Auf der Couch mit der globalen Gesundheit
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Im Oktober haben sich Delegierte der WHO-Staaten in Rio de Janeiro getroffen, um diejenigen Faktoren anzugehen, welche die Gesundheit der Menschheit primär bestimmen. Ging es da um neue Viren wie die Vogelgrippe, Krankmacher wie Tabak oder die Umweltverschmutzung? Nein, es ging um die sozialen Determinanten von Gesundheit – um diejenigen Bedingungen, welche die ungleiche Verteilung von Gesundheit weltweit bestimmen. Die Verteilung von Geld, Macht und Ressourcen definieren den gesundheitlichen Zustand der Menschen auf dieser Erde.

Die Erkenntnis, dass es die sozialen Bedingungen sind, die unsere Gesundheit bestimmen, ist dank dem ausgezeichneten Bericht der WHO-Kommission zu den sozialen Determinanten ganz oben in der Politik angekommen. Ein Erfolg einer historisch traditionsreichen Bewegung, ein Erfolg einer Bewegung, deren Teil auch dieser Zeitschrift ist.

Soziale Medizin: Sind wir am Ziel?

Nun erscheint die Soziale Medizin also zum letzten Mal und man ist fast geneigt zu sagen: Die Anerkennung durch die Weltgesundheitspolitik, dass die sozialen Faktoren unsere Gesundheit bestimmen, zeigt, wir sind am Ziel. Mission erfüllt. Diese Sichtweise wäre dann aber eine ziemliche Schönfärberei. Denn Gesundheitspolitik in der Schweiz und weltweit ist nach wie vor profitgetrieben. Es braucht genau wie vor dreissig und wie vor hundert Jahren Menschen, die sich dafür engagieren, dass Gesundheit als Grundrecht und nicht als Ware verstanden wird – und es braucht Medien, in welchen dieser Standpunkt reflektiert und erforscht werden kann.

Das Netzwerk Medicus Mundi (MMS) Schweiz verliert mit dem Einstellen der Sozialen Medizin einen Raum, in welchem wir für ein an medizinischen Fragen höchst sensibilisiertes Publikum über die globale Dimension von Gesundheit berichten konnten.

Die Schwierigkeiten die sich einer Organisation stellt, die mit beschränkten Mitteln, Sensibilisierungsarbeit für globale Gesundheitsthemen macht, besteht darin, dass das mediale Umfeld für internationale Themen im Allgemeinen und globale Gesundheit im Speziellen schwieriger geworden ist.

Schwindsucht der Auslandberichterstattung

Entscheidend ist, dass die Auslandberichterstattung in den vergangenen Jahren generell in den hiesigen Medien zurückgefahren wurde. Das umfangreiche Jahrbuch über die Qualität der Medien zeigt auf, dass in der Schweizer Presse zwischen 2001 und 2009 der Anteil der Politikberichterstattung über das Ausland von 42% auf 24% gefallen ist. Gleiches lässt sich auch zur Berichterstattung von Radio und Fernsehen sagen. Das hängt sicherlich mit dem vielzitierten Strukturwandel der Medien zusammen, zeigt aber auch den kulturellen Wandel in der Schweiz, die sich nur noch mit sich selbst zu beschäftigen weiss.

Der öffentliche Diskurs ist isolationistischer geworden. Primär zählt auch in der knapperen Auslandsberichterstattung, was mit der Schweiz verknüpft werden kann. Die MMS-Arbeit zugunsten des WHO-Kodexes zur Rekrutierung von Gesundheitspersonal interessierte die Medien, weil es sich darauf zuspitzen liess, dass die Schweiz ihren Personalmangel auf Kosten der Ärmsten löst. Die dahinter stehenden Probleme in den Herkunftsländern interessierten eigentlich nur am Rande.

Beliebt ist bei den Medien dann eine Geschichte, wenn der Kampf für eine bessere Gesundheit in Entwicklungsländern mit einem „Swissness“-Stempel versehen werden kann. Ein Schweizer Arzt oder eine Schweizer Krankenpflegerin, die in einem afrikanischen Spital sich gegen Malaria engagiert, ist der Stoff, der interessiert. Daraus kann eine Schweizer Homestory aus dem afrikanischen Busch gedrechselt werden – doch wie setzt man bitteschön die Abschaffung von Gesundheitsgebühren auf die Couch?

Gesundheitssysteme: Nichts für eine Spassgesellschaft

Für Themen der globalen Gesundheit ist dies fatal. Sie fallen zusehends unter den Tisch. Dies ist nicht nur in der Schweiz so. Ein aufschlussreicher Bericht der Keyser Family Foundation zeichnet aufgrund Interviews mit US-amerikanischen JournalistInnen, die sich mit Gesundheitsthemen befassen, die Entwicklung eindrücklich nach. Neben dem fehlenden Geld und der Schliessung von Auslandsbüros der Medien, hat sich die Wahrnehmung dessen verändert, was die LeserInnen interessieren könnte. Übergewicht in Japan sei nun mal viel gefragter, als Resistenzen auf TB-Medikamente. Zudem seien Themen, welche die Gesundheitssysteme beträfen, viel schwieriger zu vermitteln als irgendeine Epidemie. Und Larry Klein, ein unabhängiger US-amerikanischer Filmemacher, der 2005 eine grössere Fernsehserie zu globalen Gesundheitsthemen realisierte, erklärt im Keyser Bericht, dass dies heute undenkbar wäre: „Es gibt da draussen kein Geld mehr für so was. Pharaos Tutanchamuns Gold interessiere nun einmal mehr als eine Malaria-Show.“ (Keyser, p. 6)

Eine Reaktion auf diese Entwicklung besteht nun darin, dass Stiftungen Berichte und Blogs zu Themen der internationalen Gesundheit finanzieren. Dazu zählt – neben der Keyser Foundation selbst – auch die Bill und Melinda Gates Foundation, die in diesem Bereich zu einem grossen Spieler der Advocacyarbeit geworden ist. In den USA bezahlt Gates mit rund 10% ihrer jährlichen Ausgaben von 3 Milliarden Fernseh- und Radiobeiträge von ABC oder Public Radio International wie auch die von der britischen Zeitung „The Guardian“ geführte Website Global Development.

Da stellt sich sehr schnell die Frage, ob damit die Unabhängigkeit der Berichterstattung noch sichergestellt ist. Diese Form der Sensibilisierungsarbeit ist als Reaktion auf die Abwendung traditioneller Medien von Themen der internationalen Gesundheit zwar verständlich. Wenn sie aber nicht mit höchster Transparenz erfolgt, bedroht sie mittelfristig die Reputation der Gesundheitszusammenarbeit mehr als das sie sie fördert.

Quellen
Taking the Temperature: The Future of Global Health Journalism. A Report for The Keyser Foundation by Nelly Bristol and John Donnelly.

Sandi Doughton and Kristi Heim: Does Gates funding of media taint objectivity. The Seattle Times, 19th February 2011, http://seattletimes.nwsource.com/html/localnews/2014280379_gatesmedia.html

Jahrbuch 2010 Qualität der Medien. Schweiz - Suisse – Svizzera. Herausgegeben vom fög - Forschungsbereich Öffentlichkeit und Gesellschaft/Universität Zürich im Auftrag der Stiftung Öffentlichkeit und Gesellschaft, Zürich 2010.

Martin Leschhorn Strebel
Martin Leschhorn Strebel ist Mitglied der Geschäftsleitung des Netzwerks Medicus Mundi Schweiz.