Von Martin Raab
Wie viele Einrichtungen, Medikamente und Geräte sind notwendig, um angemessene Gesundheitsdienste der Bevölkerung zu bieten? Wieviel Personal mit welcher Ausbildung wird benötigt? Soviel steht fest: Egal, auf welches Land wir den Scheinwerfer richten, ein Mangel an Personal und Materialien wird fast immer beklagt. Ein konkretes Beispiel zeigt jedoch, dass die absolute "Menge" der Ressourcen oft nicht das Problem ist. Eine erhebliches Potential zur Lösung von Mengen-Problemen schlummert in der verbesserten Organisation und Bewirtschaftung der Gesundheitseinrichtungen.
Gesundheitsdienste, ob kurativ oder präventiv ausgerichtet, sind an physische Strukturen gebunden. Beratungszentren, Gesundheitsposten und Krankenhäuser benötigen solide, angemessene Gebäude, in denen zumindest Wasser- und Stromversorgung funktionieren. Geeignete Einrichtungsgegenstände, Geräte und Medikamente müssen vorhanden sein, um den vielfältigen Aufgaben bei der Versorgung der Bevölkerung gerecht zu werden. Dies wurde auch als ein zentraler Faktor durch die Leitung eines internationalen Projektes zur Förderung der reproduktiven Gesundheit erkannt: Die besten Gesundheitsversorgungs-Konzepte und Strategien scheitern, wenn die Bevölkerung die Gesundheitseinrichtungen nicht nutzt, weil der Zustand der Gebäude schlecht ist, weil das Personal wenig oder gar nichts zu bieten hat, weil die entstehenden Kosten für die Rat- und Hilfesuchenden nicht den erwarteten Nutzen bringen.
Jedes Gesundheitssystem benötigt Einrichtungen, um spezialisierte Interventionen durchführen zu können. Diese funktioniert jedoch nur, wenn eine entsprechende Ausstattung an Mobliliar und Geräten sowie die nötigen und Verbrauchsmaterialien wie Medikamente, Spritzen oder Verbandstoffe vorhanden sind.
Der Zustand eines von uns besuchten Regionalkrankenhauses in einem afrikanischen Land zeigt exemplarisch die prekäre Situation: Das vor einem Jahr errichtete Gebäude für die Geburtsabteilung hat ein undichtes Dach. Der Regen dringt ein, Schimmel bildet sich und macht einen Teil des Gebäudes unbrauchbar. Frisches, sauberes Wasser ist rar, weil die elektrische Pumpe für das Zisternensystem meist nicht funktioniert. Die Beinhalterungen am rostigen Entbindungsbett sind lose, da die Fixierungsschrauben abgenutzt sind. In den Sauerstoff-Luftbefeuchtern vermehren sich die Keime, weil das Wasser schon lange nicht mehr entleert wurde. Die beiden alten Röntgengeräte sind schon lange defekt, einige Thorax- und Extremitätenaufnahmen werden mit einem alten Dentalgerät gemacht. Steckdosen hängen aus der Wand, und in der Notfallaufnahme liegen Drähte blank. Die Beleuchtung funktioniert nicht mehr. So werden Untersuchungen und Eingriffe (auch Geburten) nach Sonnenuntergang mit Taschenlampe und Kerze durchgeführt. Zähne werden nicht repariert, sondern nur gezogen, weil der Bohrer nicht funktioniert. Schliesslich stellt sich die Frage, warum der neu gebaute und rundum verkachelte Gebärsaal keinen Wasseranschluss hat; eine Städtepartnerschaft finanzierte immerhin die Renovierung. Das für drei Monate berechnete Medikamentenkontingent ist schon nach vier Wochen aufgebraucht.
Die scheinbare Lösung der Probleme: mehr Geld, neue Geräte, mehr Medikamente. Das Bild wird im beschriebenen Beispiel spätestens dann widersprüchlich, als bekannt wird, dass seit zwei Jahren ein von UNFPA finanzierter Container mit "essential material" im Wert einer halben Million Franken in einer Lagerhalle unangetastet schlummert. Und dann wären noch die drei Tonnen medizinische Geräte aus einer deutschen Hilfslieferung, ebenfalls seit Jahren in einem Container eingeschlossen. Und warum liegen in einem anderen Spital seit Jahren neue Geräte in aufgerissenen Kartons in einem Nebengebäude?
Ähnliche Phänomene traten für Medikamente ans Licht: Über Bestellungen und Hilfslieferungen erreichen Medikamente das Land, die therapeutisch nicht brauchbar sind; anderseits fehlen dringend benötigte essentielle Medikamente.
Die Situation scheint verdreht: Mangel auf der einen Seite; Überfluss auf der anderen Seite. Viele Entscheidungsträger im Gesundheitswesen scheinen zu resignieren. Bei genauerem Hinsehen wird bewusst, dass viele der genannten Probleme durch eine Verbesserung der Organisationsprozesse durch eine Stärkung der Management- Fähigkeiten gelöst werden können, denn:
Die oben aufgeführten Bereiche und Beispiele zeigen, dass die unbefriedigende Situation in den Gesundheitseinrichtungen oft kein Thema von "zu wenig Mitteln" ist, wie häufig vorgegeben wird.
Das Phänomen der vollen Container mit dringend benötigten Gütern findet eine Erklärung: Sowohl auf der Managementebene (Gesundheitsministerium, Regionale Gesundheitsämter) als auch auf der operativen Ebene (Spitäler, Gesundheitszentren) gibt es keine Strukturen, die sich ausreichend mit dem optimalen Einsatz von Ressourcen im Gesundheitswesen beschäftigt. Im Wesentlichen fehlen in den Behörden sachkundige Ressourcenmanagement-Fachleute und in den Gesundheitseinrichtungen funktionierende Instandhaltungsdienste.
Defekte Geräte, heruntergekommene Einrichtungen - ein Szenario, das nur allzu oft in Entwicklungsländern, aber auch in Transitionsländern zu beobachten ist. Dabei lässt sich mit relativ wenig Aufwand und Finanzmittel schon Abhilfe schaffen. Wie auch in der Medizin, so sind die Mängel und Schäden an Anlagen und Geräte zu 80 bis 90 Prozent einfacher Natur und benötigen zu ihrer Behebung keine hoch spezialisierten Fachkräfte. Vor allem muss auch der Bereich der Prävention mehr Beachtung finden, denn erfahrungsgemäss sind zwei Drittel aller technischen Defekte auf die Fehlbedienung oder Nachlässigkeit von Personal zurückzuführen. Auch hier drängt sich der Vergleich mit der Medizin auf.
Technische Fachkräfte für die Bereiche Spital- und Medizintechnik sind Mangelware. Hingegen beschäftigen viele Gemeinden in anderen Bereichen technische Fachkräfte. In einer Art Nothilfeprogramm könnte demnach auf die vorhandenen technischen Fachkräfte zurückgegriffen werden, die für einige Stunden pro Woche ihren Dienst in den Gesundheitseinrichtungen verbringen könnten, um die wichtigsten Voraussetzungen für das Funktionieren einer Gesundheitseinrichtung zu schaffen. Sauberes fliessendes Wasser garantieren, Licht verfügbar machen, Steckdosen reparieren, den Sterilisator in Gang bringen - solche Aufgaben könnten von Elektrikern oder Kraftfahrzeugmechanikern nach kurzer Einführung übernommen werden; lediglich einige Kurse wären notwendig, um sie auf spezifische Elemente der Gesundheitstechnik hinzuweisen.
Fachkompetenzen der Abteilung für Ressourcenmanagement in einer Gesundheitsbehörde
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Im Rahmen des genannten Projektes zur reproduktiven Gesundheit wird versucht, die Verfügbarkeit von essentiellen Technologien zu erhöhen und die Sicherheit der Anwendungen zu verbessern. Ein wichtiges Element der Instandhaltung ist die Wartung durch die Anwender. Hier soll durch Schulungsmassnahmen und ein Supervisionskonzept sichergestellt werden, dass die vorhandene Technik sachgemäss verwendet wird und in gutem Zustand gehalten wird. Unter anderem ist es wichtig, dass durch Pflegemassnahmen wie etwa Reinigen und Desinfizieren keine pathogenen Keime auf Patienten und Personal übertragen werden - eine bedeutende Quelle von Infektionskrankheiten, die durch Übertragung von Erregern im Krankenhausbereich hervorgerufen werden (nosokomiale Infektionen).
Frustrierend ist es zu erleben, dass die Basispflege von Geräten (Filterwechsel, Reinigung) oft "nobody’s problem" ist. Eine eindeutige Zuweisung von Verantwortlichkeiten, Supervision und andere organisatorische Massnahmen helfen, Ressourcen effektiv und effizient einzusetzen.
Die oben genannten Initiativen sollen sicherstellen, dass mit relativ geringem finanziellem Aufwand eine grosse Wirkung erzielt wird. Ein umfassendes, systematisches Technologiemanagement ist langfristig jedoch unerlässlich, wenn qualitativ gute Gesundheitsdienste zu bezahlbaren Preisen angeboten werden sollen. Die Verbesserung der physischen Infrastruktur von Gesundheitseinrichtungen hat weiterhin einen positiven Effekt auf die Motivation des Ärzte- und Pflegepersonals; ein Faktor, der massgeblich die Qualität und Leistungsfähigkeit von Gesundheitssystemen beeinflusst.
*Martin Raab ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Swiss Center for International Health des Schweizerischen Tropeninstituts.