Das 3 C – Model

Wie das Universitäts-Kinderspital beider Basel asylsuchende Kinder betreut

Von Julia Brandenberger & Nicole Ritz

Mit über einer Milliarde Migrantinnen weltweit ist die Migrationsmedizin integraler Bestandteil der öffentlichen Gesundheit [1]. Seit über 25 Jahren existiert die Kinderrechtskonvention der vereinten Nationen. Dem Recht auf Gleichbehandlung sowie jenem auf Wahrung des Kindeswohls kommen eine zentrale Bedeutung zu [2]. Doch wie sieht es in der täglichen Praxis aus? In den letzten 10 Jahren hat sich die Anzahl asylsuchender Kinder in Europa nahezu verzehnfacht [3]. 2017 und 2018 registrierte das Kinderspital Basel (UKBB) über 200.000 Besuche von Kindern aus 146 Nationen. Dies umfasst c.a.1000 Konsultationen von asylsuchenden Kindern pro Jahr, die als besonders vulnerable Patientengruppe gelten [4]. Das stellt Spitäler in Ankunftsländern vor zunehmende Herausforderungen, wenn sie den Prinzipien der Gleichbehandlung aller Patienten nachkommen möchten. Welche spezifischen Bedürfnisse haben asylsuchende junge Patienten? Wie können wir diese befriedigen?

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Wie das Universitäts-Kinderspital beider Basel asylsuchende Kinder betreut

Kinderspital Basel (UKBB). Foto: Kommunikationsabteilung UKBB

 

Hintergrund

Als Teil des Netzwerkes „Swiss Hospitals vor Equity“, arbeitet das Kinderspital seit einigen Jahren daran, die Betreuungsqualität für asylsuchende Kinder zu verbessern. In diesem Rahmen wurde ein Team „Migrationsmedizin“ 2016 von PD Dr. med. Nicole Ritz ins Leben gerufen, welches klinischen, sowie wissenschaftlichen Aufgaben nachkommt. Der klinische Bereich ist verantwortlich für die Betreuung von asylsuchenden Kindern bei komplexen Fällen. Von wissenschaftlicher Seite werden Forschungsprojekte im Bereich der Migrationsmedizin durchgeführt. Frau Dr. Julia Brandenberger hat hierzu ein einjähriges Forschungsstipendium durch die Botnar Stiftung erhalten. Auf der Basis der klinischen Erfahrungen sowie im Rahmen einer Literaturrecherche entwickelte sie das 3 C Model, das die Herausforderungen in der Migrationsmedizin im klinischen Alltag zusammenfasst [Brandenberger J TT, Sontag K et al. The 3 C Model – a systematic literature review].

Communication (Kommunikation), Continuity of Care (Kontinuität der medizinischen Betreuung) und Confidence (Vertrauen) sowie deren Zusammenspiel bilden die drei wichtigsten Herausforderungen der Migrationsmedizin.

 

 


Graphik: Das 3 C Model der Herausforderungen in der Migrationsmedizin

 

Kommunikation

Grundlage einer jeden Gesundheitsversorgung ist die Kommunikation zwischen Personal und Patient [Sandre AR, Newbold KB. (2016)]. Hierfür werden in der Migrationsmedizin Präsenz und Telefondolmetscher benötigt. Sowohl für die Patienten als auch für das medizinische Personal ist die Überwindung der Sprachbarriere der Schlüssel zu einer effizienten und Qualitativ hochwertigen Betreuung. Das Organisieren eines Dolmetschers durch das medizinische Personal kann ein vorrangiges Bedürfnis der Patienten befriedigen und hierdurch zudem den Vertrauensaufbau begünstigen.

Confidence

Vertrauen zwischen medizinischem Personal, Patienten und deren Familien ist für die Behandlung essentiell. In einer weiteren am UKBB durchgeführten qualitativen Studie zeigte sich, dass für die Zufriedenheit asylsuchender Eltern mit der Betreuung ihres Kindes das Vertrauen in das medizinische Personal die größte Bedeutung hatte [Brandenberger J, et al. (2019)]. Bei unterschiedlichem kulturellem Background ist der Aufbau einer Vertrauensbasis ungleich komplexer. Missverständnisse können schnell entstehen und die Behandlung negativ beeinflussen. Bei Patienten aus Kriegsgebieten erschweren potentielle vorangegangene Negativerfahrungen mit Gesundheitspersonal zusätzlich die Situation [Kaplan I, et al. (2016)].

Continuity of Care

Gerade bei komplexeren Krankengeschichten kann ein häufiger Wohnortwechsel und eine unzureichende Dokumentation der Befunde zu einer verminderten Qualität der Betreuung von asylsuchenden jungen Patienten führen [Pottie K, et al. (2014)]. Verspätete Konsultationen, verpasste Screening- und Vorsorgeuntersuchungen sowie unnötige Doppelungen von Untersuchungen sind die Folge.

 

Junger Patient im Wartezimmer. Foto: Kommunikationsabteilung UKBB

 

Das 3 C Modell bietet eine praktikable Übersicht über die Herausforderungen der Migrationsmedizin. Um dem Anspruch der WHO in den „Sustainable Development Goals“ nachzukommen, ”niemanden [in der Gesundheitsversorgung] zurückzulassen” [WHO. 2017], benötigen Kinderärzte und Spitäler Ressourcen und Strategien, wie sie diesen drei Herausforderungen erfolgreich begegnen können, um allen Patienten eine qualitativ hochwertige Behandlung zu ermöglichen.

 

References

1. Abubakar I, Aldridge RW, Devakumar D, et al. The UCL-Lancet Commission on Migration and Health: the health of a world on the move. Lancet (London, England) 2018;392(10164):2606-54 doi: 10.1016/s0140-6736(18)32114-7[published Online First: Epub Date]|. https://www.thelancet.com/commissions/migration-health

2. UNICEF. Das Übereinkommen über die Rechte des Kindes Secondary Das Übereinkommen über die Rechte des Kindes 2016. https://www.unicef.ch/sites/default/files/attachements/unicef_fs_die-kinderrechtskonvention_2016.pdf.

3. UNICEF. A child is a child. Secondary A child is a child  2017. https://www.unicef.org/publications/files/UNICEF_A_child_is_a_child_May_2017_EN.pdf.

4. Brandenberger J PC, Vogt F,  et al. Health care provided to asylum-seeking and non-asylum-seeking paediatric patients at a Swiss tertiary hospital. International Journal for Public Health, 2019, under review.

5. Brandenberger J TT, Sontag K et al. The 3 C Model – a systematic literature review of challenges in health care delivery to migrants and refugees in high income settings. Currently under review 2019

6. Sandre AR, Newbold KB. Telemedicine: Bridging the Gap between Refugee Health and Health Services Accessibility in Hamilton, Ontario. Refuge 2016;32(3):108-18 https://refuge.journals.yorku.ca/index.php/refuge/article/view/40396/36425

7. Brandenberger J, Sontag K, Duchene-Lacroix C, et al. Perspective of asylum-seeking caregivers on the quality of care provided by a Swiss paediatric hospital: a qualitative study. 2019;9(9):e029385 doi: 10.1136/bmjopen-2019-029385[published Online First: Epub Date]|. https://www.researchgate.net/publication/335785468_Perspective_of_asylum-seeking_caregivers_on_the_quality_of_care_provided_by_a_Swiss_paediatric_hospital_a_qualitative_study

8. Kaplan I, Stow HD, Szwarc J. Responding to the Challenges of Providing Mental Health Services to Refugees: An Australian Case Report. Journal of Health Care for the Poor and Underserved 2016;27(3):1159-70 https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/27524758

9. Pottie K, Batista R, Mayhew M, et al. Improving delivery of primary care for vulnerable migrants: Delphi consensus to prioritize innovative practice strategies. Canadian family physician Medecin de famille canadien 2014;60(1):e32-40 https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/24452576

10. WHO. Sustainable Development Goals. Secondary Sustainable Development Goals  2017. https://sustainabledevelopment.un.org/?menu=1300.

Julia Brandenberger & Nicole Ritz
Dr. med Julia Brandenberger: MIH, PhD Kandidatin pädiatrische Migrationsmedizin Universitäts- Kinderspital beider Basel (UKBB). Frau Brandenberger hat ihre Ausbildung zur Kinderärztin am UKBB und ein Master in Internationaler Gesundheit (MIH) am Swiss TPH abgeschlossen. Neben Einsätzen für Ärzte ohne Grenzen macht sie ein PhD im Bereich der pädiatrischen Migrationsmedizin. Klinisch arbeitet sie aktuell in der Kindernotfallabteilung in Bern.
PD Dr. med Nicole Ritz: Leiterin pädiatrische Migrationsmedizin Universitäts- Kinderspital beider Basel (UKBB)