Betreuung von Neugeborenen drogenkonsumierender Eltern in der Frauenklinik des Inselspitals Bern

Unterwegs zu einem "normalen" Leben?

Von Katrin Feller und Christa Spycher

Die Gesundheit des neugeborenen Kindes hängt direkt mit den Lebensumständen der Mutter respektive der Eltern zusammen. In der Schweiz stossen wir mit grosser Wahrscheinlichkeit an Grenzen, wenn wir eine drogenabhängige Schwangere vor uns haben. Um auch für Neugeborene drogenabhängiger Eltern eine möglichst gute Ausgangssituation zu schaffen, wurde in der Frauenklinik Bern ein Betreuungskonzept erarbeitet, das seit 1998 konsequent zur Anwendung kommt.

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Drogenkonsumierende Frauen während Schwangerschaft und Geburt zu betreuen, ist ausserordentlich aufwändig und anspruchsvoll, und wer einmal ein Neugeborenes auf Drogenentzug erlebt hat, wird dies nicht so schnell vergessen.

In der Frauenklinik des Inselspitals Bern kommen jedes Jahr mehrere Kinder von süchtigen Eltern zur Welt. In den letzten Jahren waren dies durchschnittlich 15 Neugeborene. Die Eltern freuen sich in der Regel, genauso wie andere Eltern auch, über die Geburt. Oft sind sogar besonders grosse Hoffnungen auf ein neues, „normales“ Leben, einen neuen Lebensinhalt und -sinn oder auf den Ausstieg aus den Drogen auszumachen.

Was braucht das Kind?
Was können die Eltern geben?

Wir tragen gegenüber den Neugeborenen, die wir aus dem Spital entlassen, auch in sozialer Hinsicht eine grosse Verantwortung. Eine Gefährdungssituation muss wenn immer möglich durch uns erkannt, und die nötigen Vorkehrungen müssen getroffen werden, um die Gefährdung abzuwenden. Wenn nun eine Mutter oder ein Elternpaar Drogen konsumiert, so bedeutet dieser Drogenkonsum schon einmal einen erheblichen Risikofaktor für das Kind. Wir haben deshalb die Aufgabe, uns über die Lebenssituation der Eltern sowie über deren Möglichkeiten und Ressourcen ein Bild zu machen: was braucht das Kind, und was können die Eltern geben; wo sind Lücken und Defizite, und wie können sie gefüllt werden?

Um diese Aufgabe erfüllen zu können, hat die Frauenklinik 1998 ein Konzept für die Betreuung von drogenkonsumierenden Eltern und deren Kinder erarbeitet, das seither zur Anwendung kommt.

Ziel unserer Beratung und Betreuung ist es, die Kinder wenn möglich nach Hause entlassen zu können, sofern die notwendigen unterstützenden und kontrollierenden Massnahmen getroffen werden konnten. Es geht darum, ein Netz aufzubauen, das während längerer Zeit rund um die Familie so funktioniert, dass Krisen und Rückfälle bewältigt werden können, ohne dass das Kind Schaden nimmt.

Manchen Eltern ist es allerdings nicht möglich, die Verantwortung für ihr Kind zu übernehmen. In diesen Situationen ist es unser Ziel, die Eltern so weit zu begleiten, dass sie zu einer Fremdplatzierung „ja“ sagen können. Damit sind die Voraussetzungen für die künftigen Bezugspersonen des Kindes, für seine Eltern und damit auch für das Kind selber weitaus besser, als wenn diese Massnahme gegen den Willen der Eltern vollzogen werden muss.

Das Konzept lässt sich sehr gut an!
Die beiden Autorinnen im Gespräch

Christa Spycher: Wie kommen die drogenabhängigen Eltern zu der vom Inselspital angebotenen Beratung und Betreuung?

Katrin Feller: Es sind verschiedene Zuweisende: das geburtshilfliche Ambulatorium in der Frauenklinik selbst, dann aber auch ÄrztInnen aus der Stadt und der Region und die Drogenfachstellen.

Und wie geht das Spital mit der Sucht der Schwangeren um? Wird die Mutter angehalten, den Konsum vor der Geburt zu reduzieren?

Oberstes Ziel während der Schwangerschaft ist es, eine möglichst stabile Situation zu erreichen. Dabei steht die Abstinenz bei oft schwer drogenabhängigen Frauen nicht im Vordergrund. Die Schwangere wird vielmehr dahingehend beraten, die Unterstützungsmöglichkeiten anzunehmen und vor allem, gerade auch im Hinblick auf mögliche Schädigungen ihres Fötus, von einer Polytoxikomanie wegzukommen, also andere Medikamente, auch Alkohol, möglichst wegzulassen. Wenn ein Entzug in der Frühschwangerschaft ins Auge gefasst wird, dann nur unter stationären Bedingungen in einer spezialisierten Institution mit entsprechenden Anschlussprogrammen.

Wo liegen Schwierigkeiten in diesem Konzept, das so einfach und einleuchtend erscheint?

Es gibt Schwangere oder Paare, die sich auf die Hilfsangebote nicht einlassen (können), zu denen wir trotz grosser Erfahrung den Zugang nicht finden. Dies ist aber – für mich erstaunlicherweise – erfreulich selten der Fall. Dann gibt es auch ÄrztInnen oder auswärtige Spitäler, die meinen, die Entzugsproblematik des Neugeborenen ohne weiteres meistern zu können. Wenn die Unterstützungsangebote aber erst nach der Geburt kommen, in dieser für alle äusserst heiklen und belastenden Phase, dann greifen sie zu kurz, dann ist es zu spät.

Wo liegen die Grenzen der Einbindung der Eltern?

Die Grenze ist erreicht, wenn keine Vertrauensebene gefunden werden kann, und vor allem: wenn der körperliche und psychische Abbau bereits zu weit fortgeschritten ist wegen eines oft jahrelangen Suchtmittelkonsums.

Wird eine eventuell notwendige Fremdplatzierung des Kindes besser akzeptiert, seit das Inselspital mit diesem Betreuungskonzept arbeitet?

Ja, auf jeden Fall. Es ist sicher immer eine gewisse Ambivalenz im Spiel, aber es gibt die schwer abgebauten Mütter oder Paare, die eine Fremdplatzierung doch recht gut akzeptieren, da sie spüren, dass sie ihrem Kind nicht gerecht werden könnten.

Deine generelle Einschätzung zum Schluss?

Das Konzept lässt sich sehr gut an! Bei einer grossen Zahl von Fällen gelingt es uns, trotz aller Schwierigkeiten ein Vertrauensverhältnis zu den Müttern respektive Eltern aufzubauen. Dies übertrifft meine eigenen Erwartungen!

*Katrin Feller, Sozialarbeiterin an der Frauenklinik Inselspital Bern (www.frauenheilkunde.insel.ch), war massgebend an der Entwicklung des Konzepts für die Betreuung von drogenkonsumierenden Eltern und deren Kinder beteiligt und ist für dessen Umsetzung verantwortlich. Kontakt: katrin.feller@insel.ch. Christa Spycher ist Ärztin, langjährige Leiterin des Zentrums für Familienplanung der Frauenklinik Bern und Präsidentin von PLANeS (Vereinigung für sexuelle und reproduktive Gesundheit). Kontakt: christa.spycher@freesurf.ch.

Konzept für die Betreuung von drogenkonsumierenden Eltern
und deren Kinder

  • Für jede Familie wird eine Betreuergruppe, bestehend aus NeonatologIn, Pflegenden und Sozialarbeitenden festgelegt, um eine möglichst grosse Kontinuität zu gewährleisten.
  • Der Kontakt zwischen Betreuergruppe und Eltern erfolgt wenn möglich schon während der Schwangerschaft: Information und Vorbereitung auf die spezielle Situation (das Kind wird einen Entzug durchmachen, längere Zeit hospitalisiert bleiben; Frage des Stillens klären etc.).
  • Abklärungsphase nach der Geburt: Regelmässige Gespräche zwischen Betreuergruppe und Eltern über den Verlauf (medizinisch, Besuche der Eltern beim Kind, Situation der Eltern) und über anstehende Fragen während der Hospitalisation des Kindes.
  • Interdisziplinärer Austausch zwischen Pflegenden, ÄrztInnen, SozialarbeiterInnen.
  • Zusammenarbeit mit Drittstellen, welche die Eltern länger kennen (zum Beispiel Drogen-Abgabestellen, Sozialdienst der Gemeinde, Hausarzt).
  • Notwendige Unterstützungs- und Kontrollmassnahmen einleiten, eventuell Kinderschutzmassnahmen (z. B. Beistandschaft) beantragen.
  • Entlassung: oft mit einem von den Eltern unterschriebenen „Vertrag“, welcher alle involvierten Stellen (Kinderarzt, Mütter- und Väterberatung, Drogenberatungsstelle etc.) aufführt sowie die Person oder Stelle, welche bei auftretenden Schwierigkeiten zu kontaktieren ist. Alle Beteiligten erhalten eine Kopie.

Quelle: Inselspital Bern