HIV/Aids und geschlechtsbezogene Gewalt

Ein Augenschein in Südafrika

Von Susanne Rohner

Die Themen HIV/Aids und geschlechtsbezogene Gewalt standen im Zentrum einer Studienreise, die drei schweizerische Parlamentarierinnen im Mai nach Südafrika führte. Die Situation in Südafrika ist nicht nur bezüglich sexueller Gewalt gegen Frauen alarmierend. Die HIV-Ansteckungsrate ist heute bei jungen Frauen besonders hoch. Von der Tragödie ist damit auch die kommende Generation betroffen.

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HIV/Aids und sexuelle Gewalt sind eng miteinander verstrickt: Das höchstes Risiko, mit HIV angesteckt zu werden, tragen heute in Südafrika junge Frauen, die gleichzeitig in erschreckendem Ausmass von geschlechtsbezogener Gewalt betroffen sind. Da Gewalt in manchen Familien, Gemeinschaften und der Gesellschaft eine alltägliche Realität darstellt, sind viele Frauen und junge Mädchen nicht nur in ihren Rechten und ihrer persönlichen Freiheit eingeschränkt, sondern auch in der Möglichkeit, sich vor HIV/Aids zu schützen.

Im Mai haben sich die drei Schweizer Parlamentarierinnen Ruth Genner (Grüne/ZH), Francine John-Calame (Grüne/NE) und Ruth-Gaby Vermot-Mangold (SP/BE) während einer einwöchigen Studienreise nach Südafrika vor Ort über die Situation im Zusammenhang mit HIV/Aids und Gewalt gegen Frauen informiert. Die Studienreise erfolgte auf Einladung von UNFPA (Bevölkerungsfonds der Vereinten Nationen) und PLANeS (Schweizerische Stiftung für sexuelle und reproduktive Gesundheit). Alle drei Nationalrätinnen engagieren sich in der Schweiz in der parlamentarischen Gruppe Kairo+ für die Umsetzung des UNO-Aktionsprogramms von Kairo. In diesem 1994 von 179 Staaten, darunter die Schweiz, verabschiedeten Programm wurde die Bedeutung und das Recht auf sexuelle und reproduktive Gesundheit verankert und in Zusammenhang mit Forderungen wie der nach der Gleichstellung der Geschlechter, der Bekämpfung der Armut und Zugang zu Bildung gestellt. „Der Aufenthalt in Südafrika hat den Politikerinnen die Möglichkeit geboten, sich über Treffen mit VertreterInnen der Regierung, des Parlaments, von internationalen Organisationen und Nichtregierungsorganisationen darüber zu informieren, wie Südafrika auf die grossen Herausforderungen im Zusammenhang mit HIV/Aids und Gewalt gegen Frauen reagiert, wie die Entwicklungsgelder eingesetzt werden und wo Handlungsbedarf besteht“, erklärt Anita Cotting, die als Geschäftsführerin von PLANeS die Politikerinnen nach Südafrika begleitet hat.

Armut, Ungleichheit, Gewalt

Um die Ausbreitung von HIV/Aids zu stoppen, müssen Armut und Ungleichheit der Geschlechter überwunden werden, lautet eine Forderung des UNFPA. In Südafrika bieten Verfassung und Gesetzgebung eigentlich gute Voraussetzungen, ist doch die Gleichstellung der Geschlechter in der Verfassung verankert. „Es besteht breiter Konsens über diese Verfassung, welche die Grundlage legt für einen nicht-rassistischen, nicht-sexistischen und demokratischen Staat“, stellt Ruth Genner fest. Auch auf politischer Ebene wurden seit dem Ende der Apartheid markante Forschritte erzielt, bekleiden doch heute zahlreiche Frauen Schlüsselpositionen in der Regierung. Auch ein Drittel der Sitze im nationalen Parlament sind von Frauen besetzt, und bis ins Jahr 2009 sollen dank einer entsprechenden Quote sogar die Hälfte der Parlamentsmitglieder Frauen sein. Spezifische Gesetze wie zum Beispiel dasjenige über häusliche Gewalt aus dem Jahr 1999 (domestic violence act) würden den Frauen eigentlich auch Schutz vor Gewalt bieten. Wie die Realität zeigt, hapert es jedoch an der Umsetzung. Nach offiziellen Zahlen werden in Südafrika jährlich 60'000 Vergewaltigungen registriert und täglich 8000 Fälle von häuslicher Gewalt – sicher ist das aber nur die Spitze des Eisbergs.

Als Ursachen der Gewalt gelten Armut, ökonomische Abhängigkeit der Frauen, mangelnde Bildung, Traditionen und Bräuche, die ungleiche Geschlechterrollen aufrechterhalten, schwierige Familienstrukturen aufgrund der gesellschaftlichen Veränderungen und die Bevölkerungskonzentration in den Townships. Südafrika teilt damit zwar das Problem der geschlechtsbezogenen Gewalt mit zahlreichen anderen Ländern, jedoch mit dem Unterschied, dass sich in Südafrika die Erblasten des Apartheidsystems in der Form von ökonomischer Ungleichheit weiterhin manifestieren und die Situation verschärfen.

Die Regierung Südafrikas hat Massnahmen ergriffen und führt zum Beispiel bereits seit 16 Jahren 16-tägige Aktionen „Keine Gewalt gegen Frauen und Kinder“ durch, die in diesem Jahr in Zusammenarbeit mit Nichtregierungsorganisationen zu einer ganzjährigen nationalen Sensibilisierungskampagne auf allen Ebenen ausgeweitet wurden.

Konkrete Hilfe für Opfer sexueller Gewalt bieten die Thuthuzela Care Centres. Thuthuzela bedeutet in der Xhosa-Sprache „Trost“. Die bisher zehn Zentren haben bis über Afrika hinaus Vorzeigefunktion. Die Schweizer Delegation hat dasjenige in Kapstadt besucht und war beeindruckt von dessen Pioniercharakter: „Die Schweiz könnte sich vom Modell dieser Zentren inspirieren lassen, bei dem ÄrtzInnen, PolizistInnen, JuristInnen, SozialarbeiterInnen und PsychologInnen unter dem gleichen Dach eng zusammenarbeiten“, erklärt Ruth-Gaby Vermot-Mangold. Damit soll verhindert werden, dass die Opfer erneut traumatisiert werden, indem sie durch separate Verfahren von den verschiedenen Behörden gleich mehrmals wieder mit dem Erlebten konfrontiert werden. Die Zentren, die von internationalen Organisationen unterstützt werden, sind in Quartieren eingerichtet, die speziell von sexueller Gewalt und HIV/Aids betroffen sind. Sie verfolgen vor allem zweierlei Ziele: eine gute medizinische und psychosoziale Betreuung der Opfer einer Vergewaltigung und die Strafverfolgung der Täter. Die gute Betreuung soll bei den Opfern ein Posttrauma verhindern und die gute medizinische Behandlung unter anderem die Gefahren in Zusammenhang mit HIV/Aids mindern. Alarmierend ist allerdings die Feststellung der Mitarbeiterinnen, dass zunehmend auch Kinder als Opfer sexueller Gewalt die Thuthuzela Care Centres aufsuchen.

HIV/AIDS: hohes Ansteckungsrisiko für junge Frauen

Geschlechtsspezifische Gewalt und die Ungleichheit der Geschlechter haben nach Angaben von UNFPA gravierende Auswirkungen auf das HIV-Risiko einer Frau. Südafrika weist zwar im Vergleich zu anderen afrikanischen Ländern relativ gute Gesundheitsindikatoren auf. Bezüglich HIV/Aids ist die Situation jedoch alarmierend. In Südafrika waren nach UNO-Angaben von 2006 5,5 Millionen Menschen HIV-positiv. Schätzungen zufolge sind rund 20 Prozent der Bevölkerung mit dem Virus infiziert. Junge Frauen sind heute deutlich stärker gefährdet als Männer, mit dem HI-Virus angesteckt zu werden. So liegt nach UNO-Angaben das Ansteckungsrisiko für junge Frauen bis zu viermal höher als bei Männern. Zwischen 1997 und 2004 hat sich die Mortalität bei Frauen im Alter von 20-39 Jahre mehr als verdreifacht. Die Ausbreitung von HIV/Aids hat verheerende Auswirkungen auf die gesamte Bevölkerung: Die durchschnittliche Lebenserwartung ist von 62 Jahren im Jahr 1990 auf 47 Jahre im Jahr 2005 gesunken ist.

Das hohe Ansteckungsrisiko junger Frauen hat auch für die folgende Generation Konsequenzen: Kinder leiden nicht nur als Aidswaisen besonders an den Folgen der Epidemie, sondern sie sind zunehmend auch selber von der Krankheit betroffen. Nach UNO-Angaben waren im Jahr 2000 24,5 Prozent der Frauen, welche ein vorgeburtliches Gesundheitszentrum aufsuchten, HIV-positiv. Die Zahlen variieren regional stark, wobei KwaZulu Natal mit 36,2 Prozent besonders hohe Raten aufweist. Nach jüngsten Zahlen der WHO war im Jahr 2000 in 57 Prozent aller Todesfälle bei Kindern HIV/Aids die Ursache.

Im Rahmen eines Strategieplans zu HIV/Aids hat die Regierung von Südafrika im Jahr 2001 in neun Provinzen ein Präventionsprogramm zur Verhinderung einer Übertragung von HIV von der Mutter aufs Kind eingeführt. Dieses stützt sich auf die Pfeiler Prävention und Behandlung. Letztere beinhaltet Diagnose, Beratung, Behandlung, Ernährungsberatung sowie Behandlung mit antiretroviralen Medikamenten. Nach Angaben der WHO werden in Südafrika knapp ein Drittel der durch HIV infizierten schwangeren Frauen mit antiretroviralen Medikamenten behandelt, um eine Übertragung des Virus von der Mutter auf das Kind zu verhindern. Bezüglich Stillen ist es schwierig, allgemeine Empfehlungen abzugeben, da das Stillen einerseits ein Übertragungsrisiko birgt, ungestillte Kinder andererseits einem grösseren Risiko für andere Krankheiten ausgesetzt sind.

Strategiewechsel der südafrikanischen Regierung

In Südafrika sind von Seiten der Regierung zahlreiche Massnahmen im Kampf gegen HIV/Aids eingeleitet worden. Ein Strategiewechsel habe stattgefunden, stellt Ruth Genner fest. Bisher waren HIV/Aids im Rahmen der allgemeinen Gesundheitspolitik behandelt worden. „Aus der Erkenntnis heraus, welche gravierenden Auswirkungen HIV/Aids nicht nur auf die Bevölkerung hat, sondern auch auf die Wirtschaft, hat die Regierung in diesem Frühling ihre bisher passive Haltung geändert und HIV/Aids zu einem übergeordneten, dringlichen Thema gemacht, das quer durch alle Sektoren und Departemente behandelt werden muss, so Ruth Genner.

Nach UNO-Angaben flossen Investitionen in der Höhe von 927 Millionen US-Dollar ins Nationale HIV/Aidsprogramm für 2006-2007. Über gemeinsame Präventionskampagnen verstärkten die Behörden die Zusammenarbeit mit nicht-staatlichen Organisationen, förderten den Zugang zu freiwilliger Beratung und HIV-Tests, verstärkten die Prävention von Mutter zu Kind Übertragungen und dehnten die Behandlung mit antiretroviralen Medikamenten aus. Im Jahr 2006 haben mehr als 300'000 an Aids erkrankten Personen mit einer antiretroviralen Behandlung begonnen. Wie die Realität zeigt, genügen diese Massnahmen aber bei weitem nicht, um die Entwicklung zu stoppen. Ein Hindernis besteht darin, dass Südafrika unter einem chronischen Mangel an qualifizierten Arbeitskräften leidet. Und die grosse Herausforderung bleibt bestehen, mit besseren Rahmenbedingungen langfristige Verhaltensänderungen herbeizuführen.

Der UNFPA fordert deshalb im Kampf gegen HIV/Aids und geschlechtsbezogene Gewalt umfassende Massnahmen auf verschiedenen Ebenen, darunter die Bekämpfung der Armut, Investitionen in die Bildung, die Verbesserung der reproduktiven Gesundheit und Respektierung der reproduktiven Rechte sowie die Verbesserung der Gleichstellung der Geschlechter. Angesichts der besonderen Betroffenheit von jungen Menschen müssen sich die Programme in Prävention und Behandlung ganz besonders auch auf diese Bevölkerungsgruppen ausrichten.

*Susanne Rohner, Historikerin und Journalistin, ist verantwortlich für Kommunikation und Advocacy bei PLANeS, der Schweizerischen Stiftung für sexuelle und reproduktive Gesundheit. PLANeS ist der nationale Dachverband der Beratungsstellen für Familienplanung, Schwangerschaft, Sexualität und Sexualerziehung (www.plan-s.ch). Kontakt: susanne.rohner@plan-s.ch