Von Nicolaus Lorenz
Mit dem Wandel der Gesundheitszusammenarbeit haben sich auch die Anforderungen an das in diesem Bereich tätige Personal grundlegend geändert. Eine aktuelle Bestandesaufnahme aus der Sicht des Schweizerischen Tropeninstituts.
Als der Basler Missionsarzt Rudolf Fisch Ende des vergangenen Jahrhunderts seine Tätigkeit in der "Goldküste" aufnahm, hatte diese Region den damals nur zu berechtigten Beinamen "Grab des weissen Mannes (und der weissen Frau)". Mehr als 10 % der Missionare starben im ersten Jahr ihres Aufenthaltes, viele schon wenige Wochen nach ihrer Ankunft. Ein sehr grosses Mass an Gottvertrauen gehörte deshalb zum Profil des ausländischen, medizinischen Personals, das in diesen Regionen arbeiten wollte.
Die enormen Gesundheitsprobleme der Missionare, Siedler, Händler und Soldaten war der anfängliche Grund dafür, in Afrika medizinische Dienste aufzubauen. Die Gesundheitsprobleme der lokalen Bevölkerung wurden erst allmählich in die Missionsdienste, dann aber auch in die kolonialen Strukturen eingebaut. An fachlicher Qualifikation war in dieser Situation der Generalist gefragt, der neben dem klassischen Gepäck (Chirurgie, Geburtshilfe und Innere Medizin) auch ein Verständnis der Tropenmedizin hatte. Auch für Pflegepersonal bestand anfänglich ein grosser Bedarf, der allerdings schnell abflachte und sich auf ausbildende Tätigkeiten beschränkte.
Das Anforderungsprofil hat sich in den letzten Jahrzehnten grundlegend geändert, und tendenziell sinkt der Bedarf an kurativ tätigen Fachpersonen. Im wesentlichen sind hierfür zwei Faktoren verantwortlich. Erstens haben die Anstrengungen der Partnerländer, eigene medizinische Expertise aufzubauen, Früchte getragen. Selbst in peripheren Einrichtungen finden sich heute oft nationale Ärzte und Ärztinnen. Zwar besteht nach wie vor in ländlichen Regionen ein Bedarf an Ärzten, der durch ausländische Fachkräfte gedeckt werden muss. Vor allem Spezialärzte, wie Orthopäden oder Ophthalmologen sind heute noch in vielen Ländern eine Seltenheit, bzw. in den grossen Städten konzentriert.
Ein zweiter Faktor, der zur Abnahme des Bedarfs an ausländischen Ärzten geführt hat, ist die Erkenntnis, dass zur Schaffung und Sicherstellung von Gesundheit mehr als Krankenhäuser notwendig sind, und dass neben der Behandlung und Prävention von Krankheit die Promotion von Gesundheit besonders wichtig ist. Die hierzu notwendige Fachexpertise findet sich in der "Public Health", die auch in der Schweiz eine relativ junge Fachdisziplin ist. In der Schweiz bzw. in Europa ist Public Health immer noch eine Domäne der Medizin. In den USA wird Public Health aber von den verschiedensten Professionen betrieben, und Mediziner/innen stellen neben Sozial- und Wirtschaftswissenschaftlern/innen fast eine Minderheit dar. Das weite Berufsspektrum erklärt sich durch das komplexe Aufgabenfeld der "Public Health", die eine systemische und vernetzte Sichtweise verlangt.
In Anbetracht der knappen Ressourcen wurde die Bedeutung von Public Health in den Partnerländern des Südens schon lange erkannt. Eine effiziente, auf aktiver Gemeindebeteiligung aufbauende Gesundheitsverwaltung wird v.a. auf peripherer Ebene (= Distrikt), in gewissem Umfang auch auf regionaler und nationaler Ebene umgesetzt. In den vergangenen zwanzig Jahren haben staatliche, aber auch Nichtregierungsorganisationen (NRO) der internationalen Zusammenarbeit gemeinsam mit den lokalen Partnerstrukturen entsprechende Projekte der Zusammenarbeit definiert. Vor einigen Jahren waren in diesen Programmen medizinisch qualifizierte Personen noch sehr dominant. Dies ist heute nicht mehr so. Der Wandel kann exemplarisch an dem Mitarbeiterprofil des Tropeninstituts dargestellt werden (Tabelle 1), wo in den letzten acht Jahren andere Fachdisziplinen die medizinische Expertise ergänzt und teilweise sogar auch ersetzt haben.
Tabelle 1: Berufsprofil von im Ausland tätigen Mitarbeitenden des Schweizerischen Tropeninstituts 1990 und 1998
Profil |
1990 |
1998 |
Ärzte/Ärztinnen mit oder ohne Ausbildung in Public Health |
6 |
3 |
Public Health Experte ohne medizinische Ausbildung |
1 |
|
Krankenschwester/Hebamme |
1 |
1 |
Politologe |
1 |
|
Soziologen/Anthropologen |
2 |
|
Ingenieure/Architekten |
3 |
|
Verwaltungswissenschaftlerin |
1 |
|
Gesundheitsökonom |
1 |
|
Geograph |
1 |
|
Administratoren |
3 |
|
Computerspezialisten |
2 |
Diese Entwicklung ist nicht abgeschlossen und zeigt sich vor allem im Bereich der Forschung, wo die transdisziplinäre Zusammenarbeit eine absolute Notwendigkeit geworden ist. Auch auf der nationalen und internationalen Ebene haben Mediziner Terrain verloren und Experten und Expertinnen aus den Bereichen der Sozial- und Wirtschaftswissenschaften Platz gemacht. Die Gesundheitsökonomie, aber auch die Anthropologie und Ethnologie sind ein sehr gefragtes Know How geworden, um ein besseres Verständnis für die sozialen und kulturellen Bedürfnisse und Erwartungen der Zielgruppe zu erhalten. Nur damit können angepasste Gesundheitssysteme geplant und aufgebaut werden.
Tabelle 2 : Schematische Darstellung der Anforderungsprofile in Abhängigkeit vom Projektansatz
Projektansatz |
Interventionsebene |
Methoden |
Beteiligte Institutionen und Organisationen |
Anforderungsprofil |
Basisansatz |
Familie, Kleingruppe |
Finanzielle, selten personelle Unterstützung, Unterstützung lokaler Initiativen |
Schweizerische Nichtregierungsorganisationen (NRO) und NRO aus Partnerländern |
Kaum direkte Einsatzmöglichkeiten für ausländisches Personal |
Spitalansatz |
Gesundheitsstrukturen; periphere, regionale oder nationale Krankenhäuser |
Finanzielle, materielle und teilweise personelle Unterstützung |
Schweizerische NRO und NRO aus Partnerländern |
Klinisch ausgebildete Ärzte und Ärztinnen; für periphere Einrichtungen in der Regel chirurgische und tropenmedizinische Grundausbildung notwendig; in grösseren Krankenhäusern besteht auch Bedarf für Fachärzte und Fachärztinnen |
Distriktansatz |
Gesundheitsstrukturen im Distrikt, Klein- und Risikogruppen |
Unterstützung von Gesundheitsadministrationen unter Berücksichtigung der Basisgesundheitsprinzipien, insbesondere der Gemeindebeteiligung und der intersektoriellen Zusammenarbeit Technische Assistenz |
Regisseure/Mandate der schweizerischen Entwicklungszusammenarbeit, Partnerinstitutionen |
In der Regel (aber nicht ausschliesslich) medizinisches Personal mit Zusatzqualifikation in öffentlichem Gesundheitswesen |
Distrikts- |
abhängig von Forschungsthemen, aber oft direkt auf die Bevölkerung bezogen |
Angewandte Gesundheitssystemforschung, die in einem partizipativen Ansatz natur- und sozialwissenschaftliche Techniken miteinander verbindet Technische Assistenz |
v.a. Forschungsinstitutionen in der Schweiz, den Partnerländern und Forschungspartner aus der nördlichen Hemisphäre |
Fachpersonen mit Erfahrung in quantitativer und qualitativer Forschung aus verschiedenen Fachdisziplinen (Public Health, Biologie und Sozial- und Wirtschaftswissenschaften) |
Regionale und internationale Unterstützung |
International |
Finanzielle Unterstützung Technische Assistenz |
DEZA, andere staatliche und nichtstaatliche Organisationen |
Fachpersonen aus verschiedenen Fachdisziplinen (Public Health, Biologie und Sozial- und Wirtschaftswissenschaften) mit einer breiten und internationalen Erfahrung in verschiedenen Gebieten; die "reine" kurativ medizinische Erfahrung spielt nur eine untergeordnete Rolle |
Unabhängig von der fachlichen Qualifikation - und da hat sich seit den Zeiten des Dr. Fisch nicht viel geändert - gehört es zum Anforderungsprofil von Personen, die heute im Süden oder auch im Osten arbeiten wollen, dass sie offen und kommunikativ sein müssen, um sich in ein ungewohntes kulturelles Umfeld integrieren zu können. Die Fähigkeit zu partnerschaftlichem Denken und Teamarbeit ist dabei ebenso eine Grundvoraussetzung wie ausgezeichnete Sprachkenntnisse.
*Nick Lorenz, Präsident von Medicus Mundi Schweiz, ist Leiter des Support Centre for International Health am Schweizerischen Tropeninstitut in Basel.