Eine Zwischenbilanz zum WHO-Kodex zur Rekrutierung von Gesundheitspersonal

Globaler Gesundheitspersonalmangel: Es bleibt viel zu tun

Von Martin Leschhorn Strebel

Sechs Jahre nach der Verabschiedung des WHO-Kodex‘ zur Rekrutierung von Gesundheitspersonal steht fest, dass die Herausforderung für ressourcenschwache Länder nach wie vor riesig ist, um mit genügend Personal die Gesundheit ihrer Bevölkerungen sicherzustellen. Politische Fragen, welcher der Kodex nicht angehen konnte, bleiben bestehen. Und die Schweiz hat sich bewegt – und sollte sich weiter bewegen.

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Globaler Gesundheitspersonalmangel: Es bleibt viel zu tun

Elizabeth Kekula, a resident nurse at the Star of the Sea Clinic in the sprawling shantytown of Westpoint, in Monrovia, Liberia (UN Photo/Staton Winter)

 

Sechs Jahre nach der Verabschiedung des WHO-Kodex‘ zur Rekrutierung von Gesundheitspersonal steht fest, dass die Herausforderung für ressourcenschwache Länder nach wie vor riesig ist, um mit genügend Personal die Gesundheit ihrer Bevölkerungen sicherzustellen. Politische Fragen, welcher der Kodex nicht angehen konnte, bleiben bestehen. Und die Schweiz hat sich bewegt – und sollte sich weiter bewegen.

Sechs Jahre sind es bereits her, dass die Weltgesundheitsversammlung nach schwierigen Debatten den WHO-Kodex zur Rekrutierung von Gesundheitspersonal verabschiedet hat. Der Kodex ist ein Meilenstein, um die globale Migration von Ärztinnen, KrankenpflegerInnen und Hebammen zu steuern. Denn eine Regulierung ist notwendig, wenn wir den globalen Mangel an Gesundheitspersonal nicht einfach dem Markt aussetzen wollen. Denn auf der Strecke bleiben dabei Menschen in denjenigen Ländern, die bereits heute unter einem schwerwiegenden Mangel an Gesundheitspersonal leiden. Wo stehen wir heute, sechs Jahre nach der Einführung des freiwilligen Kodex‘ – und welche Rolle spielt die Schweiz bei dessen Umsetzung?

Kompensation zurück auf den Verhandlungstisch?

Der Gesundheitssektor ist auch in den kommenden Jahren ein boomender, globaler Markt. Nach Schätzungen der durch den UN-Generalsekretär eingesetzten „High-Level Commission on Health Employment and Economic Growth“ werden weltweit bis 2030 rund 40 Millionen neue Stellen geschaffen. Diese Stellen werden aber hauptsächlich in Ländern mit hohem und mittlerem Einkommen entstehen. Dort aber, wo es am dringendsten Gesundheitspersonal bräuchte – nämlich in den Entwicklungsländern, welche global auch die höchste Gesundheitslast schultern, wird dieses auch weiterhin fehlen. Um die UN-Agenda 2030 zur nachhaltigen Entwicklung umzusetzen, fehlen laut Schätzungen derselben Kommission 18 Millionen ÄrztInnen, KrankenpflegerInnen, Hebammen und all das Gesundheitspersonal, das auf Gemeindeebene mithilft, die Basisgesundheit sicherzustellen.

Der WHO-Kodex spielt angesichts dieser Herausforderungen eine wichtige Rolle, um in diesem globalen Gesundheitsmarkt mit diversen Steuerungsmechanismen ein wildwest-mässiges Abwerben und Herumreichen von Gesundheitspersonal zu verhindern. Er hat aber auch klare Grenzen, insbesondere weil er auf Freiwilligkeit basierende Instrumente setzt und vor wirklich effektiven Massnahmen zurückschreckt. Er fordert zwar, dass jedes Land dem eigenen Bedarf entsprechend genügend eigene Fachkräfte ausbildet. Er legt aber nicht eine Kompensation für Länder fest, welche durch sie ausgebildetes Personal an andere Länder verlieren, die damit Ausbildungskosten sparen. Ein solcher Mechanismus hätte wohl verhindert, dass der Kodex von der Weltgesundheitsversammlung angenommen worden wäre. Bei einer anstehenden Revision des Kodexes muss die Thematik wieder auf den Tisch kommen – und wohl zu heftigen Diskussionen führen.

Die Umsetzung des WHO Kodexes aus Schweizer Sicht

An der Weltgesundheitsversammlung 2016 präsentierte die WHO den zweiten Zwischenbericht zur Umsetzung des WHO-Kodexes. Dazu erstellten 2015 die Mitgliedländer Ihre Berichte. Für den Bericht der Schweiz zur Umsetzung des WHO-Kodexes hat das Netzwerk Medicus Mundi Schweiz basierend auf einer Umfrage bei verschiedenen Schweizer Organisationen den zivilgesellschaftlichen Teil des Berichtes verfasst. Darauf basieren die folgenden Ausführungen.

Als zivilgesellschaftliche Organisation, die hier in der Schweiz an diesem Thema seit einigen Jahren intensiv daran ist, können wir eine deutliche veränderte Herangehensweise an den Gesundheitspersonalmangel durch die Schweiz feststellen. Vor in Kraft treten des Kodexes beruhte die Strategie des Bundesrates gegen den Gesundheitspersonalmangel hauptsächlich darin, auf den freien Personenverkehr zu setzen. Die Schweiz schien als Standort attraktiv genug, um den eigenen Mangel mit Fachkräften aus dem Ausland zu befriedigen. Die Einführung des Numerus Clausus für ÄrztInnen im Jahr 1998 illustriert dieses Verständnis.

Auch wenn der Numerus Clausus nach wie vor in Kraft ist, so ist sich die Regierung seit einigen Jahren viel bewusster, dass die Rekrutierung im Ausland den eigenen Gesundheitspersonalmangel allein nicht zu lösen vermag. Insbesondere wird auch deutlicher die Gefahr wahrgenommen, dass die Rekrutierung in den benachbarten Ländern schwieriger werden könnte, wenn diese etwa die Bedingungen für ihr Personal verbesserten. Erfreulicherweise hat der Bundesrat dank des WHO-Kodexes begriffen, dass die Abhängigkeit der Schweiz von der Rekrutierung im Ausland negative Folgen auf Länder mit schwächeren Gesundheitssystemen hat.

Über die Gesundheitsaussenpolitik der Schweiz engagiert sich die Schweiz insgesamt stark zugunsten des WHO-Kodexes. Die grösste Wirkung des WHO-Kodexes in der Schweiz – nicht zuletzt auch dank des zivilgesellschaftlichen Engagements für den Kodex – liegt darin, dass die Rekrutierung von Deutschen, Franzosen und Französinnen, Polinnen und Polen in unserer Gesundheitsversorgung und Altenpflege nicht als ausländerpolitisches Thema sondern unter dem Vorzeichen der internationalen Solidarität diskutiert wird.

Geht man allerdings auf die realen Auswirkungen des Kodex‘ ein, bleibt dessen Wirksamkeit beschränkt. Sicher: Der Bundesrat unterstützt die Universitäten darin, dass mehr Ärztinnen und Ärzte ausgebildet werden können. So konnten 2014 zusätzliche 180 Ausbildungsplätze geschaffen werden. Ausserdem hat der Schweizerische Hochschulrat kürzlich einem ausserordentlichen Programm zugestimmt, das die Zahl der MedizinerInnen nochmals steigern soll.

Doch all dies bleibt der Tropfen auf dem heissen Stein: Das Schweizer Gesundheitssystem ist nach wie vor weit davon entfernt, in dem Sinne nachhaltigen zu sein, dass es den eigenen Bedarf weitest gehend möglich mit selber ausgebildetem Personal zu decken vermag. (WHO-Kodex, 5.4)

Empfehlungen

Im zivilgesellschaftlichen Bericht haben wir Empfehlungen formuliert, die sich stark an die Empfehlungen des zivilgesellschaftlichen Manifest, „Den Gesundheitspersonalmangel nicht auf Kosten der Ärmsten lösen“ (pdf), anlehnt.

  • Der WHO-Kodex muss in der Schweiz noch besser bekannt gemacht werden. Die relevanten Stakeholder auf allen Ebenen des Gesundheitssystems müssen sich an diesen Kodex halten.
  • Die Schweiz muss sicherstellen, dass das Arbeitsrecht für alle im Gesundheitssektor tätigen Angestellten gilt – einschliesslich denjenigen, die auf einer temporären Basis angestellt sind. Die Saläre müssen in jedem Fall den Kompetenzen der Angestellten und den branchenüblichen Standards entsprechen.
  • Insbesondere müssen die Arbeitsbedingungen und Saläre des ausländischen Gesundheitspersonals sorgfältig evaluiert werden, gibt es doch einige Hinweise auf diesbezügliche Diskriminierungen.
  • Die Arbeit von im Gesundheitsbereich tätigen Stellenvermittlungsagenturen müssen lizenziert und kontrolliert werden.
  • Die Zivilgesellschaft unterstützt das starke Engagement der Schweiz, die Gesundheitssysteme in ressourcenschwachen Ländern zu stärken. Die internationale Zusammenarbeit der Schweiz sollte einen stärkeren Schwerpunkt auf die Unterstützung der Ausbildung von Gesundheitspersonal in Entwicklungs- und Schwellenländern setzen.
  •  In der eben durch den Nationalrat unterstützten Botschaft zur internationalen Zusammenarbeit 2017-2020 legt der Bundesrat richtigerweise ein starkes Gewicht auf die Berufsbildung. Das Training und die Ausbildung von Gesundheitspersonal muss im Rahmen dieser Strategie eine gewichtigere Rolle spielen.
Martin Leschhorn Strebel
Martin Leschhorn Strebel
Geschäftsführer des Netzwerks Medicus Mundi Schweiz und dort zuständig für den Themenschwerpunkt Gesundheitspersonal.