Personalnotstand im Schweizer Gesundheitswesen und der WHO Kodex

Auf wessen Kosten?

Von Martin Leschhorn Strebel

Nach der Verabschiedung des WHO-Verhaltenskodex’ zur Rekrutierung von Gesundheitspersonal, stellt sich die Frage, wie die Schweiz die Vorgaben der internationalen Gesundheitspolitik umsetzen wird.

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Im vergangenen Mai war es endlich erreicht: Die Weltgesundheitsversammlung verabschiedete endlich den Verhaltenskodex zur Rekrutierung von Gesundheitspersonal. Dem voraus ging ein langes Hin und Her zwischen einzelnen, von ausländischen ÄrztInnen und KrankenpflegerInnen abhängigen Ländern und der von der Emigration betroffenen Ländern des globalen Südens.

Die Positionsfindung in der Schweiz war auch nicht eben einfach. Das federführende Bundesamt für Gesundheit tat sich mit dem zur Debatte stehenden Entwurf im Vorfeld schwer. Neben der teilweise berechtigten Kritik an widersprüchlichen Formulierungen steht dahinter ein grundsätzliches Problem der schweizerischen Gesundheitspolitik: Die Gesundheitsversorgung braucht – und zwar in Zukunft noch verstärkt – Arbeitskräfte, deren Ausbildung in den vergangenen Jahren verpasst wurde. Sie baut deshalb auf den freien Personenmarkt und deckt ihre Lücken mit Gesundheitspersonal aus dem Ausland.

Schattenseiten des freien Personalmarktes

Der Ansatz des freien Personenverkehrs hat aber eine Schattenseite: Da es sich beim Gesundheitspersonalmangel um ein globales Problem handelt, zieht der freie Markt ausgebildetes Personal auch von dort ab, wo es am dringendsten gebraucht würde – in den Entwicklungsländern, welche global die grösste Krankheitslast zu tragen haben. Genau um diese Länder vor unkontrollierten Regulierungen zu schützen, entwickelte die WHO den nun verabschiedeten Kodex.

Nun, da der Kodex verabschiedet ist, stellt sich die Frage, wie die Schweiz den Kodex umzusetzen gedenkt. Dank des im vergangenen Dezember veröffentlichten Versorgungsberichts zum Gesundheitspersonal in der Schweiz sind die hiesigen Akteure erwacht. Die Schweiz muss mehr Personal ausbilden und durch eine attraktive Gestaltung des Arbeitsumfeldes auch halten.

Das Netzwerk Medicus Mundi Schweiz interessiert sich in der Umsetzung für die globalen Aspekte des Problems. Nimmt die Schweiz ihre Verantwortung wahr und investiert in die Gesundheitssysteme derjenigen Entwicklungsländer, die von der Migration besonders betroffen sind? Wie kann sichergestellt werden, dass sich öffentliche und private Akteure in der Schweiz an den WHO-Rahmen halten?

Wir halten griffige Massnahmen und die schwachen Gesundheitssysteme stützende Kompensationsmechanismen für notwendig, damit sich die gesundheitliche Situation in den Ländern des globalen Südens nicht noch weiter verschlechtert. Offensichtlich muss dazu die Sensibilität für das Problem in Politik und Verwaltung erhöht werden, wie ein kürzlich im 20 Minuten veröffentlichte Aussage aus dem Aussendepartement belegt. Thomas Greminger, Chef der Politischen Abteilung IV, forderte neue Ideen für die Migrationspolitik: „So könnten beispielsweise Krankenpfleger aus der Dritten Welt den Notstand im Schweizer Gesundheitssystem beheben.“ (20 Minuten, 25. Juni 2010, S.9)

Der „Notstand“ in der Schweiz darf nicht auf Kosten des bereits real existierenden Notstandes im Gesundheitswesen der armen Länder behoben werden. Aus der Sicht unserer Mitglieder und der schweizerischen Entwicklungspolitik darf es nicht sein, dass die Gesundheitssysteme im globalen Süden weiter geschwächt werden.

*Martin Leschhorn Strebel ist Mitglied der Geschäftsleitung beim Netzwerk Medicus Mundi Schweiz. Kontakt: martin.leschhorn@medicusmundi.ch