"Schicken Sie uns Leute, die uns gern haben"

Freiwillige vermitteln zwischen Nord und Süd

Von Luc Bigler

In den letzten 50 Jahren haben Tausende freiwilliger Fachleute während mehrjährigen Aufenthalten in Asien, Ozeanien, Afrika und Lateinamerika über persönliche Kontakte echte Solidarität bewiesen. Sie engagieren sich hier für eine offenere, mit unterprivilegierten Menschen solidarische Schweiz. Zurzeit arbeiten rund 800 freiwillige Fachleute kirchlicher und anderer schweizerischer Entwicklungsorganisationen in den Ländern des Südens.

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Wie eine breite Studie der deutschen Arbeitsgemeinschaft für Entwicklungshilfe AGEH zeigt, erwartet der Süden für den Aufbau seiner Zivilgesellschaften neben Finanzen heute hoch qualifizierte Männer und Frauen. Unsere Partner verlangen von den Schweizer Fachleuten pädagogische Kompetenzen, damit sie ihre Kenntnisse teilen und vermitteln können; methodische Kompetenzen, um Programme zielorientiert durchführen und evaluieren zu können, sowie soziale Kompetenz: Die Freiwilligen sollen teamfähig sein, sollen Gruppen zu motivieren und mit einem kritischen und vor allem selbstkritischen Geist zu führen wissen. Sie sollen diese Rollen ohne Arroganz wahrnehmen, ja mit Bescheidenheit. Dazu brauchen sie eine ausgesprochene Sensibilität und ein Verständnis für die Kultur des Landes respektive der Einsatzregion.

Ich kann mich sehr gut an einen lokalen Partner erinnern, der uns herausforderte: "Schicken Sie uns Leute, die uns nicht nur respektieren, sondern die uns gern haben." Damit hat dieser Partner – in einem breiten Sinn – gelebte Spiritualität angesprochen. Unsere grosse Herausforderung besteht darin, freiwillige Fachleute zu finden, die bereit und fähig sind, unterprivilegierte Randgruppen ohne Stimme zu ermächtigen, sich zu engagieren für die Veränderung von Machtstrukturen, die das Leben bedrohen. Die Freiwilligen sind eine Brücke zwischen verschiedenen Kulturen, zwischen armen und reichen Gesellschaften respektive Gesellschaftsschichten, zwischen Nord und Süd. Letztlich schlägt immer der Mensch diese Brücke, nicht Kapitalflüsse oder Technologie.

Laienhelfer - Entwicklungshelfer - freiwillige Fachleute - Experten

Ein Einsatz im Freiwilligenstatus heisst heute in Bezug auf die finanzielle Situation: Die Fachleute beziehen ein Salär und Sozialleistungen. Diese entsprechen aber nicht der schweizerischen Marktsituation, sondern sind abhängig vom Lebensbedarf der Fachleute und ihrer Familie im jeweiligen Einsatzland. Nicht Ausbildung, Erfahrung, Knappheit der Fähigkeiten am Arbeitsmarkt respektive der Nutzen für eine Firma bestimmen den Lohn, sondern der Bedarf für einen einfachen Lebensstil an Ort und eine vertretbare soziale Absicherung in der Schweiz. Die Kosten für die Vorbereitung auf den Einsatz inklusive Sprachkurse sowie die Hin- und Rückreise werden von der Entsendeorganisation übernommen. Wir erwarten aber, dass die Fachkräfte die Geldmittelbeschaffung für die Lebenskosten aktiv unterstützen, etwa mit spannenden Berichten über ihre Arbeit in den Medien oder im Freundeskreis.

Die meisten Entsendeorganisationen sind kirchlichen Ursprungs. In den Fünfziger und Sechzigerjahren standen für Freiwillige ausführende Funktionen in den traditionellen Tätigkeitsgebieten der Missionen im Vordergrund: Krankenschwestern, Lehrkräfte, Handwerker, Katechetinnen und Katecheten. Der typische Helfer war ledig, zwischen 20 und 26 Jahre alt, eingebettet in ein Projekt einer Missionsstation und häufig religiös motiviert. Inzwischen hat ein starker Wandel stattgefunden. Für die nicht ausschliesslich missionarisch tätigen Organisationen sind heute die Mehrheit der Partner im Süden Nichtregierungsorganisationen oder Basisgruppen – teils kirchlich verwurzelt – sowie Gemeinwesen oder staatliche Institutionen. Die typische Freiwillige verfügt heute über eine oder mehrere Fachausbildungen und längere Berufs- und eventuell Auslanderfahrung. Ihre Rolle ist die einer Begleiterin, Ausbildnerin. Beratung, Motivation stehen im Vordergrund. Sie ist im Durchschnitt 39-jährig und reist mit einer Familie aus. Das religiöse Motiv hat eine untergeordnete Bedeutung für die Ausreise.

Das Umfeld hat sich gewandelt

Unsere Partner im Süden spielen eine aktive, oft entscheidende Rolle im Friedensprozess, im Aufbau sozialer Institutionen und funktionierender Gemeinschaften, in der Verteidigung der Menschenrechte. Manchmal tun sie dies in einem gefährlichen, instabilen und komplexen Umfeld. Dies prägt den Einsatz von Schweizer Personal und die Entsendeorganisation stark. Die Freiwilligen werden zu Vermittlern, zu einer Art Botschafterinnen der schweizerischen Zivilgesellschaft im Gastland und speziell bei den marginalisierten Bevölkerungsgruppen des Südens. Diese Aufgabe kann nur von Personen wahrgenommen werden, die über eine längere Zeitperiode das Leben mit den Randgruppen geteilt haben. So können solide partnerschaftliche Beziehungen und Vertrauen wachsen. Dies vermindert die Gefahr eines paternalistischen Verhaltens als Halbgott-Experten.

Die zurückgekehrten Freiwilligen prägen mit ihrer einschneidenen Einsatzerfahrung von mindestens drei, oft aber fünf und mehr Jahren die Konzepte und Zielsetzungen der Entsendeorganisation durch ihre Einbindung in den ehrenamtliche Vorständen oder als Mitarbeitende an den Zentralen. Viele Freiwillige haben sich mit dem Einsatz Kompetenzen als Entwicklungsspezialisten erworben, die heute meines Erachtens von offizieller Seite ungenügend anerkannt und genutzt werden. Rückkehrende Freiwillige bringen ein wertvolles Erfahrungspotential mit für öffentliche Kampagnen, Aktionen in den Medien und andere Aktivitäten zugunsten der Länder des Südens. In einer Schweiz, in der Solidarität an Bedeutung verliert, setzen rückkehrende Freiwillige einen Kontrapunkt zu einer Gesellschaft, die zunehmend von Geld und individuellem Gewinn geprägt ist.

Ich bin davon überzeugt: Die Zivilgesellschaft unseres Landes, die Schweizerinnen und Schweizer haben das Recht und die Verpflichtung sicherzustellen, dass unsere Botschafter der Solidarität, unsere Freiwilligen, weiterhin in den Ländern des Südens präsent sind. Der Einsatz von Menschen wird auch in Zukunft letztlich die entscheidenden Beiträge zur Entwicklungszusammenarbeit leisten. In der Realität einer Globalisierung, wo die Schweizer Wirtschaft ihre Vertreter in alle Winkel der Welt schickt, um ihre monetären Interessen zu vertreten, ist die Frage angebracht: Darf das Bild der Schweiz in der Welt und speziell im Süden allein von ihnen geprägt werden, oder braucht es dazu einen Kontrapunkt?

Frei–willig: eine attraktive Perspektive für eigenständige Menschen!

"Frei-willig" könnte heissen: frei oder freier als andere von allen möglichen Zwängen, dem Zwang viel und jedes Jahr mehr zu verdienen, dem Zwang Karriere zu machen, dem Zwang, immer mehr und Unnötiges, Schädliches zu konsumieren, dem Zwang, immer mehr Bereiche meines Lebens der Logik des sogenannten (globalen) Marktes zu unterwerfen; frei vom Zwang, zu scheinen und zu sein wie die Mehrheit; frei für den persönlichen Einsatz für Gemeinschaften, für unterprivilegierte Menschen. Und "willig"? Den Willen und die Stärke aufbringen, diese "Freiheiten" nicht nur zu denken, sondern im eigenen Leben umzusetzen, auch dann, wenn es mühsam, vielleicht manchmal sogar etwas schmerzhaft ist, gegen den Strom zu schwimmen…

*Luc Bigler ist Präsident des Schweizerischen Verbandes für personelle Entwicklungszusammenarbeit Unité. Als Entwicklungsökonom arbeitete Luc Bigler während 7 Jahren in Programmen der Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit in Nepal und Bangladesh. 1981 übernahm er Aufgaben bei Interteam, der grössten Entsendeorganisation der deutschsprachigen Schweiz. Seit 1991 ist er ihr Geschäftsleiter.