Von Charles Giroud
Ehrenamtliche Führung und die damit verbundene Schnittstelle zur hauptamtlichen Führung ist eine der wichtigsten Besonderheiten der Führung von Verbänden und Nonprofit-Organisationen (NPO) und die hauptsächlichste Verwerfungslinie im Nonprofit-Management. Dabei steht zumeist das Kompetenzgefälle im Mittelpunkt der Diskussionen und Schwierigkeiten, die sich aus der Zusammenarbeit der beiden genannten Ebenen ergeben.
Kann, darf, soll ehrenamtliche Arbeit in der Führung von Nonprofit-Oorganisationen eingesetzt werden? – Die Antwort lautet: Ja, selbstverständlich, aber effektiv, effizient und qualitätsorientiert! Es geht darum, zwischen Ehrenamt und Hauptamt eine für die jeweilige Organisation optimale und damit auch effektive und effiziente Form der Zusammenarbeit zu finden, die dem Ehrenamt ganz klar die Aufgabe der strategischen Führung und der Kontrolle vorbehält und dem Hauptamt Freiräume für Aktion und Reaktion im operativen Bereich gewährt. Die folgenden vier Bereiche bieten Aktionsfelder für die Realisierung konkreter Massnahmen:
Im nachfolgenden Text finden sich zehn konkret praxiserprobte Massnahmen, wie ehrenamtliche Führungsarbeit optimiert werden kann:
Es gibt im ehrenamtlichen Bereich bisher keine Amts-(Stellen-)Beschreibungen, wie dies im professionellen Bereich üblich ist. Für den Fall, dass Vorstände/Gremien nach dem Ressortprinzip arbeiten, bestehen in der Regel Ressortbezeichnungen. Verantwortungen werden dadurch zwar gemeinsam (im Kollektiv) getragen. Dies bedeutet aber oft auch, dass jeder/jede vom anderen/von der anderen erwartet, dass er/sie etwas tut. Diese Erwartungshaltung ist relativ diffus, meist unausgesprochen und stellt damit auch keine wirkliche Arbeitsgrundlage dar.
Es sind deshalb auch für ehrenamtliche Funktionen Stellenbeschreibungen zu erstellen. Diese sollten den gleichen inhaltlichen Kriterien folgen wie diejenigen für das Hauptamt. Konkret: Bezeichnung des Amtes; Stellvertretungsregelung; Benennung von Übergeordneten und nachgeordneten Gremiuen/Stellen; Benennung von Aufgaben, Kompetenzen und Verantwortungen. Mit einem solchen Instrumentarium würde auch eine gezielte Nachfolger/-innen-Rekrutierung unterstützt.
Wenn Nachfolgeplanung stattfindet, dann nur in jenen Verbänden/Vereinen und Nonprofit-Organisationen, die eine Amtszeitbeschränkung in ihren Statuten haben und dadurch gezwungen sind, innerhalb festgesetzter Zeithorizonte neue Ehrenamtsträger zu finden und zu wählen. Aber auch in diesen Organisationen ist die Nachfolgeplanung auf die zeitliche Dimension reduziert. Qualifikationen darf man für nicht bezahlte Arbeit nicht fordern...
In Organisationen ohne Amtszeitbeschränkung ist die Situation noch schwieriger, indem die Nachfolgeplanung in der Regel erst mit einer Rücktrittserklärung thematisiert wird. Diese kommen aber oft überraschend und eher kurzfristig.
Abgesehen von den oben geforderten Amts- oder Stellenbeschreibungen sollte für eine systematische Nachfolgeplanung eine Amtszeitbeschränkung eingeführt werden. Auch Rücktritts-Ankündigungsfristen wären festzulegen, damit die Rekrutierung von Nachfolger/-innen gezielt und unter Berücksichtigung der NPO-internen Abläufe systematisch und mit der nötigen Einbindung der Basis/Basisgruppen erfolgen kann.
Die Suche nach neuen Ehrenamtsträgern wird von den Zurücktretenden oft nach dem Motto "Kollegin/Kollege sucht Kollegin/Kollegen" betrieben. Dabei wird in der Regel der Weg des geringsten Widerstandes beschritten. Nicht Eignungen und Qualifikationen werden gesucht, sondern ein "Opfer" das bereit ist, sich für das Amt zur Verfügung zustellen, Eignung hin oder her. Der Höhepunkt solcher Anstrengungen gipfelt noch allzu oft im Aufruf "Freiwillige vor" anlässlich der Wahlversammlung.
Amts- respektive Stellenbeschreibungen und Nachfolgeplanung sind auch hier wichtige Voraussetzungen. Im Zusammenhang mit der eigentlichen Rekrutierung der Nachfolger/-innen wären aber folgende weiteren Instrumente hilfreich:
Ehrenamtler werden in der Regel durch Begrüssung und Aktenübergabe (wenn überhaupt) eingearbeitet. Im besten Fall hat der Neuling Fragen, die er/sie bei Gelegenheit an geeignete oder weniger geeignete Stellen/Personen richtet. Alles andere muss er/sie sich in mühsamer Arbeit selbst aneignen. Das erworbene Wissen nimmt er/sie nach dem Rücktritt wieder mit.
Die Amtsübergabe und Einarbeitung neuer Ehrenamtler sollte unbedingt formalisiert werden. Inhalte:
Ehrenamtler werden bei ihrem Rücktritt verdankt, beschenkt, geehrt. Einen Ausweis, der über die wahrgenommenen Funktionen informiert (wie bei einer bezahlten Stelle) und eventuell auch für die Übernahme weiterer Ehrenamtsfunktionen hilfreich sein könnte, wird nicht abgegeben. Mit anderen Worten, die Ehrenamtsfunktion war keine wichtige Etappe im beruflichen und persönlichen Werdegang einer Person.
Die Ausübung von Ämtern soll einerseits bestätigt werden (zeitlich, inhaltlich). Schön wäre, wenn wie in einem Zeugnis üblich, auch eine Qualifikation der Amtsausübung und des Engagements erfolgen würde. Erst dadurch können ehrenamtliche Funktionen überhaupt zu einem Ereignis im Lebenslauf werden, das sich auch für die betreffende Person langfristig "auszahlt".
Weniger oft als noch in früheren Jahren fehlen strategische Führungsgrundlagen. Dennoch gibt es in vielen NPO noch solche Defizite. Zwar sind immer öfter Leitbilder im Sinne von Führungsinstrumenten vorhanden, deren Umsetzung in Konzepte und eine mittelfristige Planung mit konkreteren und detaillierteren Aussagen fehlt dagegen noch sehr häufig. Dadurch besteht eine Planungslücke zwischen der strategischen Ebene und der in der Regel vorhandenen Jahresplanung.
Ein Fehlen solcher Grundlagen verleitet ehrenamtliche Gremien, sich zu sehr um Operatives und um Kleinigkeiten zu kümmern.
Ehrenamtliche Gremien müssen sich als strategische Führungsorgane verstehen. Dies bedeutet konkret:
Erstens: Es gibt zu viele Sitzungen von ehrenamtlichen Gremien, zu denen es keine oder keine geeigneten Sitzungsvorlagen gibt. Mitglieder dieser Gremien haben keine Chance, sich auf die Sitzung und auf die zu fällenden Entscheidungen vorzubereiten.
Zweitens: Es gibt zwar geeignete Sitzungsunterlagen, sie treffen aber zu spät ein (am Vorabend per Fax) oder werden zu spät geöffnet (zu Beginn der Sitzung).
Sitzungsunterlagen sind durch das Hauptamt in ehrenamtstauglicher Form zu allen wichtigen Traktanden vorzubereiten. Konkret heisst das:
Sitzungsunterlagen sind von den Mitgliedern der Gremien zu studieren, damit an der Sitzung selbst debattiert und beschlossen werden kann.
Sitzungen sind zu oft von Einwegkommunikation geprägt. Im übrigen hetzt man von Traktandum zu Traktandum, eine inhaltliche Diskussion ist kaum möglich. Das Führungsorgan verkommt zum Nickergremium. Die Folge davon ist Desinteresse, Demotivation und schliesslich auch Widerstand gegen das Hauptamt, die alles fixfertig vorbereitet haben (dies wird auch als vollkommene Stabsarbeit oder "completed staffwork" bezeichnet). Die Lösungen:
Ehrenamtliche Gremien, namentlich Vorstände sind gemäss Statuten der Mitglieder-/General-/Delegiertenversammlung Rechenschaft schuldig. Eine eigentliche Kontrolle ihrer Tätigkeit und ihrer Funktionsweise kann jedoch so nicht erfolgen. Eine andere Kontrolle gibt es nicht.
Verbände und NPO sollten vermehrt das Instrument der Geschäftsprüfungskommission einsetzen um auch auf der Ebene der ehrenamtlichen Gremien und namentlich der strategischen Führungsorgane (Vorstände) eine Kontrolle vornehmen zu können.
Es ist noch kein Gelehrter/keine Gelehrte vom Himmel gefallen. Führungserfahrung in Unternehmungen allein reicht nicht, weil NPO-Management komplexer ist als Unternehmensmanagement.
In regelmässigen Abständen Schulungsveranstaltungen in der eigenen Organisation durchführen. Dabei sowohl Mitglieder von Führungsgremien auf nationaler und regionaler Ebene sowie in Kommissionen zusammen schulen. Solche Veranstaltungen eignen sich erfahrungsgemäss auch, um Grundsatzfragen der eigenen Organisation zu diskutieren.
Abschliessend sei folgende Generalthese festgehalten, die im Zweifel weiter helfen kann: Egal ob Ehrenamt oder Hauptamt: Es gelten sinngemäss immer die gleichen Regeln. Oder, wie es der Alt-Bundesrat Ogi einmal träf ausgedrückt hat: "Entscheidend ist nicht die Anstellung, sondern die Einstellung."
*Dr. Charles Giroud, Partner und Geschäftsführer der B'VM (Berater- und Servicegruppe für Verbände und Nonprofit-Organisationen). Bern, Linz, Stuttgart. Der vorliegende Text fasst seine Inputs zu einem von Medicus Mundi Schweiz organisierten Workshop vom 24. April 2001 in zum Thema "Ehrenamtliche Führung in Organisationen der internationalen Zusammenarbeit" zusammen. Kontakt: www.bvm.ch