Die Bedeutung des Dialogs zwischen Religionsgemeinschaften und den Strategen für Gesundheit

Nächstenliebe und Vertragspartner von Regierungen

Von Edgar Widmer

Die katholische Kirche ist ein wichtiger Akteur der Gesundheitsversorgung in den Entwicklungsländern. Basierend auf einer langen Tradition hat sie sich in den vergangenen 50 Jahren den Anforderungen der globalen Gesundheitspolitik gestellt.

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Freie und unabhängige Menschen, welche Notsituationen in Drittweltländern aufzeigen, werden oft als Querdenker und Störenfriede empfunden. Die Mobilisation der Zivilgesellschaft und ihr Einsatz auf politischer Ebene erreichte im Laufe der letzten Dezennien immerhin
• dass mit der Magna Charta der Menschenrechte auch das Recht auf Gesundheit festgeschrieben worden ist
• dass die Würde des Lebens zur Diskussion steht
• dass es nach dem 2. Weltkrieg zur Gründung der Weltgesundheitsorganisation (WHO) kam mit der Begründung, Gesundheit sei eine Voraussetzung für Frieden
• dass vor 30 Jahren, mit der Deklaration von Alma Ata, die Richtlinie „Health for All“ gegeben wurde und 130 Länder das Konzept der Primary Health Care (PHC) als Strategie festgelegt haben.

Im folgenden fragen wir uns, ob Religion und Kirchen angesichts der prekären Situation in den Ländern des Südens eine Rolle gespielt haben.

Die WHO würdigt in einer Publikation vom Jahre 2008 die Bedeutung der kirchlichen Gesundheitsdienste für Afrika folgendermassen (WHO 2008):
• „sie decken gut 40% der Dienste ab;
• nebst ihrem professionellem Einsatz bieten sie mitleidvollen Umgang mit den Kranken, wahren deren Würde und verteidigen deren Rechtsansprüche;
• sie halten sich z.B. was die Prävention, Fürsorge und Behandlung von HIV/Aids-Kranken betrifft, an die Richtlinien der WHO und der PHC Prinzipien;
• die Regierungen können dank Regulativen mit den Kirchen erfolgreich die nationale Gesundheitspolitik umsetzen und die Lücken im System wesentlich abdecken;
• sie ermöglichen der betroffenen Bevölkerung partizipatives Teilhaben an der Planung und Festlegung von Prioritäten und Strategien;
• dank ihrer Vernetzung untereinander und dank ihrem internationalen Austausch entwickeln sie ein Potential für Innovation und Steigerung der Effizienz“.

Gesundheitseinsatz der Kirche ist eine jahrhunderte-alte Tradition

Seit der Antike waren Religion und Gesundheit verknüpft und Priester und Heiler waren eins. Hesiod berichtet im 8. Jahrhundert v. Chr. wie der griechische Gott Asklepios vom Kentaur Chiros aufgezogen wurde. Er unterrichtete ihn in der Herstellung von Medikamenten, im Gebrauch von Messer und Wort, und wie Messer und Wort zur richtigen Zeit eingesetzt werden. Die Behandlung sollte jedenfalls ganzheitlich sein. Seit 600 v. Chr. war Epidaurus der wichtigste Tempel für Äskulaps Schule und dieses Modell fand Ableger von Korinth über Kos bis hin zur Tiberinsel in Rom, wo 290 v. Chr. der Äskulaptempel errichtet wurde. Die Ära heidnischer Heilkunst in Verbindung mit Religion dauerte bis ins Jahr 529 n. Chr. als Kaiser Justinian die Schule von Athen schloss.

Zur gleichen Zeit als der letzte Aeskulattempel geschlossen wurde, gründete der Hl Benedikt das Kloster von Monte Cassino. Hier und in den späteren Tochterklöstern wurde das antike heidnische Wissen aufbewahrt und damit auch gerettet. Nicht nur mystische Vorstellungen über Krankheiten, sondern Wissen um deren Ursachen, Beschreibung der Symptome, ihr Einordnen in Diagnosen sowie Angaben über erprobte Therapien wurden so aufbewahrt. Im Lorscher Arzneibuch aus dem 9. Jh. lesen wir in der Einleitung expressis verbis, dass die Kirche nur aus Erbarmen mit den Kranken dieses „heidnische“ Wissen aufbewahre. Soll es auch angewendet werden? Hatte doch der Kirchenvater Clemens von Alexandrien um 200 erklärt das Heidentum sei überwunden, CHRISTUS MEDICUS MUNDI EST, Christus sei der Arzt der Welt. Es gab verschiedene Erklärungen für Krankheit und Leiden. Einige erklärten es sei Folge der Erbsünde andere sahen darin die Möglichkeit am Erlöserwerk Christi teilzunehmen. Krankheit wurde auch als Chance für Einkehr, Umkehr, Bekehrung und Versöhnung betrachtet; Versöhnung mit sich selbst, mit seiner Umwelt oder mit dem Schöpfer. Neu mit dem Christentum war der Gedanke von Solidarität mit Kranken und Armen. Der christliche Glauben ist gekoppelt mit Caritas, Charity, mit Barmherzigkeit. Dem entsprechend entstanden Institutionen aktiver Hilfe. Schon die ersten Bischöfe haben neben ihren Kirchen und Basiliken Diakonien und Hospize gegründet und die antike Heilkunst auch angewendet.

So entwickelte sich aus der Diakonie neben dem Vatikan im Jahre 720 das Ospizio dei Sassoni. aus welchem im Jahre 1204 der Orden der Hl.Geist-Bruderschaft hervorging. Das Ospedale di Santo Spirito wurde zum Mutterhaus für viele Heiliggeistspitäler in ganz Europa. Im 15. Jh. gab es deren 750 und sie funktionierten als solche bis zur Säkularisation im Jahre 1847. Die Widmung an den Hl Geist gab der Tatsache Ausdruck, dass die Kirche einen holistischen Ansatz in der Auseinandersetzung mit Krankheit anstrebte. Sie sah im Hl. Geist den Unificator von Körper und Geist, von Wort und Tat, von Individuum und Gemeinschaft, er sollte die Richtung vom irdischen hin zum ewigen Leben geben.

Seit gut 800 Jahren nehmen sich Ritterorden, wie jener der Malteser, der Kranken an. Im Kranken erkennen sie Christus selbst.

Seit über 400 Jahren ist der Orden der Barmherzigen Brüder für Kranke und Randständige im Einsatz. Gegenwärtig leiten sie 200 Spitäler verteilt auf 40 Länder. (Seit 30 Jahren ist dieser Orden Mitglied von Medicus Mundi International). Eine grosse Zahl von anderen Kongregationen übernahmen im Laufe der Jahrhunderte ähnliche Aufgaben.

Die missionsärztliche Arbeit

Die eigentliche missionsärztliche Arbeit begann schliesslich vor etwa 85 Jahren mit der Missionsenzyklika „Maximum illud“ Benedikts XV (1921). Anfänglich glaubte man diese Arbeit in geweihte Hände geben zu müssen. Priester wurden zu Ärzten ausgebildet und Ärztinnen gründeten Frauenorden. Bedeutend wurden jene der Medical Mission Sisters oder der Missonaries of Mary.
Mit dem Dienst von nicht geweihten Ärzten in Missionsspitälern begann dann allerdings die Rolle der Laien. Sie sorgten nicht nur für eine Professionalisierung der gesundheitsbezogenen karitativen Institutionen, sondern entwickelten und erweiterten in ihrer Arbeit über die Schulmedizin hinaus den holistischen Ansatz, so wie ihn die kirchliche Tradition schon immer gelehrt hatte. Auf katholischer Seite hielten die Missionsärzte allerdings nicht, wie viele protestantische Missionsärzte, am Sonntag auch noch eine Predigt. Ihr Beitrag zur Missionierung mag darin gelegen haben, dass sie Zeugnis ablegten für den tiefen Sinn des Dienens am Kranken, für Hingabe und Solidarität über jede rassische oder religiöse Grenze hinaus. Nicht wenige überzeugten durch ein besonderes Charisma; sie hatten eine gewinnende Ausstrahlung und Verständnis für die Schwächen der Menschen, auch wenn sie nicht alles gut heissen konnten und oft auch belehrend einschreiten mussten. Sie trugen dazu bei, dass der Medizin trotz aller Wissenschaftlichkeit die Seele, die Humanität nicht verloren ging.

Mit dem Vaticanum II ist die Rolle der Laien in der Kirche, und damit die Bedeutung solcher Laien, zwar bestätigt worden. Es brauchte aber von Seiten der Laien viel Geduld, eine grosse Liebe zur Kirche und Vertrauen in den Heiligen Geist, bis es soweit kam, dass die Hierarchie, und ich spreche hier von der Hierarchie Afrikas, später in mehreren Arbeitskonferenzen im Hinblick auf eine strategische Re-Orientierung sich mit Laien, im konkreten Falle mit der Organisation von Medicus Mundi International, in einen Dialog einliess.
• Vorerst musste neu definiert werden, was denn ein KATHOLISCHES SPITAL als solches ausmacht. Es waren diese Laien, die darauf beharrten, dass es nicht genügt, dass ein Spital dem Bischof gehört.
• Es ging auch um das Prinzip des Not for Profit, in einer Zeit, wo die Globalisierungswelle alles auf Profit-Maximierung gesetzt hat.
• Es ging auch um den Dialog: von oben nach unten und von der Basis zur Spitze.
• Es ging um die Überwindung alter Ghettomentalität,
• Es ging um die nationale Koordination aller kirchlichen Gesundheitsinstitutionen, um so mit vereinten Kräften eine Partnerschaft mit der Regierung anzustreben und Einfluss auf die Gesundheitspolitik nehmen zu können und auf diese Weise für mehr Gerechtigkeit und für den Schutz von Leben zu sorgen.

Betrachten wir diesen neuesten Prozess etwas genauer:

Seit der französischen Revolution trennte sich die Medizin als Wissenschaft von der Kirche. Das physische Wohlbefinden war zentrales Anliegen. Medizintechnik und Spezialistentum haben zentrale Bedeutung erhalten. Die Seele schien der Schulmedizin verloren gegangen zu sein. Man entdeckte mit der Definition von Gesundheit zwar wieder die psychosozialen Bedürfnisse des Menschen, aber erst 30 Jahre nachdem die WHO die Gesundheitsdefinition geliefert hatte, es war das Jahr 1980, forderte der Gesundheitsminister von Kuwait, Dr. Abdul Rahman al Awedi, an der 33. Weltgesundheitstagung, dass auch das spirituelle Wohlbefinden in der Definition von Gesundheit enthalten sein sollte.

1983 beschäftigte sich im Vatikan der Päpstliche Rat COR UNUM mit der Frage einer modernen Gesundheitspastoral. Medicus Mundi International war zu diesen Beratungen eingeladen. Es hatte ein Paradigmenwechsel stattgefunden. Das Bemühen um Kranke sollte durch Konzepte für eine Promotion von Gesundheit erweitert werden. Der gleiche Paradigmenwechsel fand auch in den Kirchen draussen in der Welt statt. 1985 wurde unter Mitbeteiligung von Medicus Mundi International die „Tanzania Churches Consultation on Primary Health Care“ abgehalten. Es entspreche der Bibel sich für alle Menschen einzusetzen und zwar vor allem für alle in Not und Armut. Diese Menschen müssten ermächtigt werden, ihr Schicksal selber in die Hand zu nehmen. Die Tagung anerkannte die 1978 in Alma Ata von der WHO aufgestellten Richtlinien und erklärte die PHC Strategien als bindend für kirchliche Gesundheitsdienste.

Noch waren aber viele kirchliche Spitäler in Entwicklungsländern in Isolation, oft auch im Alleingang tätig, hatten keinen klar definierten Bezug zu ihrem Umfeld oder innerhalb der nationalen Gesundheitspolitik. Noch fehlte das „District Health Concept“. Es wurde von der WHO erst 1987 in der Harare- Deklaration definiert. Ein Spital sollte demnach nicht ohne engen Bezug zu den peripheren Gesundheitseinrichtungen für sich allein funktionieren, sondern das Spital sollte innerhalb einer geographisch definierten Einheit in engem Kontakt mit der Peripherie als Referenzzentrum dienen.

1998 kam in Dakar die Weltbank zusammen mit der WHO zur Schlussfolgerung, dass Förderung von Gesundheit im Kampf gegen Armut erneut eine zentrale Rolle spielen soll. Titel der Tagung war: “The Contractual Approach for the Implementation of National Health Policies in African Countries”. Nichtstaatliche Institutionen sollte mittels Verträgen besser in die nationalen Gesundheitsprogramme einbezogen werden. Bis anhin wurden vom diesen Gremien das kirchliche Engagement kaum zur Kenntnis genommen. Medicus Mundi International hatte bei den Diskussionen das Präsidium inne und konnte aufzeigen, dass unter den nichtstaatlichen Institutionen jene der Kirchen von herausragender Bedeutung sind. Erstmals wurde die Existenz und Bedeutung der nationalen koordinierenden Büros kirchlicher Gesundheitsinstitutionen zur Kenntnis genommen. Wie oben zitiert, hat die WHO den Beitrag der Kirchen im Jahre 2008 offiziell gewürdigt

Was Rom betrifft, wurde 1985 der Päpstliche Rat für Gesundheit gegründet. Ein Novum in der Kirchengeschichte und eine Folge der vorangegangenen Beratungen in Cor Unum über eine moderne Gesundheitspastoral. Vorerst erstellte der Rat eine Bestandesaufnahme kirchlicher Gesundheitsinstitutionen. Es gibt in der Welt 5'200 katholische Spitäler davon 940 in Afrika allein. Der Rat erreichte, dass die Bischofskonferenzen der Welt professionelle Beratungsgremien (meist Laien) für Gesundheitsfragen einsetzten. Bedeutend war schliesslich die Konferenz von 1997, die sich mit der Frage: „Church and Health in the World, Expectations and Hopes on the Treshold of the Year 2000.“ auseinandersetzte. Bei dieser Gelegenheit wurde das Konzept der WHO „Gesundheit für Alle“ offiziell übernommen und vom Papst in Anwesenheit des Generalsekretärs der WHO, Dr. Nakajima, bekräftigt. An zwei vorangehenden Sitzungen, die zu diesem Resultat geführt haben, war Medicus Mundi International eingeladen.

Die Internationale Föderation Katholischer Krankenhausinstitutionen wurde im Jahre 2000 neu konstituiert. Ihr Programm für Entwicklungsländer enthält Anliegen, wie sie von Medicus Mundi International auch in diesem Gremium vorgebracht wurden: Überwinden von Isolation, Koordination auf nationaler Ebene, ökumenische Zusammenarbeit und gemeinsame Akkreditierungskriterien für private Spitäler mit öffentlicher Funktion, sowie vertragliche Einbindung in die nationale Gesundheitspolitik.

Als Medicus Mundi International in der Weltgesundheitstagung 1999 einen Vorstoss zu Gunsten einer WHO Resolution zur Verbesserung der Partnerschaft von Regierungen mit privaten Institutionen mittels Verträgen einbrachte, wurde das Anliegen vom Päpstlichen Rat und vom Staatssekretariat offiziell unterstützt. Im Jahre 2003 hat die Vollversammlung der WHO dann eine Resolution in diesem Sinne angenommen. Diese Resolution kann ein wichtiger Ansporn sein, das Unheil in den Ländern des Südens mit verbesserter Zusammenarbeit zu überwinden.

Da in Afrika die Bischöfe juristisch die Spital-Eigner sind, ist es entscheidend, dass sie von der Vision einer Partnerschaft mit der Regierung wie auch vom Konzept von „Health for All“ überzeugt werden. Das war der Grund dafür, dass Medicus Mundi International, obschon eine Laienorganisation, sich um den Dialog mit der afrikanischen Hierarchie bemühte. Es haben, wie oben erwähnt, eine Reihe von Arbeitskonferenzen mit afrikanischen Bischöfen stattgefunden: (Kampala 2004, Cotonou 2005, Bangui I 2006, Dar es Salaam 2007 und Bangui II, 2008). Der Dialog zwischen uns Laien und der Hierarchie war sehr erfolgreich. Es ist zu hoffen, dass die vortrefflichen Deklarationen der Bischöfe schrittweise umgesetzt werden können und so der Heilungsauftrag der christlichen Kirchen zum Wohle der Länder des Südens umgesetzt und entsprechend den Erfordernissen einer veränderten Welt effizient erfüllt werden kann

*Edgar Widmer ist Vorstandsmitglied des Netzwerks Medicus Mundi Schweiz und war einige Jahre Präsident von Medicus Mundi International. Er engagierte sich immer wieder zu Themen der strategischen Positionierung von kirchlichen Gesundheitsorganisationen. Kontakt: edgar.widmer@sunrise.ch

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