Sri Lanka: ein auf Medikamentenfragen spezialisiertes Hilfswerk auf der Suche nach einem sinnvollen Einsatz

An Medikamenten mangelte es nicht, aber…

Von Andrea Isenegger

Am 31. Dezember 2004 reiste ich für Pharmaciens sans Frontières (PSF) Schweiz nach Sri Lanka, wo ich am Notfalleinsatz mit Mitgliedern von PSF Deutschland teilnahm. Zuerst flog ich an die Nordküste von Sri Lanka, wo wir ein erstes Team, welches in den Flüchtlingslagern tätig war, ersetzten. Im Zentrum des anschliessenden Koordinationseinsatzes in Colombo und an der Ostküste bei Kalmunai standen die Überwindung des Medikamentenmangels, die Neustrukturierung der Medikamentenverteilung mit den lokalen Behörden vor Ort sowie die Einhaltung der Richtlinien der Weltgesundheitsorganisation (WHO) betreffend Medikamenten – Themen dieses Berichts.

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Wir wissen aus Erfahrung, dass in Notsituationen Tonnen von Medikamenten in die betroffenen Gebiete geschickt werden. Der Grossteil dieser Medikamente ist jedoch nicht geeignet und in den betroffenen Ländern oft unbekannt, was eine Gefahr für die öffentliche Gesundheit bedeutet. Chaotische Sammlungen von Medikamenten gab es leider auch im Rahmen der Tsunami-Nothilfe in Hülle und Fülle. Die ersten paar Tage wurden Tonnen von Altmedikamenten unkontrolliert nach Sri Lanka importiert. Die Behörden kannten keine Registrierung und Verzollung. Die unhaltbare Situation führte schliesslich dazu, dass der Gesundheitsminister Ende der ersten Januarwoche 2005 alle Importe von Medikamenten stoppte, was er aber nach einigen Tagen aufgrund von Interventionen verschiedener nationaler wie auch internationaler Spezialisten wieder rückgängig machte.

Im Allgemeinen ist es sinnvoller, die lokale Pharmaindustrie zu unterstützen, indem die Medikamente vor Ort gekauft werden. Sowohl Indien als auch Thailand sind grosse Arzneimittelhersteller, und vor allem werden die notwendigen Medikamente (Generika) für die humanitäre Hilfe dort hergestellt. Wie unlogisch ist es somit, Medikamente aus Europa oder den Vereinigten Staaten einzuführen! Aber natürlich ist es sehr effizient, in den ersten paar Wochen mit den WHO Emergency Kits** zu arbeiten, was auch Pharmaciens sans Frontières tat und die Notfallkits mit dem notwendigen Material für die ersten zwei Monate umgehend nach Sri Lanka lieferte. Die grosse Arbeit vor Ort bestand darin, die weitergehenden Bedürfnisse abzuklären und die wichtigen Kontakte mit den Gesundheitsinstitutionen herzustellen.

Mit 1500 kg Medikamenten unterwegs

Nach einem zweiwöchigen Einsatz in den Flüchtlingslagern im Norden des Landes erwarteten mich im zweiten Teil meiner Mission zwei Hauptaufgaben: Die erste war die Organisation eines Transportes von der Hauptstadt Colombo an die Ostküste. Die Ware bestand aus beinahe 1500 kg Medikamenten, welche von PSF Deutschland geliefert wurden. Meine zweite Aufgabe bestand darin, in diesem Gebiet eine Evaluation für ein neues Projekt von Pharmaciens sans Frontières durchzuführen. Die ganze Zeit wurde ich von einer Apothekerin von PSF Deutschland begleitet und unterstützt.

1500 kg essentielle Medikamenten durch den Zoll von Colombo zu schleusen, war eher ein Albtraum. Zwar war eine spezielle Abteilung des Gesundheitsministeriums am Flughafen gebildet worden, um die verschiedenen Arzneipräparate sorgfältig zu registrieren. Aber die Bürokratie war so uneffizient und kompliziert, dass wir einen ganzen Tag brauchten, um die ganze Fracht zu verzollen. Nach beinahe acht Stunden Ausfüllen von verschiedenen Formularen, Einholen von Stempeln und Unterschriften und natürlich Warten in endlosen Schlangen, hiess es, dass PSF etwa 1000 Euro Taxen bezahlen sollte. Nun kam die Fähigkeit des Verhandelns zum Zuge, was auch noch beinahe eine Stunde dauerte. Endlich, am späten Abend, wurde die ganze Fracht in einen Lastwagen verladen, und die Reise in Richtung Osten konnte beginnen. Normalerweise ist es eine wunderschöne Fahrt durch Hügellandschaften und Teeplantagen, die etwa 15 Stunden dauern sollte. Aber es regnete auf der ganzen Fahrt, und wir mussten mit unserem mit Medikamenten gefüllten Lastwagen mitten in den Bergen auf einer Höhe von etwa 1000 Metern über Meer einen Stopp in einem Kinderheim einschalten. Der Regen hatte die kleinen schmalen Strassen in eine extrem gefährliche Route verwandelt, wo es vor allem in der Nacht zu sehr vielen Unfällen kam.

Zwei Tage später, endlich in Kalmunai an der Ostküste angekommen, wurden wir sehr überrascht. Das Ashraff Memorial Hospital, die Lieferadresse für die Medikamente, stand immer noch am selben Platz und war nicht mal sehr von der Flut in Mitleidenschaft gezogen worden. Dafür befanden sich Tonnen von Medikamenten von verschiedenen NGOs vor dem Krankenhaus, nicht geschützt, jeden Tag der Sonne und dem Regen ausgesetzt. Wir fragten uns, ob sich die ganze Arbeit der Verzollung und des Transportes von Colombo bis Kalmunai überhaupt gelohnt hatte.

Das regionale Medikamentenlagerhaus wieder aufbauen

Unsere Evaluation der vordringlichsten Bedürfnisse konzentrierte sich auf das Ashraff Memorial Hospital in Kalmunai, das bedeutendste Krankenhaus im Distrikt Ampara. Als Basiskrankenhaus ist es direkt dem Gesundheitsministerium unterstellt. Für die Krankenhausapotheke bedeutet das, dass die Medikamente durch das Gesundheitsministerium bereitgestellt wurden, vom Krankenhaus aber im regionalen Medikamentenlagerhaus abgeholt werden mussten. Das war ein grosses Problem, da praktisch alle Lastwagen von NGOs, die in der Gegend arbeiteten, gemietet wurden. Doch herrschte keine akute Unterversorgung im Ashraff Memorial Hospital.

Das regionale Medikamentenlagerhaus im Bezirk Ampara war bis zur Tsunami-Katastrophe in einem Lagerhaus in der Nähe des Strandes untergebracht. Durch die Wellen wurde es vollständig zerstört, und die gelagerten Medikamente gingen verloren. Der Verantwortliche des Lagerhauses entschied sich ziemlich schnell dazu, alle noch zu rettenden Medikamente im Ashraff Memorial Hospital zu lagern.

Somit waren im Krankenhaus zwei getrennt laufende Arzneimittellager untergebracht. Das Lager verteilte sich über verschiedene Orte und erstreckte sich in Abteilungen, die für die Versorgung der Patienten gedacht waren. Unter diesen Voraussetzungen konnte weder eine vernünftige Versorgung der Patienten im Krankenhaus noch eine ordnungsgemässe Verteilung der Medikamente des regionalen Medikamentenlagerhauses in die untergeordneten Distriktspitäler und Dispensarien gewährleistet werden.

Für uns stand zu diesem Zeitpunkt schon fest, dass der Neubau des regionalen Medikamentenlagerhauses erste Priorität hatte. Es war nur noch die Frage, in welcher Form es als Projekt für Pharmaciens sans Frontières in Frage kam. Wir diskutierten mit dem Distriktverantwortlichen des Gesundheitsministeriums. Er hatte eine Prioritätenliste erstellt, auf der alle Wiederaufbauprojekte entsprechend ihrer Dringlichkeit aufgeführt wurden. Zuoberst war das Lagerhaus zu finden. Die komplette Liste hatte er dem Ministerium vorgelegt in der Hoffnung, über verschiedene NGOs Geldgeber für die Projekte zu finden. Die Idee, das Lagerhaus mit den pharmazeutischen Kenntnissen von PSF einzurichten und das Personal in der Lagerbeschaffung (Stock Management) und eventuell dem sinnvollen Gebrauch von Medikamenten (Rational Drug Use) zu schulen, fand er sehr gut. Auch hatte er bis zu diesem Zeitpunkt von keiner NGO eine Anfrage bezüglich des Aufbauens eines Lagerhauses bekommen.

Die „Konkurrenz“ bietet 2.5 Millionen Dollar…

Im Gesundheitsministerium in der Hauptstadt wurde mittlerweile eine neue Stelle eingerichtet. Hier wurden die zu vergebenden Projekte aufgelistet, und die NGOs konnten sich hier für ein Projekt bewerben. Der Gesundheitsminister musste über die Projektvergabe entscheiden. Nach ein paar Tagen Feldbesuch kaum in der Hauptstadt zurück, begaben wir uns deshalb zum Gesundheitsministerium. Dort präsentierten wir unsere Idee und wurden sofort in die NGO-Liste aufgenommen. Die Kosten für das Grundstück wurden von der Regierung übernommen. Das Projekt kostete gemäss dem Gesundheitsministerium um die 750’000 EURO. Ein paar Stunden später teilte uns der Assistent des Gesundheitsministers mit, dass sich mittlerweile auch eine UNO-Organisation für unser Projekt gemeldet habe und zwar mit einer Summe von 2.5 Millionen US-Dollar. Dieses Konkurrenzangebot nahm PSF mit grossem Bedauern zu Kenntnis: wir waren hier nicht mehr gefragt.

Das Gesundheitsministerium bot uns an, die Verbesserung der Einrichtung der Krankenhausapotheke des Ashraff Memorial Hospitals zu übernehmen, mit der veranschlagten Summe von circa 500’000 Euro. Wir sagten zu, da in diesem Alternativ-Projekt ebenfalls Schulungen möglich sind, eventuell in Zusammenarbeit mit dem Personal des regionalen Medikamentenlagerhauses, und da wir uns erhofften, auf diesem Umweg dennoch eine langfristige nachhaltige Zusammenarbeit auf medizinisch-pharmazeutischem Sektor mit dem Gesundheitsministeriums Sri Lanka im Distrikt Ampara zu erreichen. Heute, mehr als acht Monaten seit der Tsunami Katastrophe, sind aber die Verhandlungen mit der Gesundheitsbehörde immer noch im Gange, und es ist noch kein konkretes Projekt für Pharmaciens sans Frontières in Sicht.

*Andrea Isenegger ist Vorstandmitglied von Medicus Mundi Schweiz und Geschäftsführerin von Pharmaciens sans Frontières Schweiz (www.psf.ch). Kontakt: a_isenegger44@bluewin.ch.

**WHO Emergency Kits: www.wpro.who.int/phl_flood/docs/EmergencyKits.pdf

Health in Emergency: Berichte und Analysen schweizerischer Organisationen