Editorial

Gesundheit im Umbruch

Von Manfred Zahorka

Lesezeit 2 min.

Für viele Menschen in den Ländern der ehemaligen Sowjetunion und des Balkans hatten und haben die politischen und ökonomischen Restrukturierungen der letzten 15 Jahre dramatische Auswirkungen auf ihre individuelle Lebenssituation. Die neuen Republiken, welche aus der Neustrukturierung der Region hervorgegangen sind, erleben eine bisher nicht gekannte ökonomische Krise mit wirtschaftlicher Unsicherheit, Massenarbeitslosigkeit und Armut. Der öffentliche Sektor ist durch Budgetkürzungen geschwächt. Fehlende oder ungenügende gesetzliche Rahmenbedingungen sowie weit verbreitete Korruption schaffen ein unsicheres Investitionsklima für den privaten Produktions- und Dienstleistungssektor, so dass mit einer zügigen Übernahme der von der öffentlichen Hand vernachlässigten Aufgaben durch private Investoren nicht zu rechnen ist.

Die dramatischen Vorgänge haben erhebliche Auswirkungen auf die Gesundheitssituation, auf die Gesundheitsversorgung sowie auf das individuelle Risikoverhalten der Menschen. Frustration durch Arbeitslosigkeit und Mangel an Lebensperspektiven führen bei vielen jüngeren Menschen zu Drogenkonsum, Alkoholismus und riskantem Sexualverhalten mit einer Zunahme von sexuell übertragbaren Erkrankungen und HIV/Aids. Unterfinanzierte öffentliche Gesundheitssysteme werden ihren Aufgaben nicht gerecht mit den Folgen zunehmender Zahlen von Tuberkuloseerkrankungen und weiterhin hoher Mütter- und Neugeborenensterblichkeit. In vielen Regionen ist die Zahl nicht normal verlaufender Schwangerschaften erschreckend hoch. Der Verfall öffentlicher Gesundheitsstrukturen bei fehlenden finanziellen Möglichkeiten für die Nutzung der sich entwickelnden privaten Angebote schliesst viele alte Menschen von einer adäquaten Gesundheitsversorgung aus.

Auch die sozialen Netzwerke sind dramatischen Veränderungen unterworfen. Für viele Menschen sind ihr gesamtes soziales Regelwerk und die gesellschaftlich anerkannten Normen zusammengestürzt. Neue soziale Rahmenbedingungen entwickeln sich nur langsam, und viele finden sich in der veränderten Situation nicht zurecht. Wie so häufig sind es Kinder, Jugendliche, alte und psychische kranke Menschen, die marginalisiert sind und am ehesten durch die grösser werdenden Maschen der sozialen Netzwerke hindurch fallen.

Der Übergang von planwirtschaftlichen Methoden zu Organisationsstrukturen der sozialen Marktwirtschaft ist nicht einfach. Kulturelle Unterschiede zwischen den bisherigen Systemen und den Reformvisionen, vor allem aber auch in der Zusammenarbeit innerhalb und zwischen Organisationen erschweren häufig schnelle Entwicklungen. Überkommende Machtstrukturen, staatliche Zentralisierung und die nur langsame Veränderung traditioneller Unternehmenskulturen erschweren individuelle Initiativen. Die für den rationellen Einsatz von vorhandenen und häufig unzureichenden Mitteln notwendige Informationstransparenz und Zusammenarbeit entspricht nicht unbedingt bisherigen Organisationskulturen.

Die meisten Länder in der Region haben die Notwendigkeit von tief greifenden Reformen nicht nur im Gesundheitssektor erkannt, und in vielen existieren bereits mehrjährige Erfahrungen in diesem Bereich. Schweizerische und internationale Institutionen leisten dazu ihren Beitrag. Partnerschaftliche Hilfe reicht von Spitalpartnerschaften über die Projekte von Nichtregierungsorganisationen bis zu zwischenstaatlicher Entwicklungszusammenarbeit und multilateraler Hilfe. Ein breites Spektrum, und eine hoffentlich interessante Lektüre in dieser Bulletinausgabe.

Manfred Zahorka, Dr. med, MPH
Schweizerisches Tropeninstitut
Zentrum für Internationale Gesundheit, Basel