Es winkt ein Dreifachgewinn
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Sind wir ehrlich, wer hätte anfangs 2020 gedacht wie das Jahr rauskommt. Natürlich stand in den epidemiologischen Lehrbüchern schon immer, dass Pandemien eines der grössten akuten Risiken für die globale Gesundheit sind. Theoretisch hätten wir es also gewusst und hätten in diesen Büchern auch lesen können, wie eine globale Pandemie ablaufen kann. Aber es konnten sich wahrscheinlich dennoch die wenigsten konkret vorstellen, wie stark dadurch der Alltag geprägt wird.

Ein Beispiel: Ende 2019 haben wir am Schweizerischen Tropen- und Public Health-Institut (Swiss TPH) an einer Strategie zur Reduktion von Treibhausgasen gearbeitet. Dabei war offensichtlich, dass für eine global tätige Forschungsinstitution das Reisen am meisten zum Treibhausgasausstoss beiträgt. Also haben wir uns überlegt, wie grosse Reiseeinschränkungen möglich sind, ohne dass Abstriche bei der Qualität der Arbeit gemacht werden müssen. Als Ziel 10% oder 20% Rückgang pro Jahr setzen? Und jetzt, alles Makulatur, zumindest für 2020. Am Swiss TPH wurden kaum Reisen unternommen. Auch global ist der Ausstoss der Treibhausgasemissionen gemäss dem Lancet Countdown Report im Jahr 2020 um rund 8% zurückgegangen. Damit hat die Welt im Jahr 2020 geschafft, was für das 1,5-Grad-Ziel nötig ist; aber leider nicht mit Klimapolitik, sondern mit Covid-19 Lockdowns.

Dies ist natürlich nicht nachhaltig und ökonomisch schädlich. Umso wichtiger ist es, dass wir von der Covid-19 Krise für die Bewältigung der Klimakrise lernen. Die globalen Auswirkungen des Klimawandels sind, wie bei Covid-19, intuitiv schwer vorstellbar, aber wissenschaftlich gut vorhersehbar. Nur mit frühem und entschlossenem Handeln können die Auswirkungen minimiert werden.


Klimawandel betrifft alle

Die global wärmsten sechs Jahre fanden alle seit 2015 statt. Die mit dieser Erwärmung verbundenen Veränderungen der Umwelt haben direkte und indirekte Auswirkungen auf die Gesundheit. Gemäss Lancet Countdown Bericht hat seit dem Jahr 2000 bei den über 65-Jährigen die hitzebedingte Sterblichkeit um mehr als 50% zugenommen, was mittlerweile insgesamt 300'000 hitzebedingten Todesfällen pro Jahr entspricht (Lancet Countdown 2020). Selbst in moderaten Klimaregionen wie der Schweiz wurden seit 2015 rund 1500 hitzebedingte Todesfälle beobachtet.

Weltweit nehmen die Gebiete zu, in denen mit Vektor-übertragenen Krankheiten zu rechnen ist. Seit 1950 hat das Gebiet, wo klimatisch bedingt Malariaübertragung möglich ist, in Afrika um 40% zugenommen und in der westpazifischen Region um 150%. Veränderungen sieht man auch in Europa. Seit dem ersten Chikungunya Ausbruch in Ravenna im Jahr 2007, werden seit 2013 in Italien und Südfrankreich praktisch jedes Jahr lokal begrenzte autochthone Infektionsherde von Dengue, Zika oder Chikungunya beobachtet. In Deutschland wurden bereits autochthone Übertragungen von Leishmaniose durch Sandmücken beobachtet oder in der Schweiz Mittelmeerfleckfieber durch Hundezecken.

Die Aufzählung von klimabedingten Gesundheitsrisiken liesse sich lange fortsetzen. Dazu gehören Waldbrände und die damit verbundenen Luftschadstoffe, zunehmende Ozonbelastung, Dürren, Überschwemmungen, Nahrungsmittelsicherheit, Migration etc.

Seit 1950 hat das Gebiet mit klimatisch geeigneten Bedingungen für die Tigermücken (Aedes albopictus) weltweit um 15% zugenommen. Auch in der Schweiz hat sich Aedes albopictus, Überträger von Chikungunya, Dengue und Zika, mittlerweile entlang der Verkehrswege ausgebreitet. Foto: Swiss TPH / TIGER Project. <br>
Seit 1950 hat das Gebiet mit klimatisch geeigneten Bedingungen für die Tigermücken (Aedes albopictus) weltweit um 15% zugenommen. Auch in der Schweiz hat sich Aedes albopictus, Überträger von Chikungunya, Dengue und Zika, mittlerweile entlang der Verkehrswege ausgebreitet. Foto: Swiss TPH / TIGER Project.

Klimawandel ist ungerecht

Während in gemässigten und kalten Klimazonen ein wärmeres Klima auch positive Gesundheitsauswirkungen hat wie beispielsweise einen Rückgang der kältebedingten Sterblichkeit, sind die gesundheitlichen Auswirkungen im Süden praktisch ausschliesslich negativ und stärker ausgeprägt. Dies liegt auch am schlechten Zustand der Gesundheitssysteme in vielen Ländern. Damit sind die Länder am meisten durch den Klimawandel betroffen, welche am wenigsten Treibhausgase emittieren. Die CO2-Emissionen von vielen afrikanischen Ländern betrug 2018 weniger als 300 kg pro Person. In der Schweiz lagen die Emissionen bei rund 5 Tonnen, in China bei 8 Tonnen oder in den USA bei 16 Tonnen pro Person. Dabei gilt es anzumerken, dass rund zweit Drittel des Schweizer Treibhausgas-Fussabdrucks im Ausland entsteht und in den statistisch erfassten 5 Tonnen nicht eingeschlossen ist.

Mit der ungleichen Verteilung der Treibhausgasemissionen und Gesundheitsauswirkungen stellt sich eine grundlegende Frage der Gerechtigkeit, ähnlich wie zurzeit bei der globalen Verteilung von Covid-19 Impfstoffen. Da die Auswirkungen des Klimawandels mit bestehenden sozialen und wirtschaftlichen Ungleichheiten interagieren, besteht die grosse Gefahr, dass langjährige Ungleichheiten innerhalb und zwischen Ländern verschärft werden. Auch innerhalb der Schweiz ist der Klimawandel ungerecht. Am stärksten von Hitze betroffen sind die am wenigsten privilegierten Bevölkerungsschichten. Das liegt einerseits daran, dass die Wohnungen weniger gut gegen Hitze isoliert sind, andererseits arbeiten diese Personen häufiger in Berufen, welche stärker durch Hitze betroffen sind. Massnahmen zur Prävention von hitzebedingten Gesundheitseffekten erreichen diese Bevölkerungsgruppe weniger effektiv als andere.

Am Welttag zur Bekämpfung der Wüstenbildung und Dürre rief der damalige Generalsekretär der Vereinten Nationen, Ban Ki-moon, alle Akteure zum Handeln auf. Im Bild eine Landschaftsaufnahme eines halbwüstenartigen Gebiets in Malha, Nord-Darfur. Photo by Mohamad Almahady, UNAMID/flickr, CC BY-NC-ND 2.0<br>
Am Welttag zur Bekämpfung der Wüstenbildung und Dürre rief der damalige Generalsekretär der Vereinten Nationen, Ban Ki-moon, alle Akteure zum Handeln auf. Im Bild eine Landschaftsaufnahme eines halbwüstenartigen Gebiets in Malha, Nord-Darfur. Photo by Mohamad Almahady, UNAMID/flickr, CC BY-NC-ND 2.0

Ohne Verzicht geht es nicht

Die Forschung zeigt, dass krisenerprobte Menschen schneller und bessere Entscheide treffen, um zukünftige Krisen zu verhindern. Nutzen wir nun also die Erfahrung aus der Covid-19 Pandemie, um die Klimakrise zu entschärfen. Das Jahr 2020 hat demonstriert, dass vieles verändert werden kann. Plötzlich sind Dinge möglich, die vor einem Jahr noch undenkbar erschienen. Neben all den Herausforderungen in 2020, haben wohl viele konkret erfahren, dass Verzicht möglich ist, und was für die Lebensqualität wirklich entscheidend ist. Wenn wir das Jahr 2020 nicht nur als schwarzen Fleck abtun und wieder zum «Courant normal» wechseln, sondern uns von diesen Erfahrungen leiten lassen, winkt ein Dreifachgewinn: Verbesserung der öffentlichen Gesundheit, Schaffung einer nachhaltigen Wirtschaft und Schutz der Umwelt.

Referenz
  • Lancet Countdown (2020): The 2020 Report of The Lancet Countdown on Health and Climate Change: Tracking the connections between public health and climate change. https://www.lancetcountdown.org/
Martin Röösli,
Martin Röösli ist Epidemiologe und leitet die Einheit Umwelt und Gesundheit am Schweizerischen Tropen- und Public Health-Institut. Email
Martina Ragettli
Martina Ragettli ist Wissenschaftlerin am Swiss TPH und befasst sich in ihrer Forschung mit den Gesundheitsauswirkungen des Klimawandels. Email