Fachtagung von aidsfocus auf den Spuren des „property grabbings“

Die Lebensgrundlage der Hinterbliebenen in Frage gestellt

Von Martin Leschhorn Strebel

Die diesjährige Fachtagung von aidsfocus widmete sich dem Thema „AIDS and livelihoods – securing property and inheritance rights“. Was sehr technisch tönt, umschreibt eine im südlichen Afrika weit verbreitete Praxis: Witwen und Waisen wird der Besitz des verstorbenen Ehemannes und Vaters weggenommen. Angesichts von AIDS und Armut ein verheerender Vorgang.

Lesezeit 4 min.

Die freiwilligen MitarbeiterInnen des Kitovu Mobile kennen Gertrud und ihre Familie bereits: Seit 2003 unterstützen sie sie mit Nahrungshilfe und medizinischer Betreuung. Kurz nachdem der Ehemann 2004 an AIDS verstorben ist, erklärt Gertrud den Freiwilligen, dass ihr Schwager gekommen sei, um Hab und Gut von ihr zu verlangen. Kitovu Mobile, ein Projekt, das die Deutsche Kinder Nothilfe unterstützt, kann dank der langjährigen Präsenz im Dorf vermitteln. Der Besitz der kleinen Familie bleibt noch unangetastet. Doch dann stirbt auch Gertrud an der Krankheit und der Onkel erscheint wieder bei den Kindern und erneuert seine Forderung. Er setzt sich schliesslich gegenüber den Waisen durch. Kitovu Mobile erreicht wenigstens, dass die Dorfgemeinschaft den Kindern Land für ein neues Häuschen mit Garten übergibt.

Dass die Familie des Verstorbenen von der Ehefrau und den Kindern den Besitz beanspruchen, ist in Afrika ein häufiger Vorgang, der sich auf traditionelles Recht stützt und durchaus in Widerspruch zur modernen staatlichen Gesetzgebung steht. Die diesjährige Fachtagung von aidsfocus in Bern hat sich unter dem Titel „AIDS and livelihoods – securing property and inheritance rights“ diesem vielschichtigen Problem gewidmet.

Verlust der Lebensgrundlage

Als Schwächste in der Gesellschaft haben Gertrud und nach ihrem Tod ihre Kinder Mühe, sich gegenüber dem Schwager, respektive dem Onkel zu behaupten. Dieser steht als in Armut lebendes Familienoberhaupt selbst unter materiellem Druck. Wäre nicht die anwaltschaftliche Tätigkeit des Kitovu Mobile, drohte den Kindern der Verlust der Existenzgrundlage. Laut Frank Mischo von der Kindernothilfe, der das Schicksal von Gertrud an der Fachtagung vorstellte, ist es kein Zufall, dass viele Waisenkinder als Arbeitskräfte ausgenutzt werden.

„Property grabbing“ bezeichnet die Enteignung des Besitzes durch die Herkunftsfamilie des Verstorbenen. Der Verlust der Lebensgrundlage, des kleinen Stücks Land, das zur Ernährung der zurückgebliebene Familie beitragen könnte, verschärft die Armut gerade im Zeitalter von AIDS.

Kaori Izumi von der Welternährungsorganisation (FAO) ist aufgrund eigener Reisen im südlichen Afrika auf das Problem und seine Ausmasse aufmerksam geworden. AIDS schafft Witwen, die aufgrund der Krankheit stigmatisiert sind und umso mehr Mühe haben ihre Rechte zu verteidigen. Eine FAO Studie zeigt für Namibia, dass durch „property grabbing“ 44% der Witwen und Waisen das Vieh, 30% das Kleinvieh und 39% die landwirtschaftlichen Ausrüstung verlieren. Damit verschärft „property grabbing“ die Not und die Mangelernährung, die Migration und die Prostitution, den vorzeitigen Tod und die Zunahme an Waisen.

Traditionelles und modernes Recht

Sarah ist Mutter von drei Kindern in Tansania. Als ihr Mann an AIDS stirbt, wird sie für dessen Tod verantwortlich gemacht und der Hexerei bezichtigt. Derart stigmatisiert zwingt sie die Familie des Verstorbenen ihr Haus zu verlassen. Sie findet den Weg zur Kivulini Women’s Rights Organization, die ein Gerichtsverfahren anstrengt. Maimuna Kanyamala berichtete an der Tagung, dass das Gericht den Fall nicht entschieden hat, sondern zur Beurteilung an die dörfliche Gerichtsinstanz zur Entscheidung zurück gewiesen hat. Damit hat es Sarah die moderne staatliche Gesetzgebung vorenthalten und ihr Schicksal der traditionellen Gerichtspraxis in die Hände gegeben.

Das Beispiel von Sarah wie auch die Ausführungen von Mercy Wahome von der Society of Women and AIDS in Kenya (SWAK) zeigen, wie das an der Fachtagung behandelte Thema des „property grabbing“ nicht nur eine Frage nach dem Erbrecht und der materiellen Absicherung der Hinterbliebenen ist. Es zielt auch auf Ausgrenzung der Schwächsten, der Frauen und Kindern im Zeitalter von AIDS. Die ReferentInnen erzählten Geschichten der Stigmatisierung und des Zusammenpralls von sogenannten modernen juristischen Normen mit der alltäglichen oft traditionell ausgerichteten Praxis.

Community awareness

Mercy Wahome und Maimuna Kanyamala berichteten auch von ihren Strategien um dem Problem zu begegnen. In Kenya setzt sich SWAK auf nationaler Ebene für die Stärkung von Frauen und Kindern in ihren Eigentumsrechten ein. Empowerment spielt auch für Kanyamalas Arbeit in Tansania eine wichtige Rolle: Frauen werden darin unterstützt Kleinunternehmen zu gründen und diese nach sozialverträglichen Grundsätzen zu führen.

Sowohl in Tansania wie auch in Kenya ist es für die ReferentInnen zentral, auf der Gemeindeebene anzusetzen: Sie bilden Freiwillige aus, die auf kommunaler Ebene die Bevölkerung sensibilisieren und Fälle von „property grabbing“ identifizieren können. Ausserdem bieten die beiden Organisationen rechtliche und soziale Unterstützung an.

Nach den Vorträgen der ReferentInnen haben sich TeilnehmerInnen der Fachtagung in drei Arbeitsgruppen mit verschiedenen Dimensionen des „Property Grabbing“ auseinandergesetzt. Das Thema wirft Fragen auf, die dazu führen könnten, dass der sektorielle Ansatz überdacht werden müsste, meinte die Arbeitsgruppe, die sich mit der internationalen Politik auseinandergesetzt hatte. Es gebe auch positive Entwicklungen, wie die „Livingstone Declaration“, über die sich soziale Sicherheit auch für die betroffenen Frauen und Kinder fruchtbar machen liesse.

Brücken bauen

Im Rahmen der rechtlichen Dimension interessierte insbesondere der Dualismus zwischen traditionellem und dem sogenannten modernen Recht. Die dafür zuständige Arbeitsgruppe plädierte dafür, die unterschiedlichen Rechtssysteme nicht im Gegensatz zueinander zu sehen, sondern das Wissen über beide zu verbreitern und die Betroffenen im Umgang damit zu stärken.

Die dritte Gruppe diskutierte schliesslich die Bedeutung des Auseinanderbrechens des grösseren Familienzusammenhalts durch AIDS und die Traumatisierung von Kindern. Sie sprach sich dafür aus, lokale Netzwerke zu schaffen und zu stärken sowie lokale Initiativen zu unterstützen.

Die ReferentInnen der aidsfocus Fachtagung 2008 brachten den TeilnehmerInnen ein in breiteren Kreisen der Entwicklungspolitik wenig beachtetes Problem näher, das zu zentralen Fragen von Lebensunterhaltssicherung, Stigmatisierung und Ausgrenzung von Frauen und Kindern angesichts von AIDS führte. Das Schicksal von Gertrud und Sarah mit ihren Kindern zeigen, wie wichtig ein umfassender, auf die Rechte von Frauen und Kindern zielender Ansatz ist.

*Martin Leschhorn Strebel ist Mitglied der Geschäftsleitung von Medicus Mundi Schweiz und Redaktor des MMS Bulletins. Kontakt: mleschhorn@medicusmundi.ch