Ein Denkanstoss

Zugang zu Medikamenten – und die unbewusste, destruktive Resignation

Von Ursula Walter

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Ist der Zugang zu Medikamenten gleichgesetzt mit dem Zugang zu Gesundheit? Krank wird niemand durch das Fehlen von Medikamenten. Es kann aber schwer oder unmöglich werden, wieder gesund zu werden, wenn die angemessenen Medikamente fehlen.

Der Zugang zu den eigenen psychischen Ressourcen ist eine wichtige Voraussetzung, um eine Erkrankung wirkungsvoll zu bekämpfen. In diesem Sinn wirken fehlende Medikamente doppelt: Neben dem medizinisch-medikamentösen Effekt fehlt die Bestätigung des eigenen Wertes, der – je härter der unmittelbare Überlebenskampf, desto unmittelbarer – durch das tägliche Überleben definiert ist. Bei Schwäche, wie sie körperliche Krankheiten bewirken, wird der Selbstwert angegriffen und verletzt und wendet sich destruktiv gegen die kranke Person selbst. Das ergibt Selbstentwertung, Depression, Hoffnungslosigkeit, mit der darin enthaltenen aggressiven Komponente, sich der Gemeinschaft, die nicht helfen kann, zu entziehen. Die unbewusste, destruktive Rache ist zum Beispiel auch mitbeteiligt, wenn bei ansteckenden Krankheiten die Ansteckungsgefahr verleugnet wird.

Der Zugang zu Behandlung und Medikamenten wirkt der psychischen Zerstörung entgegen, da die Zuwendung von aussen auch die eigenen Erwartungen an sich selbst wieder verbessert.

Die Arbeit am psychischen und psychosozialen Anteil der Erkrankungen ist weit mehr vernachlässigt als die Medikamentenforschung. Daran muss mindestens so sehr wie um den Zugang zu Medikamenten gearbeitet werden. Es gibt, vor allem in Lateinamerika, gute Erfahrungen und Projekte, zum Beispiel die "Autodiagnostico"-Methoden in Gruppen, um den eigenen Umgang mit der eigenen Situation und Krankheitssituation bewusster zugänglich zu machen und dadurch bewusster steuern zu können.

Wird der Kampf um einen bessern Zugang zu Medikamenten nur von der ökonomischen und technischen Seite her angegangen, birgt dies die Gefahr einer bösartigen Betonung der Abhängigkeit. Verhindert werden kann dies nur, indem gleichzeitig bewusst an der Stärkung der Selbstachtung der Patienten und der Bevölkerung gearbeitet wird.

*Ursula Walter, Psychoanalytikerin, Basel