Zugang zu Arzneimitteln: Ein globales Problem
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Ein komplexes Thema

Die Weltgesundheitsorganisation schlägt einen Rahmen vor, der folgende Bereiche umfasst: Forschung, Entwicklung und Innovation, Herstellung, Regulierung, Vermarktung, Preisgestaltung und Erstattung, Einkauf und Lieferung, Verschreibung, Abgabe und Verwendung. All diese Faktoren können die Verfügbarkeit und die Erschwinglichkeit von Arzneimitteln beeinflussen. Sowohl die Verfügbarkeit als auch die Erschwinglichkeit von Arzneimitteln sind von entscheidender Bedeutung, denn wenn die Menschen Medikamente benötigen, sollten diese im Gesundheitssystem vorhanden und bezahlbar sein oder idealerweise im Rahmen der UHC-Leistungspakete kostenlos zur Verfügung stehen. Die jüngsten Engpässe in einkommensstarken Ländern (HIC), darunter auch der Schweiz, haben die Frage der Verfügbarkeit von Medikamenten in den Mittelpunkt gerückt. Der fehlende Zugang zu Arzneimitteln ist jedoch in vielen LMICs tägliche Realität.

Der Zugang zu Arzneimitteln spielt eine entscheidende Rolle bei der Verwirklichung der allgemeinen Gesundheitsversorgung (UHC) und ist eines der gesundheitsbezogenen Ziele für nachhaltige Entwicklung.

Warum sind Medikamente nicht da, wenn Menschen sie benötigen?

In letzter Zeit wurden Arzneimittelengpässe häufig auf Probleme bei der Herstellung, Verzögerungen und mangelnde Kapazitäten sowie auf Engpässe innerhalb der Lieferkette zurückgeführt. In Europa hat die Verknappung von Krebsmedikamenten erhebliche Auswirkungen auf die Versorgung von Menschen, einschliesslich Kindern, da alternative Behandlungen schwer zu finden sind. Abgesehen von Engpässen kann die mangelnde Verfügbarkeit auch bedeuten, dass es für die betreffende Krankheit keine Behandlung gibt. So besteht beispielsweise bei einigen vernachlässigten Tropenkrankheiten (Neglected Tropical Diseases, NTDs) ein Mangel an Forschung und Entwicklung, weil sie vulnerable Menschengruppen betreffen, die keinen «interessanten» Markt darstellen.

So ist beispielsweise Insulin, obwohl es vor über einem Jahrhundert entdeckt wurde, in vielen LMICs immer noch nicht erhältlich, weil sie das jeweilige Gesundheitssystem zu viel kosten und es auf globaler und nationaler Ebene bei der Bereitstellung von Medikamenten und der Versorgung hapert. Das Gleiche gilt für einige neue Medikamente zur Krebsbehandlung.

In anderen Situationen kann es vorkommen, dass das Medikament im Gesundheitssystem einfach nicht verfügbar ist, weil es nicht registriert oder gekauft wird. So ist beispielsweise Insulin, obwohl es vor über einem Jahrhundert entdeckt wurde, in vielen LMICs immer noch nicht erhältlich, weil sie das jeweilige Gesundheitssystem zu viel kosten und es auf globaler und nationaler Ebene bei der Bereitstellung von Medikamenten und der Versorgung hapert. Das Gleiche gilt für einige neue Medikamente zur Krebsbehandlung. Die Organisation des Gesundheitssystems sowie die jeweiligen Versorgungsstrukturen sind ebenfalls Hindernisse für den Zugang zu Arzneimitteln. Sowohl die Krebs- als auch die Diabetesversorgung in LMIC ist in grossen Städten zentralisiert, sodass Teile der Bevölkerung keinen Zugang zu diesen Diensten haben.

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In vielen LMICs bedeuten hohe Zuzahlungen, dass sich die Mehrheit der Menschen die benötigten Medikamente nicht leisten kann. In Mali entsprechen die Kosten für einen Monatsbedarf an Insulin fast neun Tageslöhne für die am schlechtesten bezahlten Staatsangestellten.

Können Menschen und Systeme finanziell für die benötigten Arzneimittel aufkommen?

Bei der Prüfung der Erschwinglichkeit müssen die Kosten für die Einzelnen und die Kosten für das Gesundheitssystem berücksichtigt werden. In vielen LMICs bedeuten hohe Zuzahlungen, dass sich die Mehrheit der Menschen die benötigten Medikamente nicht leisten kann. In Mali entsprechen die Kosten für einen Monatsbedarf an Insulin fast neun Tageslöhne für die am schlechtesten bezahlten Staatsangestellten. Obwohl es in der Schweiz Massnahmen zur Preiskontrolle gibt, sind die Arzneimittelpreise deutlich höher im Vergleich zu den Nachbarländern und auch höher als die Produktionskosten. Bei Insulin ist der Preis für eine Ampulle 8,7-mal höher als die geschätzten Produktionskosten in der Schweiz. Hohe Kosten für Krebsbehandlungen und andere Medikamente bedeuten, dass diese für Einzelpersonen, die sie aus der eigenen Tasche bezahlen müssen, unerschwinglich sind. Dies wirkt sich auch in den Schwellenländern aus, wo die Systeme nicht mehr in der Lage sind, die ständig steigenden Preise für neue Medikamente zu tragen.

Foto von Etactics Inc auf Unsplash
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Obwohl die Arzneimittelforschung in erheblichem Umfang von der öffentlichen Hand finanziert wird, bestimmt letztlich der private Sektor den Markt für diese Produkte und profitiert von ihrem Verkauf.

Denkanstösse und Perspektiven

Verfügbarkeit und Erschwinglichkeit sind insofern miteinander verknüpft, als die Herstellung von Medikamenten von der Pharmaindustrie abhängt. Der weltweite Insulinmarkt im Wert von mehr als 20 Milliarden US-Dollar wird von drei grossen multinationalen Unternehmen beherrscht. Diese haben somit Einfluss auf die weltweite Verfügbarkeit und Erschwinglichkeit von Insulin. Obwohl die Arzneimittelforschung in erheblichem Umfang von der öffentlichen Hand finanziert wird, bestimmt letztlich der private Sektor den Markt für diese Produkte und profitiert von ihrem Verkauf. Viele Unternehmen haben Spenden, gestaffelte Preise oder andere Initiativen eingerichtet, um den Zugang zu ihren Produkten in den LMICs zu verbessern.

Die Regierungen und die Zivilgesellschaft müssen jedoch ein Gegengewicht zur Pharmaindustrie bilden. Die Regierungen müssen ihre Bürger:innen vor den Kosten von Krankheiten schützen und dafür sorgen, dass die Verfügbarkeit und Erschwinglichkeit von Arzneimitteln durch politische Massnahmen verbessert wird. Darüber hinaus tragen die Schwellenländer eine globale Verantwortung dafür, den Zugang zu Arzneimitteln in den LMIC zu gewährleisten. Die Zivilgesellschaft hat die Aufgabe, den privaten Sektor und die Regierungen zur Rechenschaft zu ziehen. In vielen Fällen federn sie auch Marktversagen ab, indem sie innovative Lösungen findet, um den Zugang zu Arzneimitteln für LMICs zu gewährleisten, wie das Beispiel der Initiative «Drugs for Neglected Diseases» (DNDi)» zeigt. Jeder Sektor, ob privat, staatlich oder zivilgesellschaftlich, muss eine Rolle bei der Bewältigung der komplexen globalen und nationalen Faktoren spielen, die den Zugang zu Medikamenten beeinflussen und behindern.

Die Zivilgesellschaft hat die Aufgabe, den privaten Sektor und die Regierungen zur Rechenschaft zu ziehen. In vielen Fällen federn sie auch Marktversagen ab, indem sie innovative Lösungen findet, um den Zugang zu Arzneimitteln für LMICs zu gewährleisten.

VIDEO

VIDEO der Konferenz "L'accès aux médicaments: un défi global" an der Universität Genf am 13. Dezember 2022 (Video auf Französisch)

Marina Giachino
Marina Giachino ist Projektleiterin in der Abteilung für Tropenmedizin und humanitäre Hilfe an den Genfer Universitätskliniken. Zugehörigkeit: Abteilung für Tropenmedizin und humanitäre Medizin (SMTH), Universitätsspitäler Genf (HUG), Schweiz. Email
François Chappuis
Professor François Chappuis ist Facharzt für Innere Medizin und Reise- und Tropenmedizin. Er leitet die Abteilung für Allgemeinmedizin und die Abteilung für Tropen- und humanitäre Medizin. Zugehörigkeit: Abteilung für Tropen- und humanitäre Medizin (SMTH), Universitätskliniken Genf (HUG), Schweiz. Abteilung für öffentliche Gesundheit und Medizin, Universität Genf, Schweiz.
Alfredo Addeo
Professor Alfredo Addeo ist ein internationaler Experte für Brustkrebs und ordentlicher Professor an der medizinischen Fakultät sowie Leiter der Abteilung für Onkologie an den Genfer Universitätsspitälern und des Lungenkrebszentrums. Zugehörigkeit: Abteilung für Onkologie, Universitätskliniken Genf (HUG), Schweiz.
David Beran
Professor David Beran ist Forscher und Dozent an den Genfer Universitätskliniken und der Universität Genf in der Abteilung für Tropenmedizin und humanitäre Medizin. Zugehörigkeit: Abteilung für Tropenmedizin und humanitäre Medizin (SMTH), Universitätskliniken Genf (HUG), Schweiz. Abteilung für öffentliche Gesundheit und Medizin, Universität Genf, Schweiz. Email