Klimawandel und Gesundheit

Sich den Herausforderungen stellen

Von Hanns P. Polak

Trotz aller pessimistischen Prognosen schafft Klimawandel keine grundsätzlich neuen gesundheitlichen Risiken. Allerdings verändert sich das Ausmass der Probleme: Häufigkeit, Variabilität und Intensität der Wetterphänomene nehmen zu und verschieben sich regional. Hierdurch verschlechtern sich vor allem im Süden die Lebensgrundlagen einer sehr grossen Zahl von Menschen. Um die Anfälligkeit bestimmter Bevölkerungsgruppen auf den Klimawandel abzuschätzen, arbeitet das Rote Kreuz mit dem Vulnerability and Capacity Assessment Instrument.

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Vor allem durch massive Änderungen des Wasserhaushalts der Atmosphäre verändern sich die Lebensbedingungen in vielfältiger Weise. Zuviel oder zu wenig Wasser hat direkte und indirekte Auswirkungen auf Gesundheit und Wohlbefinden, sei es, dass überreiche Niederschläge Häuser und Felder überfluten, oder dass ausbleibender Regen in Dürrephasen die Ernte vernichtet. Ein grosses Problem besteht durch eine zunehmende und weitgehend unvorhersehbare Variabilität der Wetterphänomene. So können sich innerhalb eines Jahres in derselben Region extreme Trockenheit und sintflutartige Regenfälle ablösen. Bislang regelmässig auftretende Wetterzyklen, wie beispielweise die Monsunregen Südostasiens, verschieben sich oder entwickeln eine extreme Intensität, wodurch die landwirtschaftliche Produktion und die Ernährungssicherheit der Bevölkerung beeinträchtigt werden. Alle Wirkungen des Klimawandels beeinflussen sich wechselseitig und häufig haben gesundheitliche Probleme mehr als nur eine Ursache. Um dennoch die Handlungsalternativen für die Anpassung an den Klimawandel zu verstehen bietet es sich an, die für menschliche Gesundheit relevanten direkten und indirekten Wirkungen in sechs wichtige Problemfelder zu fassen:

1. Ausbreitung von Krankheiten
2. Fehlen von sauberem Wasser
3. Verschlechterung der Ernährungssituation
4. extreme Wetterphänomene
5. Unterkünfte
6. Siedlungs- Geographie und umweltbedingte Migration

Krankheiten

Durch ausgiebigere Niederschläge verunreinigtes Oberflächenwasser fördert die Verbreitung von Durchfallerkrankungen, wobei Cholera eine besondere Gefahr darstellt. Bäche und Badestellen werden zu Übertragungsquellen, aber auch Trinkwasserbrunnen können mit verschmutztem Wasser überflutet werden. Die hygienischen Probleme verstärken sich, wenn es keine geregelte Fäkalienbehandlung gibt oder ungeschützte Fäkaliengruben das Grundwasser verunreinigen. Hier zeigt sich auch die soziale Dimension des Klimawandels, denn oftmals sind gerade in den ärmsten Gebieten keine sanitären Einrichtungen vorhanden und ist die hier lebende Bevölkerung am stärksten den gesundheitlichen Risiken ausgesetzt. Aber auch zuwenig Wasser schafft Krankheitsgefahren, wenn die persönliche Hygiene und Pflege, die Zubereitung von Nahrung und das Wäschewaschen unter Wassermangel eingeschränkt sind und die Menschen insgesamt einer höheren Belastung durch pathogene Keime ausgesetzt sind.
Vermehrte Niederschläge in der Kombination mit erhöhten Temperaturen verkürzen die Reproduktionsraten von pathogenen Keimen und Überträgern und vergrössern das Risiko der Ausbreitung von typischen Tropenkrankheiten wie Typhus, Malaria und Dengue, wenn auch die Wirkungsweise der hierfür verantwortlichen Faktoren und die komplexen Beziehungen zwischen biotischen Überträgern und Klimafaktoren noch nicht umfassend bekannt sind. Studien zeigen aber, dass eine durchschnittliche Erhöhung um 0,1 ⁰C. eine Verzehnfachung der Moskitopopulation mit sich bringt. Insgesamt wird damit gerechnet, dass am Ende dieses Jahrhunderts weltweit 260 – 320 Millionen Menschen von Malaria bedroht sein werden, die in Gebieten leben die heute noch frei von Malaria sind. Schistosomiasis (Bilharziose), Fasziolose (Leberegel) und andere Zoonosen werden sich ausbreiten. (The Lancet S. 1703, Vol 373, May 2009)

Wasser

Sicherer Zugang zu sauberem Trinkwasser und ausreichende sanitäre Einrichtungen sind ein wichtiger Faktor für die menschliche Gesundheit. Während der Klimawandel den feuchten Tropen und höheren Breiten vermehrte Niederschläge bringen wird, werden aride und semi-aride Zonen vermehrt Trockenperioden erleben. Insgesamt wird Wasser durch das Zuviel oder Zuwenig in diesen Zonen damit zu einem bedeutenden Stressfaktor für die Bevölkerung. Dass hierzu nicht nur die Bewohner exotischer Tropengegenden zählen, sondern auch viele Gemeinden in den Schweizer Alpen haben die zahlreichen Hilfsoperationen der nationalen Nothilfe des Schweizerischen Roten Kreuzes (SRK) bei den Überflutungen und Erdrutschen in der jüngsten Vergangenheit gezeigt. Hier wie dort werden angestammte Wohnorte durch Wasserstress zunehmend unwirtlich.

Ernährung

In den ariden und semi-ariden Gebieten ist menschliche Gesundheit durch Unterernährung und unzureichende Ernährungs¬sicherheit durch saisonale Ernteausfälle schon heute enorm gefährdet. Langfristig wird insgesamt ein Rückgang der Nahrungsmittelproduktion in den trockenen Klimaregionen erwartet. Dieser Effekt wird dadurch verstärkt, dass die Biodiversität abnehmen und Ökosysteme instabiler werden, wenn sich die Frequenz und Intensität extremer Wetterlagen verändern. Der Weltklimarat IPCC (2007) befürchtet, dass die Nahrungsmittelproduktion in den ohnehin durch saisonale Trockenheit betroffenen Gebieten Afrikas schon um das Jahr 2020 um bis zu 50% zurückgehen könnte. Andere Studien legen nahe, dass sowohl in Afrika wie auch in Lateinamerika die landwirtschaftliche Produktion bis zum Ende des Jahrhunderts um mindestens 10% möglicherweise jedoch um 25% zurückgehen wird. (Center for Global Developments 2007)

Extreme Wetterphänomene, siedlungsgeografische Faktoren und umweltbedingte Migration

Neben einer steigenden Zahl von umweltbedingten Katastrophen, durch die Leben und menschliche Gesundheit direkt und sehr massiv bedroht sind, bringt die Erderwärmung auch unmittelbar wirksame Gesundheitsgefahren mit sich. Schon heute bedeuten Hitzewellen v.a in den dichtbesiedelten urbanen Zonen ein erhöhtes Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Atemwegserkrankungen. Die gesundheitlichen Probleme verstärken sich durch umweltbedingte Migration, wenn sich verschlechternde Lebensbedingungen auf dem Lande die Bevölkerung zwingen, angestammte Siedlungsräume zu verlassen, um beispielsweise in urbanen Zentren ein Auskommen zu finden. Die Kombination von Erderwärmung und fortschreitendem Wachstum der Megastädte durch andauernden massenhaften Zuzug ärmster Bevölkerungsgruppen stellt eine neue Dimension von Herausforderungen an Infrastrukturplanung und das öffentliche Gesundheitswesen, die den bescheidenen Beitrag der humanitären Akteure als wortwörtlichen Tropfen auf einen heissen Stein erscheinen lässt. Immerhin lässt sich aus diesen Tendenzen die Lehre ziehen, dass der Handlungsrahmen für Anpassung an den Klimawandel inter-sektoral aufgegleist werden muss und neben Gesundheitspraktikern und -wissenschaftlern auch Raum- und Siedlungsplaner, Architekten und Sozialwissenschaftler einbeziehen sollte.

Anfälligkeit für Risiken abschätzen

Die Anfälligkeit für die mit dem Klimawandel einhergehenden Risiken steigt mit abnehmender Fähigkeit der betroffenen Menschen sich dagegen zu schützen. Je besser diese eine abgesicherte wirtschaftliche Existenz, ausreichende Ernährungsgrundlagen, sichere Unterkünfte und Wohnorte haben und unter dem Schutz und der Vorsorge ihrer sozialen Netzwerke stehen sowie über bestehende Gefahren aufgeklärt sind, um so besser sind sie in der Lage, mit Risiken umzugehen und den hieraus resultierenden Gefahren zu widerstehen. Dieser im Prinzip einfach zu verstehende Zusammenhang hat die Rotkreuzorganisationen zur Entwicklung einer Assessment-Toolbox veranlasst, die auch bei der Abschätzung der Betroffenheit durch den Klimawandel eingesetzt wird. Dieses Vulnerability and Capacity Assessment (VCA) genannte Instrument vergleicht die Anfälligkeit einer Bevölkerungs¬gruppe für allfällige Risiken mit deren Kapazität hiermit umzugehen und gehört inzwischen zur standardisierten Vorgehensweise bei der Formulierung von neuen Projekten des SRK. Der Vorteil ist, dass hier schon bei der Planung bestehende Umweltrisiken systematisch in die Formulierung des anvisierten Handlungsrahmens einbezogen werden.

Adaptions-Strategien

Als Schlüssel für die verbesserte Überwachung sich verändernder Ausbreitungsbedingungen von Krankheiten gilt die rasche Bereitstellung von Primärdaten. Das SRK testet seit vier Jahren in Sri Lanka ein computergestütztes Überwachungssystem (Health Information System HIS), mit dem die Anamnese der Patienteneinweisungen in ausgewählten öffentlichen Spitälern der Ostprovinz systematisch erfasst und zur zentralen Auswertung durch die Gesundheitsbehörden bereitgestellt werden. HIS ersetzt manuell erstellte Patientenregister und ermöglicht durch Einspielung der Daten auf ein Internetportal eine zeitnahe Auswertung.

Die Tatsache, dass die sozio-ökonomische Situation der Betroffenen deren Anfälligkeit für die gesundheitlichen Risiken entscheidend mitbestimmt, veranlasste das SRK, das Gesundheitskonzept der internationalen Zusammenarbeit auf die Verbesserung der Gesundheit der besonders Bedürftigen auszurichten. In der Praxis der Projektarbeit stehen daher die gemeindeorientierte Gesundheitspflege (community based health care) und die Förderung der öffentlichen Basisgesundheitsdienste im Vordergrund. Durch gemeindeorientierte Aufklärung und Ausbildung soll einerseits die Selbsthilfekapazität der Betroffenen gestärkt werden. Andererseits soll durch die Zusammenarbeit mit staatlichen und privaten Akteuren des öffentlichen Gesundheitswesens besonders den Bedürftigsten der Zugang zu medizinischen Dienstleistungen ermöglicht werden. In den SRK-Projekten in Kambodscha, Laos, Togo und Ghana wurden im Rahmen der SRK Gesundheitsprojekte spezielle Sozialfonds für die ärmsten Patienten (Health Equity Fund EF) eingerichtet, die kurative Leistungen für die Ärmsten finanzieren und deren Teilhabe am öffentlichen Gesundheitswesen erleichtern.

Eine bessere Grundversorgung mit sauberem Trinkwasser und sanitären Einrichtungen in der Kombination mit Aufklärung und Sensibilisierung zu verbesserter Hygiene schafft die Voraussetzung für eine grössere Resistenz der Lokalbevölkerung gegen die höhere Risiken extremer Wetterphänomene und der daraus folgenden Gefahren für die Gesundheit. Diese präventiven Massnahmen sind in vielen SRK-Gesundheitsprojekten ein wichtiger Teil des Aufgabenspektrums.

Die gesundheitlichen Themen sind also grundsätzlich gleich geblieben. Der Klimawandel verstärkt diese jedoch in einer Weise, die neue Anforderungen an die privaten und öffentlichen Akteure im Gesundheitswesen stellt.

Herausforderungen des Klimawandels für die internationale Gesundheitszusammenarbeit

a. Informationsvernetzung: Ein funktionierender Basisgesundheitsdienst kann – über seine wichtigen präventiven und kurativen Leistungen und der Beratungsfunktion für die Bevölkerung hinaus – Baustein eines regionalen Überwachungssystems sein. Werden die lokalen und national erhobenen Daten zusammengeführt, besteht die Chance, Nachbarregionen und -länder über ein ansteigendes Risiko für klimabedingte Ausbreitung von Krankheiten zu warnen. (Nerlander 2009) Zwar gehört die Förderung von Basisgesundheitsdiensten mittlerweise zum Standardprogramm vieler Entwicklungsorganisationen, doch ist die Vernetzung dieser zu einem landesweiten und überregionalen Überwachungssystem für klimarelevante Gesundheitsparameter noch in den Kinderschuhen. Wünschenswert wäre die Erarbeitung gemeinsam akzeptierter Indikatoren, die sich verändernde Gesundheitsgefahren (risks), Schwächen der Betroffenen (vulnerbility) und die Fähigkeiten des Umgangs hiermit (coping capacity) messen und sowohl von humanitären Akteuren wie auch dem öffentlichen Gesundheitswesen verwendet werden könnten um gefährliche Tendenzen frühzeitig zu erkennen und hierauf reagieren zu können. Über den Wert für die professionelle Hilfe hinaus, könnten solche Indikatoren die Kapazität der Betroffenen stärken, um selbst wichtige gesundheitliche Parameter zu überwachen und Entscheidungsträgern und Planern Hinweise für notwendige Aktionen zu liefern.

b. Sektorübergreifende Zusammenarbeit: Bei der Planung und Durchführung von Projekten sollte eine verstärkte intersektorale Zusammenarbeit stattfinden. Um den vielfältigen sich gegenseitig beeinflussenden Wirkungen des Klimawandels zu begegnen, empfiehlt es sich, dass Projektplanung alle wichtigen Sektoren auf den verschiedenen Ebenen (lokal, national und regional) einbezieht. Beispielsweise sollten einerseits die flankierenden infrastrukturellen, sozialen und ökonomischen Massnahmen von Gesundheits¬projekten abgeschätzt und gemeinsam geplant und andererseits die gesundheitlichen Auswirkungen des Klimawandels bei der Planung von Infrastrukturmassnahmen wie Wasserwerken, Siedlungsprojekten oder landwirtschaftlichen Bewässerungssystemen einbezogen werden. (Bimal/Regmi/Pradhan/Lama 2007)

c. Schadensminderung auch in Gesundheitsprojekten vorsehen: Die internationale Gesundheitsarbeit des SRK und vieler anderer NRO an der Basis der Gesellschaft muss Klimawandel auch bei den Rezipienten der Hilfe thematisieren. Das Wissen um die gesundheitlichen Auswirkungen sensibilisiert die Menschen und befähigt sie, nicht nur ihr Leben wirksamer an den Klimawandel anzupassen, sondern auch seine Wirkungsweisen zu verstehen und aktiv zur Ursachenbekämpfung beizutragen. Handlungsoptionen bestehen auch hier, denn v.a. viele Schwellenländer drohen den gleichen Entwicklungsweg einzuschlagen wie die Industrieländer und setzen massenhaft fossile Energieträger ein. Möglichkeiten sich an der Bekämpfung des Klimawandels aktiv zu beteiligen bestehen weltweit, indem klimawirksame Emissionen verhindert und Kompensationsmassnahmen, beispielsweise durch den Einsatz erneuerbarer Energieträger und aktive Aufforstungen, durchgeführt werden. Es gilt, die Empfänger der Hilfe aus der Opferrolle heraus zu bringen und auch im Süden eine ökologisch und ökonomisch nachhaltige Praxis zu fördern.

d. Finanzierung von internationaler Gesundheitszusammenarbeit: Wie schon eingangs erwähnt stellt Klimawandel internationale Gesundheitsarbeit nicht vor grundsätzlich neue Aufgaben. Der Handlungsrahmen gegen die Wirkungsweisen des Klimawandels ist vorgegeben und die Akteure sind bereit. Einzig die Dimensionen sind neu und erfordern eine neue Dimension von vorausschauender Reaktion. Angesichts der ohnehin chronisch mageren Budgets für Gesundheitsprojekte wäre es dringend erforderlich, neue Finanzierungswege zu erschliessen. Im nächsten Jahr wird die in der Schweiz seit 2008 erhobene CO2 Lenkungsabgabe für fossile Brennstoffe erstmals rückverteilt. Durch die vorgesehene Rückzahlung an die Krankenversicherungen ist schon heute eine – zumindest symbolische – Kopplung von CO2-Emission und Gesundheit gegeben. Ihre zukünftige Verwendung zur Finanzierung klimarelevanter internationaler Gesundheitsprojekte wäre konsequent und ein Zeichen der Solidarität mit den hauptsächlich Betroffen unserer Überproduktion an Klimagasen.

Die Klimaerwärmung und ihre Auswirkungen auf die menschliche Gesundheit sind umfassend und nicht mehr zu leugnen. Klimawandel ist potentiell die grösste globale Gefahr für die Gesundheit der Menschheit. Die gesundheitlichen Auswirkungen des Klimawandels sind ein starkes Argument um Politik und Entscheidungsträger wachzurütteln.

*Hanns P. Polak, Soziologe und Programmkoordinator beim Schweizerischen Roten Kreuz, Bern. Kontakt: Hanns.Polak@redcross.ch

Ressourcen

  • Bimal R. Regmi, B.Pradhan, P.Lama: Climate change and Human Health. Typhoid cases in Kathmandu, Nepal. iied 2007
  • Cline, Global warming and agriculture: impact estimates by country. Center for for Global Developments, Washington 2007.
  • IFRC, What is VCA? An introduction to vulnerability and capacity assessment, Genf 2008
  • Mozhural Alam: Relationship Between Climate Change and Incidence of Malaria in Chittagong Hill Tracts. December 2007
  • Nerlander: Climate Change and Health, Red Cross /Red Crescent Climate Centre, Den Haag 2009