Druckfrisch liegt der Weltgesundheitsbericht 2008 der WHO auf dem Pult. Noch nicht in gedruckter Form, dafür aber in einer umfassenden Zusammenfassung auf dem Web, gibt es zum zweiten Mal nach 2005/06 den alternativen Bericht, den „Global Health Watch 2“. Der Blick in beide Dokumente zeigt, wohin die Reise der internationalen Gesundheitspolitik gehen könnte oder gehen sollte.

Den „Global Health Watch 2“ produzieren Wissenschaftler, im Gesundheitsbereich tätige Menschen sowie gesundheitspolitische AktivistInnen aus der ganzen Welt. Er ist der Weltgesundheitsbericht der Zivilgesellschaft und muss im Gegensatz zum Bericht der WHO nicht diplomatische verklausuliert werden. Er legt Mängel der Gesundheitszusammenarbeit und der internationalen Gesundheitspolitik offen.

Obwohl in den vergangenen 30 Jahren die Ausgaben im Gesundheitswesen stark gestiegen sind, hat sich die Schere des Gesundheitszustands zwischen Menschen aus Ländern mit geringem Einkommen und denjenigen aus reichen Ländern stark geöffnet. Immer noch sterben täglich sterben 4'500 Kinder aufgrund mangelhafter Hygiene und katastrophaler, sanitarischer Verhältnisse.

Politische und ökonomische Dimensionen

Neben diesen offensichtlichen Mängeln unterstreicht der Bericht die politische und ökonomische Dimensionen: Die pharmazeutische Industrie verschwende Geld mit Marketingmassnahmen und mit an westlichen Konsummustern orientierten Life-Stile-Medikamenten. Oder aber: Der sogenannte „Krieg gegen Terror“ unterordne entwicklungspolitische Massnahmen einseitig der Sicherheitsstrategie. So werden bereits über 22% der US-amerikanischen Auslandsentwicklungshilfe durch das Verteidigungsministerium ausgegeben.

Kritik äussert der „Global Health Watch 2“ insbesondere am “Global Fund to Fight Aids, Malaria and Tuberculosis“, der immer noch zu stark an den jeweiligen Gesundheitssystemen vorbeioperiere, sowie an der Gates Foundation, die mit ihren 29 Milliarden US-Dollars die internationale Gesundheitspolitik massiv beeinflusse ohne aber irgendwelcher demokratischer Kontrolle zu unterstehen.

Mit dieser vielfältigen Kritik und Analyse, die ab Mitte November 2008 auch online ausführlich studiert werden kann, öffnet der alternative Weltgesundheitsbericht einen Fächer von Ansatzpunkten, die für die in der internationalen Gesundheitszusammenarbeit tätigen Nichtregierungsorganisation in den nächsten Jahren von einiger Bedeutung sein werden.

Basisgesundheit: Mehr denn je

Der „World Health Report 2008“ spricht demgegenüber als Bericht einer UN-Organisation, der sich primär an die Regierungen wendet, eine andere Sprache. Liest man jedoch zwischen den Zeilen wird deutlich, dass die WHO, die im alternativen Bericht erwähnten Mängel durchaus teilt. Sie stellt ihren Bericht aber unter ein ganz anderes Vorzeichen: Aus Anlass des dreissigjährigen Jubiläums der Deklaration von Alma Ata, propagiert der Weltgesundheitsbericht die Erneuerung der Basisgesundheit und proklamiert dies bereits im Titel: „Primary Health Care: Now more than ever.“

Im politisch relevanten Einleitungskapitel spricht auch der Weltgesundheitsbericht 2008 Klartext. Basisgesundheit wird als Instrument verstanden, das unterschiedlichste gesundheitliche Themen angeht – aus diesem Grunde „ist es nicht annehmbar, dass in Niedriglohnländer sich Basisgesundheit nur mit ‚prioritären Krankheiten’ beschäftigt.“ Basisgesundheit meint laut Weltgesundheitsbericht eine PatientInnen-Gesundheitspersonal-Beziehung, die auf Dauer angelegt sei und das familiäre wie das soziale Umfeld mitberücksichtige. Deshalb „ist es nicht annehmbar, dass Basisgesundheit auf einen Einwegkanal für prioritäre medizinische Interventionen reduziert wird.“ Primary Health Care muss als umfassendes, alle Personen einer Gemeinschaft einbeziehendes, qualitativ hochstehendes System implementiert werden, das in das gesamte Gesundheitssystem integriert ist.

Plädoyer für einen umfassenden Ansatz

Die WHO legt mit diesem Bericht eine fundierte Analyse vor und zeigt, weshalb Basisgesundheit propagiert werden soll und wie das erneuerte Konzept umgesetzt werden könnte. Sie stellt vier Stossrichtungen ins Zentrum ihrer Argumentation:

1. Ausweitung einer umfassende Gesundheitsversorgung, damit alle Zugang zu Gesundheitssysteme erhalten;

2. Konzentration auf eine Gesundheitsversorgung, die den Menschen ins Zentrum stellt;

3. Umsetzung einer Politik, welche die Gesundheit der lokalen Gemeinschaften propagiert und schützt;

4. Propagierung einer Politik, in welcher die öffentliche Hand die Gesundheitssysteme effizient führt.

Der Weltgesundheitsbericht 2008 lässt sich als Plädoyer für eine Gesundheitspolitik lesen, welche die Ressourcen für eine alle Menschen erreichende Gesundheitsversorgung sicherstellt. Dabei soll die Politik – und eben nicht Private – diese Ressourcenzuteilung steuern. Der Bericht lässt sich als Plädoyer gegen Privatisierungen im Gesundheitswesen und gegen die Konzentration der medizinischen Massnahmen auf ein paar ausgewählte Krankheiten lesen. Damit knüpft er an die Deklaration von Alma Ata an und versucht die verschiedenen Erfahrungen der internationalen Gesundheitspolitik für eine Neulancierung des Basisgesundheitskonzepts fruchtbar zu machen.

Stärkung der WHO

Der „Global Health Watch 2“ kritisiert, dass in den vergangenen Jahren die WHO dadurch geschwächt wurde, dass ihr ordentliches Budget laufend zugunsten von programmspezifischen Budgets reduziert worden sei. Die Schwächung der WHO hat aber auch damit zu tun, dass die Weltbank zu einer entscheidenden Spielerin auch in der Gesundheitspolitik geworden ist und dort ihre neoliberalen Konzepte weitgehend durchsetzen konnte. Es mag sein, dass aus diesem Grund auch die WHO teilweise in Frage gestellt wird. In der neusten Ausgabe des Bulletins von Medicus Mundi Schweiz, wirft medico international die Schaffung einer WHO von unten in die Debatte ein.

Was könnten also die Lehren für die zivilgesellschaftlichen AkteurInnen sein, die eine Medizin wollen, die auf die unterschiedlichen kulturellen und sozialen Bedürfnisse zugeschnitten ist und auch die Ärmsten erreicht? Die WHO muss als die zentrale globale Institution für die Gesundheitspolitik gestärkt werden. Die Weltbank darf sich mit der darbenden Finanzwirtschaft beschäftigen, soll sich aber aus den nationalen Gesundheitspolitiken der ärmsten Länder raushalten.

Schweizer Organisationen, die in der Entwicklungszusammenarbeit tätig sind, können dies unterstützen, indem sie sich für eine Gesundheitsaussenpolitik der Schweiz stark machen, welche dafür sorgt, dass die Entscheide der WHO Generalversammlung kohärent in den verschiedenen internationalen Institutionen, in welchen die Schweiz vertreten ist, umgesetzt werden.

*Martin Leschhorn Strebel ist Mitglied der Geschäftsleitung von Medicus Mundi Schweiz (MMS). MMS betreut die Kolumne med in Switzerland.


Quelle

Global Health Watch: www.ghwatch.org

World Health Report: www.who.int/whr/2008/en/index.html