Umfassende Strategie gegen HIV/AIDS des SRK in Swasiland

„Es dreht sich alles um AIDS“

Von Annette Godinez

Was tun, wenn HIV und AIDS eine ganze Gesellschaft bedrohen? Das Schweizerische Rote Kreuz (SRK) begegnet der dramatischen Situation im kleinen Königreich Swasiland mit einem innovativen Programm. Die Geschichte einer Pionierleistung.

Lesezeit 3 min.

In dem im südlichen Afrika gelegenen Kleinstaat Swasiland mit rund einer Million Einwohnerinnen und Einwohnern hat sich Aids zur bedrohlichen Pandemie ausgeweitet: Insgesamt ist jeder dritte Erwachsene mit dem HI-Virus infiziert. Aids als gesellschaftliches Tabu und die Stigmatisierung der Kranken haben die hohe Verbreitung der Epidemie wesentlich begünstigt. Erst 1999 erklärte der König von Swasiland, Mswati III, die Krankheit zum „nationalen Desaster“.

Dieser Schritt ermöglichte es dem SRK, seine Anstrengungen gegen die Krankheit zu verstärken. Angesichts der menschlichen Tragödien, die sich täglich abspielen, und der drohenden Gefahr eines Zerfalls der Gesellschaft war dies dringend notwendig. „Alles dreht sich um Aids“, sagt Lilly Pulver, die bei der Internationalen Zusammenarbeit des SRK für Swasiland zuständig ist. „Jeder hat ein krankes Familienmitglied oder bereits einen engen Verwandten verloren. Die Krankheit ist allgegenwärtig. Es geht um die Rettung einer ganzen Nation.“ Die Dauerbelastung der Menschen ist kaum vorstellbar. Welche Wege geht man im Umgang mit einer traumatisierten Gesellschaft?

Vertrauen schafft Lichtblicke in der Krise

Gemeinsam mit dem lokalen Roten Kreuz und den Gesundheitsbehörden von Swasiland setzt das SRK auf eine umfassende Eindämmung der Krankheit: Prävention, Heimpflege, psychologische Unterstützung und medizinische Behandlung sind gleichermassen Teile des Programms. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) bezeichnete diesen Ansatz als vorbildliche, „optimale Strategie“. Dank unermüdlichen, langfristigen Anstrengungen auf allen Ebenen sei das Vertrauen der Bevölkerung in die Arbeit des Roten Kreuzes langsam aber stetig gewachsen, sagt Lilly Pulver. Trotz der Krise, in der sich das Land befindet, schafft dieses Vertrauen Lichtblicke: „Die Betroffenen akzeptieren die antiretrovirale Therapie normalerweise gut und befolgen die strengen Regeln für die Einnahme der Medikamente“, berichtet die Fachfrau. Alles andere wäre fatal: Die Bildung von Resistenzen gegen die Medikamente ist eine der grössten Gefahren im Kampf gegen Aids.

Bahnbrechende Therapie auch für ländliche Gebiete

Die Einführung der antiretroviralen Therapie 2004 in der Rotkreuz-Klinik von Sigombeni war einzigartig im ganzen Land und ein wichtiger Markstein in der Arbeit des SRK. Dabei geht es aber um weit mehr als „nur“ um medizinische Hilfe: Das SRK schult Begleitpersonen zur psychologischen Unterstützung der Aidskranken und um zu gewährleisten, dass sie die Medikamente regelmässig und richtig dosiert einnehmen. In intensiven Vorgesprächen und mit offener Information werden den Patientinnen und Patienten alle Facetten der Krankheit und der Therapie aufgezeigt. Mit Erfolg: Heute sind rund 400 Menschen in Behandlung – 400 Menschenleben, die gerettet wurden und deren Kinder nicht als Waisen zurückblieben. Besonders wichtig ist die Therapie für werdende, HIV-infizierte Mütter: Dank den Medikamenten kann die Übertragung auf das ungeborene Kind verhindert werden. Inzwischen konnte das Rote Kreuz seine Tätigkeit auf weitere zwei Kliniken in Silele und Mahwalale ausweiten.

Investition in die Heimpflege

Mit der Pflege zu Hause und der Unterstützung der Kranken im Bereich der Ernährung trägt das SRK viel zum Wohl der Betroffenen und ihrer Angehörigen bei. So besuchen in Swasiland Freiwillige des Roten Kreuzes Aidskranke, um sie im täglichen Leben zu unterstützen und zu pflegen. Für viele Kranke bildet die Hauspflege den einzigen Kontakt zur Aussenwelt und ist für ihre Angehörigen eine grosse Entlastung. Im Endstadium der Krankheit bedeutet die Heimpflege auch eine Sterbebegleitung. Der Einbezug des familiären Umfeldes ist auch deshalb wichtig, weil dadurch der Isolation der Patienten und der Stigmatisierung der Krankheit Aids entgegengewirkt werden kann.

Auch die Kinder von aidskranken Eltern schliesst das Rote Kreuz in seine Arbeit ein. Es gibt Nahrungsmittel für die ganze Familie ab und übernimmt die Schulgebühren von Aidswaisen. Diese schreiben ein besonders trauriges Kapitel: Rund 70'000 Kinder haben bereits ihre Eltern verloren. Wer keine nahen Verwandten mehr hat, fristet auf der Strasse ein würdeloses Dasein. Oftmals springen die Grossmütter ein und übernehmen in aller Stille und ohne Hilfe die Verantwortung für die heranwachsende Generation.

Prostitution für einen Liter Öl

Eine weiteres tragisches Schicksal betrifft die Frauen: Sie sind wesentlich häufiger mit dem Virus infiziert als die Männer. Die Verletzlichkeit der Frauen in dem stark patriarchalisch geprägten Land ist gross. Ihre gesellschaftlich schwache Stellung macht sie finanziell abhängig von ihrem Mann. Der Missbrauch in Form von Unterdrückung und Ausbeutung ist häufig. „Manchmal prostituieren sich Frauen für einen Liter Öl“, sagt Lilly Pulver. Der Weg in die Verelendung ist nicht weit. Und es entsteht ein Klima, in dem die Krankheit ungehindert grassieren kann.

Umso wichtiger ist die Präventionsarbeit an breiter Front, insbesondere bei der jungen Generation. Dabei setzt das SRK auch auf innovative Ideen: Clowns informieren auf spielerische Weise in Form von Mimik und Schauspiel über die Krankheit und ermutigen alle, sich testen zu lassen. „Jugendliche wollen eine Perspektive für die Zukunft“, so Lilly Pulver. Im Engagement für sie schöpfen Lilly Pulver und ihr Team die grosse Kraft, die sie für ihre Arbeit brauchen: „Wir wollen Jugendliche fördern und aufbauen. Jede Förderung eines Individuums ist für uns ein Beitrag an das Gesundheitssystem im Land.“ Und sie fügt an: „Welche Alternative haben wir? Nur wer vorwärts geht, kann überleben.“

*Annette Godinez arbeitet als Redaktorin beim Schweizerischen Roten Kreuz, Internationale Zusammenarbeit. Kontakt: annette.godinez@redcross.ch