Editorial

Dem Lehrer „nein“ sagen können...

Von Beat Stoll

Lesezeit 2 min.

Vor einigen Jahren bauten wir zusammen mit unseren Partnern aus dem Stadt-Bezirk „Nylon“ in Douala, Kamerun, ein Programm zur Gesundheitsförderung und HIV-Prävention für Schüler auf. Das bedeutete, über Sexualität, Verhütung, sexuell übertragbare Krankheiten und Aids sprechen zu müssen. Wie das Tabu der Sexualität überwinden, ohne weder die Eltern zu übergehen, noch religiöse Gefühle zu verletzen oder Lehrkräfte zu brüskieren? Junge Menschen haben ein anderes Verhältnis zur Sexualität, wollen Grenzen überschreiten und fühlen sind durch potentielle und in der Zukunft liegende Folgen dieses Verhaltens – zum Beispiel unerwünschte Schwangerschaften oder Aids – kaum angesprochen.

Ein gelungener Einstieg sollte demnach alle Beteiligten mit einbeziehen, auch die Eltern, Lehrer, Behörden, Gesundheitsfachleute, ohne Zwiespältigkeit und in gegenseitigem Respekt: So beschlossen wir, das Programm auf den in der Konvention der Kinderrechte ausgearbeiteten Prinzipen zu bauen. Dort wollten wir die Gesundheitsförderung ansetzen. Beim Erarbeiten der entsprechenden Unterrichtseinheiten über Pubertät, Sexualität, Aids und andere mögliche Folgen kamen wir immer wieder auf die Kinderrechte als eine Basis zurück.

Gruppen von interessierten SchülerInnen, die sogenannten „Club Santé“, wurden in einer ersten Etappe zum Thema sensibilisiert und in der pädagogischen Umsetzung für die anderen durch Lehrkräfte begleitet. Diese Gruppen entwickelten dann in einer zweiten Etappe ihre eigenen Aktivitäten über die Verbreitung der Kinderrechte und ihre Verbindung zu den verschiedenen Fragen im Bereich der Gesundheit: Veranstaltungen mit Diskussionen, gemeinsames Studium von Broschüren, Einbinden des Programms in den Schulalltag, etc.

Ein Jahr später hatten wir Gelegenheit, selbst die involvierten Schulen zu besuchen und mit den SchülerInnen Erfahrungen auszutauschen. Erste Zweifel, ob sich die SchülerInnen von der Konvention der Kinderrechte auch angesprochen fühlen würden, verflogen rasch. Das Kennenlernen der Konvention und die Tatsache, dass sie von Kamerun mit unterzeichnet wurde, gab der Sache Aufschwung: „Kamerun, ein modernes und der Jugend aufgeschlossenes Land!“ Die SchülerInnen integrierten rasch den Unterschied von Rechten und Pflichten. Fordern allein reicht nicht, es geht um die Frage, wie diese Konvention der Kinderrechte und ganz allgemein die Menschenrechte den zukünftigen Alltag bestimmen können.

Die SchülerInnen verbanden die gewählten Themen der Prävention und Gesundheitsförderung spontan mit den Kinder- und Menschenrechten: wurde die Prostitution eingangs mitleidig belächelt, entstand im Verlauf des Programms ein differenzierteres Bild, Verständnis für soziale Notsituationen kam auf. Andernorts entstand eine Motivation, sich im Quartier dafür einzusetzen, dass aidskranke Menschen würdig behandelt werden. Und schliesslich wuchs auch das Selbstvertrauen in Genderfragen: eine halbwüchsige Schülerin gab sich überzeugt und in ihrer Haltung gestärkt, dass sie nun mit Verweis auf die auch von Kamerun unterzeichneten Kinderrechtskonvention zukünftige Versuche zu sexuellen Übergriffen – und wenn diese von einem Lehrer kommen sollten – ohne zögern ausschlagen werde! Sie ermuntere ihre Freundinnen, es gleich zu tun, weil mit dieser Haltung ein wahrscheinlich wichtiger Beitrag bei der Unterbrechung der HIV-Übertragung geleistet werden könne.

Es ist an der Zeit und machbar, die Menschenrechte konsequent in das Konzept und das Umsetzen der Primary Health Care zu integrieren, auch bei unseren eigenen Projekten.

Beat Stoll, Vorstandsmitglied von Medicus Mundi Schweiz, Institut für Sozial- und Präventivmedizin der Universität Genf