Chronische Krankheiten in Entwicklungs- und Schwellenländern

Wohlstandskrankheiten ohne Wohlstand

Von Giovanna Bocaccio

Herz-Kreislauferkrankungen, Diabetes, Krebs: In den Entwicklungsländern breiten sich chronische Krankheiten aus, verstärken die Armut und belasten die Gesundheitsversorgung. Fachleute debattieren diese Herausforderung am 8. Symposium der schweizerischen Gesundheitszusammenarbeit.

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Die rund hundert Teilnehmer aus verschiedenen Fachbereichen kamen mit unterschiedlichen Erwartungen an diesem Tag zusammen. Absolventinnen aus dem Tropenkurs des Schweizer Tropeninstituts, wie Franziska Wagner, kamen aus ‚akademischer Neugier‘ zum Symposium. Eine andere Teilnehmerin, Daniela Straub arbeitet mit psychiatrischen Krankheiten und wollte mehr über die Möglichkeiten Erfahren in diesem Gebiet der chronischen Krankheiten international mitzuwirken. David Schwitter, Mitarbeiter von World Vision wusste schon vieles über chronische Krankheiten in der schweizerischen Gesellschaft, wollte aber gerne mehr über diese in Ländern des Südens erfahren: Wie kann man dort wirken? Welche sind mögliche präventive Massnahmen? Wie kann man Informationen verbreiten? Dies waren einige seiner Fragestellungen vor dem Symposium. Die Studentin Chantal Lämmler wollte mehr über Public Health Systeme in Entwicklungsländern erfahren. Bei solch breitgefächerten Interessen, suchten die Teilnehmer vor allem nach Möglichkeiten, neue Informationen zu erwerben und Erfahrungen auszutauschen.

Der Direktor der Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit, Martin Dahinden eröffnete das Symposium mit einer Rede zum Thema „Ist Globalisierung ansteckend?“. Er wies auf die wachsende Bedeutung chronischer oder nichtübertragbarer Krankheiten für die Gesundheitszusammenarbeit der DEZA hin. Dahinden schilderte die Prioritäten der DEZA und beruhigte die Teilnehmer, indem er allen versicherte, dass, auch nach der grossen Reorganisation der Direktion, die Gesundheitszusammenarbeit noch einen grossen Stellenwert besitzt: „Die Verbesserung der Gesundheit der Menschen in Entwicklungs- und Schwellenländern hat für die Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit, DEZA, höchste Priorität. Daran ändert sich auch durch die Reorganisation, der wir uns kürzlich unterzogen haben, nichts – im Gegenteil. Fast 10 Prozent unseres gesamten Budgets wenden wir für diesen Bereich auf.“

Wichtig waren auch die Bezüge zu den strukturellen Faktoren, wie das Welthandelssystem, die Globalisierung, den Klimawandel und die Migration, die zur Verbreitung von chronischen Krankheiten beitragen. Besonders paradigmatisch für diese Diskussion ist die Suche nach Verantwortlichen – chronische Krankheiten werden oft als Ergebnis von individuellen Fehlern oder schlechten Gewohnheiten einzelner Menschen gesehen. Das vereinbart sich nicht mit dem aktuellen Wachstum dieser Krankheiten in Gebieten, wo Armut und Not stark verbreitet ist. Die DEZA sieht Regierungen, Konzerne und die internationale Gesellschaften als mitverantwortliche Parteien in dieser Problematik, und fordert die Kooperation zwischen staatlichen und nichtstaatlichen Organisationen in der internationalen Gesundheitszusammenarbeit, um diesem Problem entgegenzuwirken.

Globale Herausforderungen

Die Zeit, sich mit der Problematik chronischer Krankheiten in Entwicklungs- und Schwellenländern zu befassen, ist jetzt, meint Janet Voûte, die das Ausmass der Herausforderungen basierend auf dem ‚Action Plan for the Global Strategy for the Prevention and control of Noncommunicable Diseases‘ der WHO schilderte. Unterstützt von vielen konkreten Zahlen und Fakten hat Janet Voûte die beunruhigende Schlussfolgerung präsentiert, dass die am meisten von chronischen Krankheiten Betroffenen die ärmsten Personen der ärmsten Länder sind. Zentral im Kampf gegen die nichtübertragbaren Krankheiten ist die Stärkung von Partnerschaften, etwa durch die Nutzung des durch die WHO initiierten NCDnet.

Ruth Bell hat in ihrem Vortrag die Social Determinants of Health präsentiert, und widerlegte dabei den Mythos, das chronische Krankheiten nur ‚reiche‘ Länder befallen. Anhand von Studien zeigte sie, dass es keine biologischen Gründe für unterschiedliche gesundheitliche Wirkungen gibt, also müssten Ungerechtigkeiten beim Zugang zur Gesundheitsversorgung dafür verantwortlich gemacht werden.

Daran anschliessend hat sich Marc Suhrcke mit der Frage befasst, ob Regierungen in die Prävention von chronischen Krankheiten in Entwicklungsländern investieren sollen. Interessant waren hierbei vor allem die ökonomischen Argumente, die präsentiert wurden, die eine Menge Material für die Advocacy Arbeit liefern.

Erfahrungen aus dem Kampf gegen chronische Krankheiten

Weiter ging es mit der Erfahrung von Handicap International im Kampf gegen Diabetes. Pauline Guimet hat wichtige Erkenntnisse aus der Arbeit in den Philippinen, Nicaragua und den subsaharischen Ländern Afrikas präsentiert. Besonders die Schwierigkeiten, präventive und therapeutische Massnahmen an die Besonderheiten einzelner Gesellschaften anzupassen, standen hierbei im Vordergrund. Carole Buccella von der Groupe Volontaires Outre-Mer konnte in ihrer Präsentation viele der früher angesprochenen Themen aufgreifen und verbinden. Hervorgehoben wurden noch einmal die Verknüpfung zwischen Armut und Gesundheitsproblemen, sowie die Rolle von anderen Rahmenbedingungen – oder strukturellen Faktoren – im Ablauf von chronischen Krankheiten. Abschliessend hat Jochen Ehmer, von SolidarMed, die Erfahrungen aus der HIV/Aids Epidemie als gegenwärtige chronische Krankheit geschildert und den Teilnehmern des Symposiums ein wichtiges Anliegen vorgetragen: Die Dichotomie zwischen Noncommunicable and Communicable Diseases muss abgebaut werden. Die verschiedenen gesundheitlichen Herausforderungen dürfen nicht um Finanzierung und Aufmerksamkeit gegeneinander ausgespielt werden.

Chronische Krankheiten und die Gesundheitssysteme

Nach dem Mittagessen befassten sich drei parallele Diskussionen mit den Themen “Globale coalition building – political options to act”, “Social framework: How can NGO intervene?” und “National health systems in front of the new challenge”. Am meisten haben sich die Teilnehmer hierbei für die Interventionsmöglichkeiten von Nichtregierungsorganisationen und für die nationalen Gesundheitssysteme angesichts der neuen Herausforderungen interessiert. Bei der Gruppe – „globale Koalitionen erstellen – politische Möglichkeiten zur Wirkung“ wurden verschieden Themen angesprochen, wie beispielsweise die Rolle der WHO als Katalysator für die Aktionen von Staaten und Privatwirtschaft, und die Möglichkeiten für die Miteinbeziehung der Privatwirtschaft – private-public Partnerships – bei der Bekämpfung von chronischen Krankheiten. Nochmals wurde der Status der NCDs als Problem der öffentlichen Gesundheit und nicht als individuelle Angelegenheit einzelner Personen hervorgehoben. Gleichzeitig wurde auch die Bedeutung des ‚Empowering‘ von Personen in betroffenen Gesellschaften für den Vollzug von Massnahmen unterstrichen.

Auch während des letzten Teils des Symposiums wurden die erwähntes Schwerpunkte betont, dazu wurde auch ins besondere die Notwendigkeit auf existierende Strukturen des Primary Health Care aufzubauen und der Bedarf für mehr operationale Recherche und Beweise für die Optimierung der Strategien zur Bekämpfung von chronische Krankheiten angesprochen.

Stets während der Pausen haben die Teilnehmer weiter in freundlichem Ton diskutiert und Ideen ausgetauscht. Viele Sprachen waren an diesem Tag zu hören, aber diese stellten keine Barriere für die Kommunikation dar. Die Teilnehmer sind durch den Kontakt zu einander und den Referent-innen bereichert worden, und haben Zugang zu vielen interessanten Daten und Fakten gewonnen, sowie zu praktischen Möglichkeiten, ihre Wirkung in diesem herausfordernden Gebiet weiter zu steigern. Chronische Krankheiten und NCDs brauchen Aufmerksamkeit und sind verhinderbar, und wir, als Zivilgesellschaft, können durch unsere Arbeit vielem entgegen bewirken.

*Giovanna Bocaccio hat einen Bachelor in Internationalen Beziehungen und ist spezialisiert auf Konfliktanalyse und -bewältigung. Kontakt: giovanna.bocaccio@gmail.com