus leisten sie unmittelbare Nothilfe für die ausgebombten und vertriebenen Bewohner aus zerstörten Dörfern oder umkämpften Stadtvierteln, schützen verfolgte Oppositionelle und versorgen durch ein Ärztenetzwerk in geheimen Notkliniken die Verletzten und Verwundeten, die in den staatlichen Krankenhäusern von Folter und Tod bedroht wären. Im Nachbarland Libanon hilft der medico-Partner AMEL, eine säkulare libanesische Hilfsorganisation, Flüchtlingsfamilien aus Syrien.

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