Von Frank Mischo
Die Mutter-zu-Kind-Übertragung, aus dem Englischen als Abkürzung PMTCT+, heißt politisch korrekt Eltern-Kind-Übertragung, da beide Elternteile in die Vorbeugung für das Baby und die Medikamentenbehandlung mit einbezogen werden müssen. Das Plus steht für die notwendigen strukturellen Verbesserungen der Gesundheitsversorgungseinrichtungen und der Einbeziehung des familiären Umfeldes.
Schon seit 1998 ist es möglich, die Übertragung des HI-Virus von der Mutter auf das Kind erfolgreich zu verhindern. Zurzeit besteht immer noch ein Drittel der Behandlungen nur aus einer Einmaldosis des Medikaments Nevirapin. Durch verbesserte Forschung und vielseitige praktische Erfahrungen wurden gerade für ärmere Staaten mit hoher HIV-Infektionsrate und gleichzeitig schwachem Gesundheitssystem große Fortschritte durch längere Behandlungen erzielt. Dadurch ergab sich eine einfach anzuwendende und sehr preisgünstige Behandlungsmöglichkeit, um das HIV-Übertragungsrisiko von der Mutter auf das Kind deutlich von 30-40% ohne Behandlung, auf 16% nur mit Nevirapin bis auf 1% mit länger angewendeten Kombinationsmedikamenten zu reduzieren (UNICEF 2009, S. 5-9).
In Industriestaaten wie Deutschland stehen Schwangeren eine weitreichende Palette von Vorbeugungsmöglichkeiten zu Verfügung: Von freiwilligen HIV-Tests, über Schwangerschaftsuntersuchungen bis hin zu hochwirksamen Medikamenten. Auch bei der Geburt und durch Alternativen zum Stillen kann die Übertragung verhindert werden, so dass sich in Deutschland mit weniger als 25 Kindern pro Jahr nicht einmal ein Prozent der Kinder von HIV-positiven Müttern in Deutschland infizieren (rki 2009, S. 493).
Es gibt auch in ärmeren Staaten eine spürbare Steigerung der finanziellen Unterstützung und der Ausweitung der Behandlungsmöglichkeiten. Vor allem nach den politischen Beschlüssen zur Erreichung der Millenniumsziele zur Halbierung der weltweiten Armut aus dem Jahr 2000 und durch die Verpflichtung der Regierungen auf der Sondersitzung der Vereinten Nationen zu HIV und Aids im Jahr 2001 mit dem Ziel bis 2010 allen Menschen weltweit den Zugang zu medizinischer Behandlung, Pflege und Vorbeugung zu ermöglichen. 2008 wurden 45% der HIV-positiven schwangeren Frauen durch die Medikamentenbehandlung erreicht. 2007 waren es noch 35% gewesen, 2004 nur 10% weltweit. Von einem universellem Zugang für alle Betroffenen kann man auch 2010 noch nicht sprechen. Deshalb infizieren sich trotz der Fortschritte, nach den Zahlen der Weltgesundheitsorganisation von 2008, immer noch jedes Jahr 430.000 Kinder mit dem HI-Virus: mehr als 90% dieser Kinder durch die HIV-Übertragung von der Mutter auf das Kind; mehr als die Hälfte dieser Kinder stirbt in den ersten zwei Lebensjahren (UNAIDS 2009, S. 9f.).
In den nächsten Wochen werden nicht nur neue Zahlen für 2009 von der WHO veröffentlicht; die Weltgesundheitsorganisation hat die Berechnungsgrundlage aufgrund von medizinischen Erfahrungen geändert: HIV-Positive sollen weltweit schon früher behandelt werden. Das bedeutet fast eine Verdopplung der Menschen, die Medikamente benötigen, und bezieht auch die Eltern zukünftiger Babys ein.
Die Direktorin und Ärztin der ASHA-Stiftung Dr. Glory Alexander erklärt: „In Indien gibt es immer mehr Einrichtungen für Aidstests und zur Behandlung der Schwangeren zur Verhinderung der HIV-Übertragung, aber zur Zeit sind noch neun Millionen schwangere Frauen, vor allem auf dem Land, von diesen Möglichkeiten ausgeschlossen.“
ASHA steht für Action, Service, and Hope for AIDS. Die ASHA-Foundation ist eine gemeinnützige Stiftung, die seit 1998 registriert ist. Seit der Gründung ist sie im Bereich HIV/Aids tätig, mit den Schwerpunkten Aufklärungsarbeit, Tests und Beratung, Behandlung, Fürsorge und Rehabilitation von Menschen, die mit HIV leben.
ASHA stellt unterschiedliche Leistungen zu Verfügung: Eine gebührenfreie Aids-Beratungsstelle, Aufklärungsunterricht in Schulen und Hochschulen, ein Beratungs- und Testzentrum (VCTC – Voluntary Counselling and Testing Centre), eine kostenlose HIV-Klinik, eine Unterstützung bei der Grundschulbildung von Kindern von HIV-positiven Eltern, um die Folgen von Stigmatisierung und Diskriminierung zu reduzieren und eine Ernährungsergänzung. Zusätzlich wird eine Berufsausbildungsmöglichkeit für junge Witwen und Selbsthilfegruppen für Frauen angeboten. Daneben werden Einkommen schaffende Maßnahmen für von HIV betroffene Familien vermittelt. Der wichtigste Schwerpunkt der aktuellen Arbeit liegt in der systematischen Verhinderung der Mutter-zu-Kind-Übertragung (PMTCT+) durch Tests und Behandlungen in 30 christlichen Krankenhäusern im Bundesstaat Karnataka.
Die Verweiblichung der HIV-Epidemie in Indien spiegelt sich in der Vielzahl der monogam lebenden Hausfrauen wieder, die sich mit HIV infizieren und dem Risiko ausgesetzt sind, HIV-infizierte Babys auf die Welt zu bringen. Die Eltern-Kind-Übertragung macht 4% der HIV-Infektionen in Indien aus. Von den 27 Millionen Schwangerschaften jährlich, sind 189’000 davon von HIV-positiven Frauen. Bei einer Übertragungsrate von mehr als 30%, werden jährlich 56’700 HIV-positive Babys geboren. Im Jahr 2006 haben nur 10% der schwangeren Frauen in Indien Präventionsmöglichkeiten gegen eine Mutter-zu-Kind-Übertragung (PPTCT+) erhalten. ASHA hat im Zeitraum von 2003-2009 PPTCT+-Anwendungserfahrungen in Zusammenarbeit mit 30 privaten Missionskrankenhäusern in vier südindischen Staaten gesammelt.
Zwischen 2003 und 2009, wurden von ASHA 67’035 schwangeren Frauen Beratungen angeboten, von denen 63’600 (94,8%) einem vertraulichen Test zugestimmt haben. 389 Frauen wurden HIV-positiv getestet, was einer Aidspräventionsrate von 0,6% entspricht. Von diesen Frauen, hatten 24 Abtreibungen oder Fehlgeburten, 20 stehen noch vor der Entbindung und 294 haben bereits entbunden. Von den 294 Entbindungen, haben 27 die hochwirksame Medikamententherapie HAART erhalten, 143 Zidovudine und Nevirapin (ZDV+NVP), 62 ausschließlich Nevirapin, 41 ausschließlich Zidovudine und 21 keine Behandlung. Die Behandlung basierte auf dem Schwangerschaftszeitraum ab dem Zeitpunkt der Diagnose, der Verfügbarkeit von CD4-Zählungen und den zu der Zeit aktuellen Empfehlungen der WHO.
Von den 296 Geburten, erhielten 95,9% Antiretrovirale-Medikamente. Nur 4 Babys wurden gestillt. Von den 214 getesteten Neugeborenen, waren 5 HIV-positiv. Das Risiko der Übertragung konnte von mehr als 30% auf 2,3% reduziert werden. 3 Mütter der positiven Babys erhielten eine Einmaldosis-Nevirapin, eine andere Mutter 19 Tage lang Zidovudine und eine Einmaldosis-Nevirapin und eine weitere Mutter erhielt 9 Wochen lang Zidovudine und eine Einmaldosis-Nevirapin. Keines der fünf Babys wurde gestillt. (Alexander 2010, S. 4ff.)
Als Lehren kann man aus den Erfahrungen der ASHA-Stiftung ziehen, dass komplexe PPTCT-Behandlungen in Indien auch mit einem einfachen Gesundheitsversorgungsstandard, durch die Reduktion der vertikalen Übertragung möglich sind. Beide Elternteile müssen in die Programme für antiretrovirale Therapie integriert werden, um für ihre Kinder sorgen zu können.
Insgesamt müssen die PPTCT-Dienstleistungen in Indien schnellstmöglich flächendeckend angeboten werden. Bislang basieren die Behandlungsmöglichkeiten zumeist auf einer Einmaldosis Nevirapin. Antiretrovirale Medikamente müssen auch in der Stillzeit zu Verfügung stehen, um die Säuglings-Sterblichkeitsrate zu senken.
Als Standard gebraucht wird die hochwirksame Behandlung “HAART“ für Kinder und insgesamt müssen flächendeckend Tests, Beratung und Behandlung möglich sein.
Regierungen und pharmazeutische Industrie müssen die Forschung intensivieren, um neue noch effektivere Mittel zur Verhinderung der HIV-Übertragung von der Mutter auf das Kind zu finden. Der Zugang zu bezahlbaren antiretroviralen Medikamenten ist immer noch ein zentrales Hindernis der Verfügbarkeit in ärmeren Staaten. Freiwillige Beratung und HIV-Tests inklusive Schnelltestmöglichkeiten müssen zum Standard bei Schwangerschaftsuntersuchungen werden.
Frauen müssen auch bei Hausgeburten miteinbezogen werden. Kinder müssen schnell und effektiv behandelt werden können. (WHO 2009, S. 5)
Die Übertragung von HIV auf Neugeborene muss weltweit flächendeckend gerade in den ärmsten und von HIV/Aids am meisten betroffenen Staaten verhindert werden. Dafür soll zum Beispiel die Deutsche Bundesregierung, gemäß ihrem Anteil an der Weltwirtschaftsleistung, 10% der weltweit dafür notwendigen Finanzmittel der Geberstaaten bereit stellen. Noch mit den Berechnungszahlen der Weltgesundheitsorganisation von 2008 schätzt UNAIDS, dass die Geberstaaten jeweils 2009 und 2010 jährlich fast eine Milliarde Euro investieren müssen, um Ende 2010 wenigstens das Millenniumsziel auch bei der Vorbeugung der Mutter-zu-Kind-Übertragung von 80% zu erreichen. Das ergibt für Deutschland eine Verpflichtung von knapp 100 Millionen Euro pro Jahr. Durch die neuen Zahlen der Weltgesundheitsorganisation wird sich diese Summe auf ca. 200 Millionen Euro pro Jahr verdoppeln. Durch die Umsetzung der Verpflichtung einer Verhinderung der Übertragung des HI-Virus von der Mutter auf das Kind soll bis Ende 2010 die Versorgungsrate von 45% (2008) auf 80% steigen. Bis spätestens 2015 kann man durch die weiter laufende Finanzierung der Mutter-zu-Kind-Prävention und durch Investitionen in die Gesundheitssysteme 400’000 Babys jährlich die HIV-Infektion ersparen. Deshalb setzt sich gleich mehrere entwicklungspolitische Kampagnen aktuell mit dem Thema auseinander. Zum Beipsiiel die Born-Free-HIV-Kampagne des Globalen Fonds für Tuberkulose, Aids und Malaria. Oder die neue Kampagne des deutschen Aktionsbündnisses gegen Aids für die Verhinderung der Mutter-zu-Kind-Übertragung. Sie heißt in9Monaten.de – Babys ohne HIV.
* Frank Mischo ist in der Kindernothilfe für das Thema HIV/Aids zuständig und im deutschen Aktionsbündnis gegen Aids als Bündnisrat, im Fachkreis Kinder&Aids und als Sprecher im Fachkreis Lobby tätig. Kontakt: frank.mischo@knh.de, http://www.kindernothilfe.de/
Quellen:
Zeitleiste: Prävention der Mutter-zu-Kind-Übertragung (PMTCT+) 1994 2008 Quelle: UNAIDS Report 2009: Epidemic Outlook 2010, Seite 33 |