Grupo de Prevención de SIDA, Kuba

Betriebsunfall mit doppeldeutig positiven Folgen

Von Judith Eisenring

Über alle Landes- und Kulturgrenzen hinaus werden kranken Menschen Gefühle von Mitleid entgegengebracht. Nicht so erleben es die meisten HIV-positiven oder AIDS-kranken Menschen. Ihnen schwingt immer der Vorwurf von Selbstverschulden entgegen. “Hätten sie sich doch geschützt oder keine gesundheitsgefährdende Sexualität praktiziert, dann wären sie noch gesund und arbeitsfähig“. Niemand assoziiert zu HIV und AIDS einen Arbeitsunfall, auch früher in Kuba nicht. Das hat sich verändert seit Medizinpersonal, das sich im Ausland angesteckt hat, mit seiner Geschichte an die Öffentlichkeit geht und Fachwissen vermittelt.

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In Schweizer Spitälern ist eine Ansteckung des Gesundheitspersonals mit dem Virus fast ausgeschlossen, da mittlerweile sehr viele Vorsichtsmassnahmen getroffen werden und bei Stichverletzungen routinemässig eine Postexpositionsprophylaxe (HIV-PEP ist eine Kombination von Medikamenten gegen HIV) durchgeführt wird. HIV hat hier das Thema Hygiene und Umgang mit menschlichen Sekreten geprägt. Die Berufshaftpflichtversicherung nimmt die Arbeitgeber in die Pflicht, somit sind Desinfektion und Handschuhe als Schutz auch für das Personal nicht mehr wegzudenken.

In Kuba zurzeit ohne AIDS-Erfahrung wurden nebst Soldaten kubanische Gesundheitsarbeiterinnen im Auftrag der Regierung (Zeichen des kubanischen Internationalismus, z. B. mit Angola) in befreundeten Ländern eingesetzt. In den Spitälern vor Ort haben sie Kriegsverletzte und andere Verletzte operiert oder gepflegt. Mit grosser Wahrscheinlichkeit haben sie sich dort mit HIV angesteckt. Ohne von ihrer HIV-Infektion zu wissen, kehrten sie in ihre Heimat zurück. Wenn sie in Kuba mit einem HIV-positiven Befund getestet wurden, waren sie gezwungen in sogenannten Sanatorien zu leben. Zwischen 1986 und 1993 wurde dies landesweit so praktiziert. Erst danach wurden die Menschen mit HIV/Aids wieder sozial integriert und ihnen das Leben mit den Familien und der beruflichen Tätigkeit wieder gestattet.

Erfolge einer Selbsthilfegruppe

Betroffene, die sich gegen die stalinartigen Internierungsmassnahmen wehrten, haben sich als Selbsthilfegruppe „Grupo de Prevención de SIDA“ (GPSIDA)  zusammengeschlossen. Ihr Ziel ist es noch heute, sich und andere über HIV zu informieren und AIDS-Präventionsarbeit zu leisten. Es ist ihnen zu verdanken, dass der Staat seine Strategie im Umgang mit der Krankheit um 180 Grad änderte. Mittlerweile gibt es für AIDS-Kranke ein ärztliches Behandlungsprogramm in einer dafür spezialisierten Klinik. Vier Mal jährlich werden sie zu einem medizinischen Check aufgeboten und dort wird ihnen auch das Recht auf die staatlich garantierte Zusatznahrung bescheinigt. Alle erhalten in Kuba die benötigten retroviralen Medikamente. Von den rund 22 heute weltweit abgegebenen Aidsmedikamenten können zwölf in Kuba selber als Generika hergestellt werden. Die weiteren Medikamente kauft Kuba auf dem Weltmarkt.

GPSIDA ist in das nationale kubanische HIV/Aids-Programm involviert und mit ihren AIDS-Präventionskampagnen sind sie in allen Provinzen bekannt. Längst sind es nicht mehr nur Betroffene und nicht nur Gesundheitspersonal, die in den Gemeinden, z.B. bei Jugendgruppen, aktiv sind. GPSIDA hat mit ihrer Geschichte und mit ihren fundierten Fachkenntnissen eine internationale Bekanntheit erreicht. Auch das Gesundheitsministerium will auf die Arbeit der GPSIDA nicht mehr verzichten. Im Gegenteil, sie nutzen Synergien. Dies ist möglich, weil GPSIDA gut vernetzt ist und digital den Austausch der aktuellsten Daten garantieren kann. Kubanische Fachleute beraten heute auch überregionale AIDS-Programme, so z.B. Haiti und andere Länder Zentralamerikas.

Medico durfte die Entwicklung von GPSIDA von „Betriebsunfallopfern“ zu Experten für Gesundheitsförderung und Prävention teilweise mitverfolgen und unterstützen. Aktuell finanzieren wir die Evaluation ihrer Arbeit und deren Publikation. Wir sind sehr interessiert, Fakten bezüglich AIDS zu Kuba in den Händen zu haben, und sind gespannt, welche Rückschlüsse sich bezüglich Präventionsarbeit daraus ergeben. Ein Wissen, dass wir medico-Partnerorganisationen in andern Ländern gerne zur Verfügung stellen, denn es sollen sich keine Menschen mehr mit HIV infizieren und bestimmt keine Berufstätige im Gesundheitsdienst.

*Judith Eisenring arbeitet als Hebamme, Ausbildnerin, Sexualpädagogin und Pflegfachfrau in St. Gallen. Sie ist Co-Präsidentin und Projektverantwortliche Cuba bei medico international in Zürich. Kontakt: jeisenring@bluewin.ch