Langzeiteinsätze von Schweizer Ärzt/innen in der Gesundheitszusammenarbeit

"Nicht nur hingehen und eine Dienstleistung abliefern"

Von Rita Borer, Konrad Meyer, Daniel Stoffel und Gerda Borgeaud

Eine Gesprächsrunde mit Vertreter/innen von Schweizer Organisationen, die regelmässig Ärzt/innen in längerfristige Einsätze an Spitälern in Ländern des Südens entsenden. Am Gespräch nahmen teil: Rita Borer (SolidarMed), Gerda Borgeaud (DM-Echange et Mission), Konrad Meyer (Basler Mission / Kooperation evangelischer Kirchen und Missionen KEM), Daniel Stoffel (Schweizer Hilfsverein für das Albert Schweitzer-Spital in Lambarene) sowie Thomas Schwarz (Medicus Mundi Schweiz, Gesprächsleitung).

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Braucht es noch Langzeiteinsätze von Schweizer Ärzt/innen in der Gesundheitszusammenarbeit?

Rita Borer (SolidarMed): In Zimbabwe haben wir die Erfahrung gemacht, dass es sehr schwierig ist, lokale Ärzte für ländliche, oft abgelegene Spitäler zu finden. Kürzlich haben einige ausländische Organisationen ihre Ärzte aus einer Diözese, in der wir auch tätig sind, zurückgezogen. Diese Stellen sind bis heute unbesetzt geblieben. In einer anderen Diözese hat sich SolidarMed bereits vor einiger Zeit bereit erklärt, einem lokalen Arzt ein "Topping-up" zu gewähren, einen Zuschlag zu dem von der kirchlichen Spitalverwaltung bezahlten Lohn. Dennoch ist es dem Bischof nicht gelungen, die Stelle zu besetzen.

Konrad Meyer (Basler Mission/KEM): Für die Basler Mission ist es ausgesprochen wichtig, dass es Langzeiteinsätze gibt. Dies gilt für alle Bereiche unserer Zusammenarbeit, nicht nur für das Gesundheitswesen. Langzeiteinsätze ermöglichen es unseren Mitarbeiter/innen erst, in eine Kultur hineinzukommen, das Leben mit den Menschen vor Ort zu teilen und nicht nur hinzugehen und irgend etwas "abzuliefern", sich ein Denkmal zu bauen und wieder nach Hause zu gehen. Für die meisten Berufe haben wir deshalb eine Mindesteinsatzdauer von fünf Jahren. Bei Ärzt/innen mussten wir auf zweieinhalb bis drei Jahre zurückgehen, um ihre Reintegration in der Schweiz nicht zu gefährden.

Auch in der Schweiz wollen wir ja von einer reinen Apparatemedizin wegkommen. Deshalb ist es uns auch wichtig, dass Ärzt/innen, die für uns im Ausland arbeiten, nicht einfach vom zweiten Tag an mit ihrer Medizin "loslegen". Für einen ganzheitlichen Ansatz sollen sie Zeit haben, die lokale Sprache zu lernen, in die lokalen Gegebenheiten und Zusammenhänge hineinzukommen, sich auch mit traditioneller Medizin und Naturmedizin auseinanderzusetzen.

Gerda Borgeaud (DM-Echange et Mission): Die Schlussfolgerung eines Arztes, der für uns während vier Jahren in Kamerun tätig war, lautete: Wir sollten vermehrt zu den Leuten gehen, die häufig gar nicht mehr das Geld haben, um in ein Spital zu gehen. In unserer Arbeit - auch um die Spitäler herum - sollten der Kontakt mit den Menschen, die Ausbildung und die Gesundheitsanimation im Zentrum stehen.

Daniel Stoffel (Hilfsverein für das Albert Schweitzer-Spital): Im Albert Schweitzer-Spital in Lambarene ist der Betrieb recht spezialisiert. Ein Pädiater macht nur Pädiatrie, ein Chirurg nur Chirurgie. Es ist aber schwierig, entsprechende Spezialisten im Land zu finden, und deshalb braucht es weiterhin Ärzt/innen aus Europa. Am Spital in Lambarene arbeitet seit drei Jahren ein gabunesischer Arzt; er kam "frisch ab Presse". Es wäre nun gut, wenn er sich seine Sporen an verschiedenen Orten, auch im Ausland, abverdienen würde, um dann neue Impulse für das Spital bringen zu können. Es wäre generell besser, wenn sich einheimische Ärzt/innen an Universitäten in der Dritten Welt, aber auch an Kliniken in Europa oder etwa Amerika weiterbilden würden. Oft stellt sich dann aber das Problem, dass diese gut ausgebildeten Ärzt/innen nicht mehr in ihre Heimat zurückkehren.

Konrad Meyer: Unsere Partnerorganisationen betreiben ihre Spitäler und Gesundheitsstrukturen in erster Linie mit einheimischen Kräften. Es ist eine Ausnahme, dass jemand aus Europa zur Mitarbeit gesucht wird. Jede Anfrage muss begründet werden; es gibt keinen "Normalfall". Ein Arzt, der sich gerade jetzt mit seiner Familie auf die Ausreise nach Kamerun vorbereitet, wird in einem Gebiet eingesetzt, in welchem es starke ethnische Konflikte gegeben hat. Dort ist es im Moment einfach nicht möglich, eine einheimische Kraft als Spitalleiter anzustellen. Es braucht eine "neutrale" Figur, bis sich die Lage wieder beruhigt hat. Sonst hätte man wohl auch in dieses Gebiet ohne weiteres einen kamerunischen Arzt schicken können, von denen es viele gibt, die sehr gut ausgebildet und sehr kompetent sind.

Spricht in der Regel nicht alles dafür, kompetentes lokales Personal einzustellen, das aufgrund seiner Kenntnisse und Autorität auch eher in der Lage ist, Impulse für die lokale Gesundheitspolitik zu geben und auf strukturelle Veränderungen hinzuarbeiten. Anders gefragt: dienen ausländische Ärzte, die kommen und arbeiten, ohne das System zu hinterfragen, nicht oft der Stabilisierung von Verhältnissen, die eine nachhaltigen Gesundheitsversorgung nicht zulassen?

Rita Borer: Es gilt, den Blick über den einzelnen Arzteinsatz zu öffnen. Ärzt/innen, die während zwei oder drei Jahren an einem Ort tätig sind, leisten einen Beitrag zur Nachhaltigkeit der Institution, obwohl ihnen bewusst ist, dass ihre Möglichkeiten, als "Gastarbeiter" die lokalen Strukturen zu beeinflussen, beschränkt sind.

Konrad Meyer: Wenn es für einheimisches Personal unattraktiv ist, an einem gewissen Ort zu arbeiten, liegt es an den Betreibern eines Spitals, die Verhältnisse zu ändern, und nicht an uns. Etwas anderes ist es, wenn wir - NGOs oder Kirchen - einem Spital eine billige oder kostenlose Arbeitskraft zur Verfügung stellen und damit einer einheimischen Fachkraft einen Arbeitsplatz wegnehmen. Hier gilt es, die Arbeitsmarktsituation im Moment der Anfrage durch eine Partnerorganisation sehr genau abzuklären und sie auch später genau im Auge zu behalten. Wenn wir dann einen europäischen Arzt zurückziehen können, stellen wir der Partnerorganisation in der Regel in den Folgejahren Finanzen zur Verfügung, damit sie einheimische Fachkräfte anstellen können.

Ist die von Ihnen beschriebene Subsidiarität in allen Organisationen die Regel? Wird jede Stelle zunächst auf dem nationalen Markt ausgeschrieben?

Konrad Meyer: Im Rahmen der Kirchengemeinschaft (Communauté évangelique d’action apostolique CEVAA) wird jede Stellenausschreibung von einer Personalkommission geprüft. Eine internationale Stellenausschreibung wird nur bei entsprechendem Bedürfnisnachweis bewilligt.

Gerda Borgeaud: Es gibt hingegen ein Problem bei der Förderung des Süd-Süd-Austausches von Fachkräften, den wir im Rahmen der CEVAA eigentlich anstreben. Eine Stellenausschreibung geht an alle 47 Mitgliedkirchen der CEVAA im Süden und Norden, und manchmal kommt es zu Angeboten verschiedener Kirchen. Und wenn dann eine Partnerkirche zwischen einem Arzt aus Afrika und einem Arzt aus Europa wählen kann, wird in der Regel der Europäer genommen. Ein europäischer Arzt bedeutet für ein Spital ein gewisses Prestige.

Rita Borer: Auch die Qualitätsfrage spielt eine Rolle. Europäische Ärzte haben einen besseren Ruf. Ein weiterer Aspekt ist, dass ein weisser Arzt in der Regel ein ganzes Paket von weiteren interessanten Angeboten mit sich bringt, insbesondere Finanzierungsmöglichkeiten, die für die lokalen Partner interessant sind.

Konrad Meyer: Hier haben wir Missionen den Vorteil, dass wir nicht nur medizinische Projekte betreuen. Wenn eine Kirche weiss, dass sie in verschiedensten Gebieten mit uns verbunden ist, ist es nicht mehr notwendig, dass jemand von uns dort im Spital die Rolle eines Finanzbeschaffers übernimmt.

Welche Voraussetzungen müssen ausreisende Ärzt/innen erfüllen, damit ihr Aufenthalt zu einem erfolgreichen Stück Partnerschaft wird?

Konrad Meyer: Unsere Idealvorstellung wäre letztlich, dass wir Leute vom Norden in den Süden, vom Süden in den Norden und vom Süden in den Süden austauschen könnten, ohne dass ein dringender Bedarf, eine Notwendigkeit besteht. Das hiesse auch, dass ihre fachliche Qualität weniger gefragt wäre als ihre Anwesenheit als Menschen.

Gerade, wenn wir Ärzt/innen schicken, ist die Falle besonders gross, dass sie nur als Fachpersonen angesehen werden und nicht als eine Familie, die ihr Leben während mehrerer Jahre mit den Menschen vor Ort teilt. Für uns ist deshalb auch bei der Rekrutierung von Ärzt/innen besonders zu wichtig zu sehen, wie lernfähig eine Person ist, wie neugierig sie ist zu sehen, was in der anderen Kultur lebt, wie z.B. Gesundheit verstanden wird, wie die Leute mit Krankheit, Tod, Leben umgehen.

Gerda Borgeaud: Für uns ist das fachliche Können zwar wichtig, doch schicken wir vor allem Menschen, die den Wunsch haben, einer anderen Kultur zu begegnen und Kontakte zu den Einheimischen suchen. Menschen, die auch nach ihrer Rückkehr in die Schweiz wieder etwas von dem, was sie erlebt und erfahren haben, zurückbringen können.

Daniel Stoffel: Nur ist es bei der Rekrutierung sehr schwierig, diese Qualitäten zu überprüfen; wir haben uns kürzlich in zwei Fällen in dieser Beziehung gründlich geirrt. Das Fachliche ist im allgemeinen leichter zu beurteilen als die menschliche Seite. Auch der Kontext der Arbeitsstelle spielt eine wichtige Rolle. Wo es wie in Lambarene mehrere "Expatriés" hat, bewegen sich diese im Spital leider oft in einer Art Ghetto und sind gar nicht auf den zwischenmenschlichen Kontakt mit den Einheimischen angewiesen.

Oft werden so auch die Erwartungen der europäischen Ärzte nicht erfüllt. Sie haben vielleicht auf der Ebene der Arbeit etwas erreicht, z.B. Verbesserungen im Operationssaal, doch wissen sie nicht, ob diese Veränderungen nach ihrer Rückkehr bestehen bleiben.

Rita Borer: Hüten wir uns vor Idealisierungen! Wenn sich Ärzt/innen für eine Mitarbeit bei uns entscheiden, nehmen sie in Kauf, auf vieles zu verzichten. Alle stellen ihre Offenheit für andere Kulturen und ihren Lernwillen ins Zentrum ihrer Motivation. Auch für SolidarMed ist es natürlich interessant, wenn sie dann nach ihrer Rückkehr in der Schweiz an einem Prozess der Veränderung in unserer Gesellschaft teilnehmen. Unsere Erfahrung zeigt aber, dass die Ärzt/innen in einem Einsatz so stark im fachlichen Bereich engagiert sind, dass es an den mitreisenden Partner/innen, in der Regel der Ehefrau eines Arztes liegt, die Vermittlung zu den Menschen eines Ortes herzustellen. In dieser Beziehung ist auch ein Aufenthalt von zwei, maximal drei Jahren zu kurz.

Albert Schweitzer und "Daktari", der selbstlose Helfer und der Buschdoktor, der jeder noch so abenteuerlichen Situation gewachsen ist, sind beide Idealisierungen einer Tätigkeit als Arzt im Süden. Wie gehen Sie mit den Vorstellungen und Erwartungen von Ärzt/innen, die sich für eine Arbeit in Ihrer Organisation interessieren, um? Sind die ausreisenden Ärzt/innen auf die oft ernüchternden Realitäten, mit denen sie in ihrer Arbeit konfrontiert werden, vorbereitet?

Rita Borer: Selbst Ärzte, die sich fest vorgenommen haben, in einen intensiven Austausch mit den Menschen zu treten, haben oft Mühe, ihre persönlichen Zielsetzungen zu realisieren, da sie bald in ihre Rolle als funktionierender Arzt geworfen werden. Denn wenn das Bild des weissen Daktari, der kommt und alles macht und kann, nicht vom europäischen Arzt mitgebracht wird, kommt es oft von Seiten der einheimischen Bevölkerung.

Gerda Borgeaud: In den Vorbereitungskursen, die wir gemeinsam mit der Defap (Département Missionnaire in Frankreich) durchführen, werden solche Themen angesprochen. Doch gibt es viele, die mit einem starken Wunsch, einer klaren Vorstellung kommen. Sie hören zwar, was wir ihnen sagen, wollen es aber nicht wahrhaben. Oft wachen sie erst auf, wenn sie an ihrem Arbeitsort angekommen sind.

Daniel Stoffel: Anderseits fehlt vielen Ärzten auch die Geduld, zuerst zu schauen und zu lernen, sich in eine Struktur einzufügen, sich ein Bild der örtlichen Gepflogenheiten zu machen, zu analysieren, und nicht gleich alles auf den Kopf zu stellen und den eigenen, europäischen Vorstellungen entsprechend zu verändern. An einer Tagung der deutschen Gesellschaft für Tropenchirurgie erwähnte ein deutscher Kollege, dass er bei einem Einsatz in einem Entwicklungsland nach wenigen Tagen den ganzen Betrieb am liebsten vollständig umorganisiert hätte - was er aber zum Glück nicht tun konnte. Nach einem Jahr, als er die örtlichen Gegebenheiten besser kannte, habe er geschaut, was von seinen ursprünglichen Plänen wirklich sinnvoll umgesetzt werden könnte: Es war nur ein Bruchteil von dem, was er anfänglich ändern wollte.