Lokale Pflanzen als Heilmittel in Chiapas, Mexiko

Palo mulato statt Aspirin

Von Stephan Unger

Nachts im Regen in einer Zoque-Hütte: ein fieberndes, hustendes Kind, der Erstickung nahe. Der dorfstämmige Gesundheitshelfer behandelt mit Sirup der Königskerze (Gordo labo), Kampfersalbe und Umschlägen von Flor de Bugambilia. Die Linderung tritt nach einer halben Stunde ein.

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Ein Teil der Ausbildung der Gesundheitshelfer in dem von der Schweizer Indianerhilfe unterstützten Projekt der Zoque umfasst die Heilpflanzenkunde. Der Grund dafür ist eine billige, allgegenwärtige Heilmittelquelle, praktisch ohne Nebenwirkungen. Der Einsatz von Heilpflanzen erstreckt sich bestimmt nicht auf alle Krankheitsbilder, deckt aber doch die häufigsten unter ihnen ab und folgt der Devise "kleine Kosten, grosser Nutzen, kein Risiko".

Estela Alvarado arbeitet als Heilpflanzenkundige zu 50% im Projekt. Ihre Aufgabe ist, den Gesundheitshelfern die Herstellung sowie die Anwendung der Heilpflanzenmittel beizubringen. Die jetzige Apotheke des Gesundheitszentrums in La Sardina beherbergt mindestens zur Hälfte Estelas Produkte. Für infizierte Schürfwunden verordnet man Schwefelsalbe, gegen Durchfall Kapseln oder Tinktur von Chaparo amaro bzw. Kapseln aus 4 Pflanzen (Estafiate, Epasote, Minze und Raute). Den alltäglichen Husten stillt man mit Sirup aus Gordo lobo und mit Umschlägen aus Eukalyptus. Den wässerigen Auszug aus Cuachalate verwendet man gegen Magenschleimhautentzündungen. Die Akzeptanz der Heilpflanzenmedizin unter der Lokalbevölkerung lässt hie und da zu wünschen übrig, wird allerdings im Rahmen der zunehmend positiven Erfahrung stets grösser.

Statt den gesamten Behandlungskatalog aufzuzählen, werfen wir einen Blick in die Herstellungsküche der einheimischen "Pharma-Manufaktur". In der Regel arbeitet man mit getrockneten Pflanzenteilen - Blüten, Blättern, Stielen, Wurzeln. Für andere Zwecke braucht man den Saft der Pflanze. Es wird gerieben, zerquetscht, gehämmert, geheizt, geschlagen, oder der Saft wird mit Kochen und Mazerieren gewonnen. Feuer, Pfanne, Hammer, Raffel, Sieb etc. erinnern an ein Alchimielabor. Alle Gesundheitshelfer der zwölf Gemeinden verfügen über das notwendige Instrumentarium und sind imstande, die Heilpflanzenmedikamente selbständig herzustellen und einzusetzen.

Dank diesen Requisiten im "Werkzeugkästchen" unserer "Barfussärzte" konnte das hustend-bellende Kind mit Fieber sofort und de facto gratis behandelt werden. In diesem Fall konnte ebenfalls auf den Einsatz allopathischer Behandlung verzichtet werden.

Dr. Stephan Unger ist Vizepräsident der Schweizer Indianerhilfe SIH. Die SIH unterstützt in Chiapas, Mexiko, ein Basisgesundheitsprojekt der Zoque-indianer. Informationen: Schweizer Indianerhilfe, Eymattstrasse 164, 3032 Hinterkappelen. Ihre Spende ist willkommen (PC Basel 40-25507-4)