Soll die Schweiz mit den Wölfen heulen?
The Security Council. Photo: United Nations/ © Eskinder Debebe/flickr, CC BY-NC-ND 2.0

„Die Schweizer sind da. Wir haben lange auf sie gewartet.“ Mit diesen Worten begrüsste am 10. September 2000 der damalige UN-Generalsekretär Kofi Annan die Schweiz als neues UNO-Mitglied in New York. Die Schweiz ist nun lange genug da und möchte deshalb ins oberste strategische Führungsgremium, den UN-Sicherheitsrat (UNSR). Der Bundesrat bereitet die entsprechende Kandidatur minuziös vor und hat diesen Oktober die Schlussphase eröffnet. Wenn es so läuft wie geplant, und dagegen spricht wenig, wird die Schweiz im Juni 2022 von der UN-Generalversammlung gewählt und vom 1. Januar 2023 an zwei Jahre in diesem Gremium Einsitz nehmen.


Nicht einfach eine Regierungsangelegenheit

Bislang hat es gegen diesen Plan nur von national-konservativer Seite Kritik gegeben. Sie sieht im Mitwirken der Schweiz im UNSR eine Verletzung der Neutralität, da in diesem Gremium nicht zuletzt über Krieg und Frieden bestimmt wird. Selbstverständlich, dass für Schweizer Nichtregierungsorganisationen, die sich in der internationalen Zusammenarbeit engagieren, diese Argumentation zu kurz greift. Sie sehen vor allem die Chancen, die ein starkes internationales Engagement der Schweiz mit sich bringt. Trotzdem sollten sie es nicht verpassen, sich nun aktiv in die Kandidatur und die spätere Mitgliedschaft einzubringen.

Das Departement für auswärtige Angelegenheit arbeitet seit 2010 an der Mitgliedschaftskampagne. Wie stark das Vorhaben bislang als gouvernementales Projekt geführt worden ist, zeigt ein Postulat der aussenpolitischen Kommission des Ständerates, in dem die legislative Fachkommission die Regierung aufgefordert hat, in einem Bericht darzulegen, wie das Parlament besser einbezogen werden könnte.

Die Zivilgesellschaft hat die Debatte eher von aussen verfolgt. Erst diesen Herbst haben einige Organisationen, darunter Medicus Mundi Schweiz, in einem Brief ans Aussendepartement ihre grundsätzlich positive Haltung zur Schweizer Kandidatur Ausdruck verliehen. Zusammen mit der Wissenschaft weisen sie aber auch darauf hin, dass sie Teil dieses Projektes sein und die Schweizer Mitgliedschaft mitgestalten wollen. Wie die aussenpolitische Kommission des Ständerates sehen Wissenschaft und Zivilgesellschaft die Schweizer Mitgliedschaft im Sicherheitsrat nicht als reine Regierungsangelegenheit an.


Gut gemeint und harmlos

Der Bundesrat legt den Schwerpunkt seiner Kandidatur auf den Mehrwehrt, den die Schweiz aufgrund ihrer Rechtsstaatlichkeit, der humanitären Tradition und der Rolle als UN-Sitzstaat dem Sicherheitsrat bringen kann. Dementsprechend fasst er die Kandidatur unter dem Slogan „A Plus for Peace“ zusammen. In einer Werbebroschüre kristallisiert er die Begründung der Kandidatur rund um die Themen menschliche Sicherheit (humanity), nachhaltige Entwicklung, Multilateralismus, Innovation und Friedensförderung.

Das ist soweit alles gut gemeint und harmlos genug, um keinem anderen UNO-Land auf die Füsse zu treten. Unklar aber bleibt, was der Bundesrat mit der Mitgliedschaft und längerfristig für die Aussenpolitik generell erreichen möchte. Genau bei dieser Unschärfe muss die Zivilgesellschaft nun ansetzen und auch Rechenschaft über die Ziele einfordern.

Photo by Clay Banks on Unsplash
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Das ist soweit alles gut gemeint und harmlos genug, um keinem anderen UNO-Land auf die Füsse zu treten. Unklar aber bleibt, was der Bundesrat mit der Mitgliedschaft und längerfristig für die Aussenpolitik generell erreichen möchte.

Aus zivilgesellschaftlicher Sicht müsste die Mitgliedschaft erstens eine progressive Agenda verfolgen. Eine Mitgliedschaft, die sich einzig auf schöne Worte beschränkt, ohne sich auf die Stärkung der Menschenrechte, gewaltfreier globaler Konfliktlösungsmechanismen und die multilateraler Zusammenarbeit zu konzentrieren, macht schlicht keinen Sinn. Neben einer solchen progressiven Agenda muss die Schweizer Mitgliedschaft die Bearbeitung zweier globaler Herausforderungen in den Vordergrund stellen: Die mit der Pandemie zunehmende globale Ungleichheit und der voranschreitende Klimawandel. Die Schweiz könnte insbesondere ihr finanztechnisches Wissen für mehr globale Steuergerechtigkeit und ihre breit verankerte Kompetenz in der globalen Gesundheit ins Spiel bringen, um den Zugang zur Gesundheitsversorgung international zu stärken und damit Systeme zu stärken, damit epidemiologischen Herausforderungen frühzeitig begegnet werden kann.

Neben einer solchen progressiven Agenda muss die Schweizer Mitgliedschaft die Bearbeitung globaler Herausforderungen in den Vordergrund stellen.


Keine planetare Zukunft ohne Zivilgesellschaft

Wir progressiv und fokussiert das Schweizer Engagement im Sicherheitsrat auch tatsächlich sein wird, träumen darf man immer. Nicht ins Land der Träume gehört ein Thema, dass die Schweizer Zivilgesellschaft unbedingt einfordern muss: Die Schweiz muss sich in den zwei Jahren unmissverständlich für ausreichenden politischen Handlungsspielraum der Zivilgesellschaft weltweit einsetzen. Ohne diesen Raum, der in den letzten Jahren in den verschiedensten Ländern massiv beschränkt worden ist, werden die gegenwärtigen und künftigen Herausforderungen für unseren Planeten nicht bewältigt werden können.

Die Schweiz muss sich in den zwei Jahren unmissverständlich für ausreichenden politischen Handlungsspielraum der Zivilgesellschaft weltweit einsetzen.

Wenn die Schweiz bei ihrer UN-Sicherheitsratskandidatur ihre rechtsstaatliche und demokratische Tradition in den Vordergrund stellt, dann muss das Departement für auswärtige Angelegenheiten jetzt auch den Dialog mit der Schweizer Zivilgesellschaft darüber führen, wie sich die Schweiz für die Zivilgesellschaft weltweit im Rahmen ihrer Mitgliedschaft engagieren will. Und der Bundesrat sollte sich ziemlich schnell und dezidiert gegen parlamentarische Bemühungen stellen, den zivilgesellschaftlichen Raum als Folge der Konzernverantwortungsinitiative hier in der Schweiz einzuschränken. Diese Bemühungen hintertreiben die Glaubwürdigkeit der Schweiz massiv und nachhaltig. Nicht, dass dann am Ende autoritäre Regimes die Schweiz im Sicherheitsrat mit den Worten begrüssen: „Die Schweizer sind da. Wir haben lange auf sie gewartet.“

Martin Leschhorn Strebel
Martin Leschhorn Strebel ist Historiker und Geschäftsführer des Netzwerks Medicus Mundi Schweiz.