Einblick in einen Frauenbetrieb der Gesundheitszusammenarbeit

IAMANEH und die Frauenperspektive

Von Manuela Gregori

IAMANEH Schweiz ist ein auf die sexuelle und reproduktive Gesundheit spezialisiertes Hilfswerk mit Frauen und Kindern als Zielgruppe. Was genau ist frauenspezifisch an IAMANEH? Wie konsequent und bewusst wird bei der Arbeit die Frauenperspektive eingenommen? Beim Aufarbeiten unserer Entstehungsgeschichte stossen wir auf eine reine Männerwelt mit einer aus heutiger Perspektive paternalistischen Sichtweise. Heute ist IAMANEH ein reiner Frauenbetrieb. Wann kam die Wende?

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Gehen wir zurück zu den Anfängen von IAMANEH: Hubert de Watteville, seines Zeichens Professor der Gynäkologie und vor 26 Jahren Gründer von IAMANEH, hat Weltruhm erlangt, indem er vielen berühmten Frauen zum Mutterglück verholfen hat. Seine Methoden, zum Beispiel Hormonbehandlung oder Verschliessen des Muttermundes, waren dazumal sensationell. Prominente wie Sofia Loren, Farah Diba, Brigitte Bardot oder Liselotte Pulver konsultierten ihn, und Frauen von arabischen Prinzen standen bei ihm Schlange.

Professor de Watteville hatte aber noch einen anderen Traum: Er wollte die wissenschaftlichen und medizinischen Fortschritte im Norden auch den Müttern und Babies im Süden zugänglich machen. Professionelle Organisationen des Nordens und des Südens sollten zusammenarbeiten, um Gesundheit für alle zu erreichen. Dies gab den Anstoss zur Gründung der International Association for Maternal and Neonatal Health (IAMANEH).

Sexuelle und reproduktive Gesundheit – eine Frauensache?

Dass IAMANEH Schweiz heute als reiner Frauenbetrieb dasteht, ist Zufall, und dennoch: Die Thematik der sexuellen und reproduktiven Gesundheit spricht vorwiegend Frauen an. Diesem Bereich kam und kommt aus der Frauenperspektive ein besonderer Stellenwert zu, denn biologische und soziokulturelle, individuelle und gesellschaftliche Aspekte sind hier exemplarisch eng verflochten. Im Bereich der sexuellen und reproduktiven Gesundheit ist der Körper der Frau in stärkerem Ausmass als jener der Männer nicht nur «privater», sondern auch «öffentlicher» Ort. Schwangerschaft, Schwangerschaftsabbruch, Mutterschaft sind überall auf der Welt durch gesellschaftliche Normvorstellungen stark geprägt. Im familiären und partnerschaftlichen Verhältnis kommen geltende Machtstrukturen zum Tragen - meistens zu Ungunsten der Frauen.

Diese Aspekte erklären zum Teil, warum sich nach Jahren der Männerdominanz bei IAMANEH mit der Einstellung einer Frau als Geschäftsführerin 1996 und dem kontinuierlichen Ausbau der Organisation mit weiblichen Fachkräften eine Frauenperspektive durchsetzen konnte. Entsprechend wurden im Leitbild von IAMANEH die bewusste Auseinandersetzung mit der Gender-Thematik sowie die Förderung und Stärkung der Frauen und Mädchen im gesellschaftlichen und familiären Kontext als zentrale Arbeitsgrundsätze festgehalten. Diese «andere» Sicht der Dinge schlägt sich in inhaltlicher Weise in den Projekten, aber auch bezüglich der Arbeitsansätze nieder. Durch die persönliche Erfahrens- und Erlebniswelt besteht eine differenziertere Sensibilität für Themen, die Frauen und Kinder betreffen. So entstehen andere Gewichtungen beim Aufgreifen von Themen und beim Angehen von Gesundheitsproblemen.

Themen, die die eigene Lebenswelt als Frauen und Mütter betreffen, gehören im Team zu den alltäglichen Gesprächen; der übergang von privaten Themen zu jenen unseres beruflichen Alltages ist fliessend. Dies mag ein Grund dafür sein, dass die Schwelle, uns in andere Frauenbiografien und Lebensvorstellungen einzudenken, relativ niedrig ist. Dass IAMANEH heute die Themen vernetzter, integrierter und ganzheitlicher angeht, mag einerseits mit dem Prozess, der allgemein in der Entwicklungszusammenarbeit stattgefunden hat, zusammenhängen. Andererseits nehmen die Projektverantwortlichen aufgrund ihrer eigenen weiblichen Biografie die Bedürfnisse der Zielgruppen differenziert wahr.

Eine wichtige Erfahrung ist, dass Frauen aus Ländern, in denen Körper und Sexualität stark tabuisiert sind, sich Frauen gegenüber zu diesen Themen eher äussern als gegenüber Männern.

Mit unterschiedlichen Lebensrealitäten jonglieren

Die kritische Frage, wie dicht wir wirklich an die Bedürfnisse und Alltagssorgen von unseren Zielgruppen herankommen, müssen wir uns trotzdem stellen. Trotz der Gemeinsamkeit des Frauseins könnten die Lebensrealitäten zwischen uns und den Frauen aus Mali oder Burkina Faso nicht unterschiedlicher sein. Die grosse Spannbreite von Lebenskonzepten und Alltagsrealitäten machen hier wie dort das wirkliche Verstehen schwierig: Wie weit versteht unsere malische Koordinatorin - studiert, weltgewandt, gewollt alleinstehend, Kaderfrau in einer von Männern dominierten Welt – ihre Landsfrauen, die weder lesen noch schreiben können, die nie gross über ihr Dorf hinausgekommen sind, deren Interesse vor allem der Deckung des Lebensunterhalten für den heutigen Tag gilt?

In den Projekten muss es primär darum gehen, die Anliegen der Zielgruppen - Frauen oder Männer - ernst zu nehmen; dies bedeutet auch, kulturelle und gesellschaftliche Realitäten zu respektieren, die sich unserem westlich geprägten Rollenverständnis entziehen können. Zentral ist und bleibt das Ziel unserer Projekte, die Gesundheit von Frauen und ihren Familien zu verbessern. Um dies zu erreichen, arbeiten wir eng mit lokalen Nichtregierungsorganisationen zusammen, die in Mali üblicherweise von Männern geleitet werden. Frauen finden sich selten in Führungspositionen. Die Projekte andererseits geben Frauenanliegen und der Frauenperspektive ein besonderes Gewicht. Bei der Umsetzung der Aktivitäten ist es wichtig, die Auswahl der Animatoren und Animatorinnen eng zu begleiten. Eine der Grundfragen muss sein: wer redet mit wem über was? Dazu gelten Kriterien wie Bildung, Mobilität, die oft den Ausschlag bei der Auswahl der Mitarbeitenden geben - und dies meist zu Ungunsten der Frauen. Die Unterstützung von Frauengruppen via Kleinkredite ist ebenfalls ein wesentliches Instrument, um die Frauen an der Basis zu stärken und so ihre Eigenständigkeit und die Möglichkeit, ihre Meinung zu äussern, massgeblich zu fördern.

Die Frauenperspektive im Süden muss sich an den dortigen gesellschaftlich-kulturellen Gegebenheiten orientieren.

Eine Frauenperspektive einzunehmen bedeutet, die bestehenden Machtverhältnisse zu analysieren und zu hinterfragen und sie allenfalls für die eigenen Ziele zu nutzen. Entsprechend werden die Männer und insbesondere Entscheidungsträger für uns eine immer wichtigere Zielgruppe bilden. Viele Ziele können wir nur mit ihrer Einbindung in die Verantwortung erreichen. Es ist denn auch nicht erstaunlich, dass die Frauen in unseren Projekten darauf drängen, dass auch die Männer durch vermehrte Informationsarbeit zu Themen der reproduktiven Gesundheit und die damit verbundenen Bedürfnisse von Frauen sensibilisiert werden.

Ein gut funktionierendes Frauenteam

Was Aussenstehende immer wieder erstaunt: Der IAMANEH-Betrieb mit neun Frauen funktioniert ausgezeichnet. Ein Grund dafür ist sicher, dass alle Teilzeit arbeiten. Studien zeigen, dass Betriebe mit Teilzeitbeschäftigten höhere Arbeitszufriedenheit und Produktivität, weniger Absenzen und Fehlzeiten, geringere Fluktuation und höhere Effizienz feststellen. Dies wiegt allfällige Kosten, beispielsweise für den teilweise ungenutzten Arbeitsplatz oder den höheren Aufwand für Personaladministration, mehr als auf.

Zudem wird der Betrieb als attraktiver Arbeitgeber wahrgenommen. Die Identifikation mit dem Betrieb ist entsprechend hoch. Lebenskonzepte mit Aufteilung von Erwerbs- und Familienarbeit sind möglich – dies auch mit einer anspruchsvollen Stelle.

Der Spagat zwischen Familien- und Berufsverantwortung stellt aber für die meisten von uns eine spezielle Herausforderung dar. Nicht selten ist er mit hohem Stress und Raubbau an der eigenen Person verbunden. Der Druck, den nach wie vor geltenden Ansprüchen und Werten im Berufsleben wie auch im Familienleben gerecht zu werden, ist enorm. Als Teilzeitabeitende spüren wir von aussen manchmal unausgesprochene Vorbehalte gegenüber unserer Professionalität.

Auf Vorstandsebene, vorwiegend eine Männerdomäne, sickert das paternalistische Verhalten mit seinen positiven und negativen Seiten immer wieder durch. Den Umgang mit unterschiedlichen Kommunikationsmustern haben wir durch die langjährige Zusammenarbeit gelernt, so dass die tendenziell eher der Frauenseite zugeordneten Qualitäten wie inhaltlich motivierte Prioritätensetzung und emotionales Engagement und die eher den Männern zugeordneten Attribute wie Statusdenken und technisch rationale Aspekte zu einer fruchtbaren Synthese finden konnten.

Was sich bei IAMANEH undogmatisch entwickelt hat, nämlich ein frauen- und familienfreundlicher Betrieb, soll nun bewusst gemacht, formalisiert und gezielt weiterverfolgt werden. Die zentralen Elemente - sei es innerbetrieblich, sei es für die Arbeit nach aussen - sollen in unseren Positionspapieren niedergeschrieben werden.

* Für das Team von IAMANEH Schweiz: Manuela Di Marco-Gregori, Verantwortliche Kommunikation. Kontakt: info@iamaneh.ch, www.iamaneh.ch