Geschichten vom Zauberpudding

Partizipation und Förderung der sozialen Kompetenzen bei Jugendlichen

Von Doris Summermatter

Viele Gesundheitsprobleme Jugendlicher sind eine Folge sozialer Ungleichheiten. Die beiden von Gesundheitsförderung Schweiz unterstützten Programme “funtasy projects” und das Netzwerk “jung&stark” setzen Ressourcenförderung hautnah um und zeigen auf, wie Gesundheitsförderung nachhaltig wirken kann.

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Es ist ein Anliegen von Gesundheitsförderung Schweiz, sozial benachteiligte Menschen zu erreichen. Ohne hinreichende Beschreibung der sozio-kulturellen Voraussetzung der Zielgruppe sind Interventionen jedoch wenig erfolgversprechend. Das heisst, bevor wir überhaupt an das Ziel einer Verhaltensänderung denken können, müssen wir die notwendigen Handlungsvoraussetzungen schaffen.

Da kann ein Projekt noch so innovativ und gut konzipiert sein und Angebote zur Verfügung stellen – wenn die anvisierte Zielgruppe nicht über die nötigen Voraussetzungen verfügt, diese Angebote anzunehmen, bringen alle Anstrengungen nichts. Sollen etwa Kinder und Jugendliche motiviert werden, mit dem Fahrrad zur Schule zu fahren, braucht es entsprechende Velowege und Verkehrssicherheitsmassnahmen. Denn gerade Kinder aus benachteiligten Bevölkerungsgruppen haben ein erhöhtes Risiko, einen Verkehrsunfall zu erleiden. So fehlen in den entsprechenden Quartieren oft verkehrsberuhigende Massnahmen, und die Kinder müssen den Schulweg häufig alleine bewältigen. Das Gleiche gilt, wenn die Bevölkerung animiert wird, mehr und regelmässig Fitness zu betreiben: Ist in der Nähe keine Infrastruktur – zum Beispiel ein Fitnessstudio – vorhanden und verfügen die Menschen nicht über die nötigen Ressourcen, das Abonnement zu finanzieren, wirkt eine solche Aufforderung geradezu zynisch.

Hier schliesst sich der Kreis zur Partizipation: Menschen, die an der Schnittstelle zwischen Individuum und Staat die sogenannte zivile Gesellschaft mitgestalten helfen, tragen bei zur sozialen Netzwerkbildung und übernehmen Verantwortung, ihren Lebensraum zu gestalten und an der Lösung lokaler Probleme mitzuarbeiten. In Australien gibt es die Aussage, dass sich dieses Allgemeingut – wie ein “magic pudding” - auf wundersame Weise mit zunehmendem Gebrauch vermehrt.

Um also Jugendlichen möglichst gute Startbedingungen im Erwachsenenalter zu geben, konzentriert sich das Programm für Jugendliche und junge Erwachsene von Gesundheitsförderung Schweiz auf die Förderung der psychischen und sozialen Gesundheit und setzt insbesondere folgende Schwerpunkte um: Partizipation, Chancengleichheit, Umgang mit Gesundheit und Gesundheitsrisiken und Förderung der Konfliktfähigkeit.

Über das Partizipieren an gesellschaftlichen Prozessen können Jugendliche lernen, Verantwortung zu übernehmen. Empowerment – ebenfalls von zentraler Bedeutung in der Gesundheitsförderung - kann nur über Prozesse erzielt werden. Partizipatives Ausgestalten dieser Prozesse ist dabei ein zentrales Erfolgskriterium. Wir Erwachsene sind gefordert, Entscheidungsmacht abzugeben und zu lernen, ein gewisses Mass an Chaos zuzulassen, und zwar ohne Angst vor Kontrollverlust. Gerade auch für Jugendliche sind Selbstbestimmung und Selbstkontrolle zur Steigerung des Wohlbefindens zentral. Indem sie an Prozessen beteiligt sind, wird auch die Integration gefördert, was ein wichtiger Beitrag zur Erfüllung des Postulats der Chancengleichheit bildet.

Zum Austragen und Aushalten von Konflikten werden soziale Kompetenzen benötigt. Wir haben uns daher entschieden, mit dem Programm jung&stark - mit dem Ansatz des sozial-emotionalen Lernens - die Kompetenzbildung im Bereich Konfliktfähigkeit zu fördern. Sozial benachteiligte Kinder und Jugendliche in der Schweiz haben das ungleich grössere Risiko von Gewalt als Kinder aus höheren sozialen Schichten.

Die von uns unterstützten Programme “funtasy projects” und “jung&stark” haben sich Partizipation respektive sozial-emotionales Lernen zum Ziel gesetzt. Sie sind Beispiele dafür, wie der “Zauberpudding” vergrössert werden kann.

“funtasy projects” - zum Beispiel in Thusis

Trotz demokratischer Tradition und Stimmrechtsalter 18 ist auf Gemeindeebene der aktive Einbezug von Jugendlichen bei der Lebensraumgestaltung wenig verankert. funtasy projects hat sich zum Ziel gesetzt, die Partizipation Jugendlicher im Freizeitbereich in verschiedenen Lebensfeldern und bei zentralen Lebensthemen zu fördern. Finanziert wird funtasy projects vom Bundesamt für Gesundheit, der Gesundheitsförderung Schweiz und vom Kulturprozent des Jugend- und Kulturförderers Migros Genossenschaftsbund.

Bis Sommer 2001 hat funtasy projects vor allem Projekte in und um Jugendtreffs gefördert, die individuell auf Selbst- und Sozialkompetenzen ausgerichtet gewesen sind. Seit vergangenem Mai legt funtasy projects zusätzlich Gewicht auf strukturelle Veränderungen durch partizipative Prozesse. Der Lebensraum soll gesundheitsförderlich und jugendgerecht gestaltet sowie verantwortet und dadurch die selbstbestimmte Entwicklung gefördert werden: Betroffene werden zu Beteiligten.

Seit einiger Zeit haben in Thusis verschiedene Gruppen von Jugendlichen den “neuen” Bahnhofplatz in Beschlag genommen und dort eigene Lebenswelten und Verhaltensweisen entwickelt; gar nicht zur Freude von vielen Einwohnern /innen. Sie fürchten die negativen Auswirkungen Lärm, Abfall, Wandschmierereien, Konsum von Suchtmitteln und erleben ein (subjektives) Gefühl der Verunsicherung. In Zusammenarbeit mit funtasy projects hat sich eine Projektgruppe gebildet, um eine Lösung der anstehenden Probleme zu erarbeiten – gemeinsam mit den Jugendlichen. Der Projektgruppe gehören die evangelisch-reformierte Kirchgemeinde, die politische Gemeinde sowie die pro juventute an.

Im Rahmen einer Projektwoche haben sich interessierte Jugendliche – animiert durch Profis des privaten Vereins “Start Up” – mit ihren Bedürfnissen auseinandergesetzt und die Resultate und Forderungen den Erwachsenen an einer Versammlung vorgestellt. Momentan beschäftigen sie sich gemeinsam mit interessierten Institutionen sowie Einzelpersonen damit, ihre Ideen zu bündeln, die operativen Arbeiten sowie die finanziellen Aspekte zu konkretisieren. Ziel ist die Eröffnung eines Jugendtreffs mit vielfältigen Angeboten für unterschiedliche Zielgruppen am 1. Januar 2003.

Wir sind jung&stark!

Gesundheitsförderung will mehr Gesundheit und Wohlbefinden für immer mehr Menschen. Sie will allen Menschen ein höheres Mass an Selbstbestimmung über ihre Gesundheit ermöglichen. Sozial-emotionale Bildung hilft Kindern und Jugendlichen, positive Kräfte zu mobilisieren, damit sie ohne Gewalt und ohne Selbstschädigung ihren Weg finden. Sozial-emotionale Bildung wird in den USA erfolgreich in der Prävention von Gewalt an Schulen eingesetzt. Die Verbindung sozial-emotionaler Bildung mit Gesundheitsförderung ist neu. Beide stellen das Individuum als Fachperson ins Zentrum ihrer Bemühungen. Beide erkennen, dass jedem Mensch gesunde Kräfte eigen sind und diese – gerade auch zum Wohle sozialer Gefüge - gefördert werden können. Sozial-emotionale Bildung ist somit ein ideales Instrument in der Gesundheitsförderung.

Für das junge Kompetenzzentrum jung&stark ergibt sich aus der konsequenten Verbindung sozial-emotionaler Bildung mit Gesundheitsförderung die Förderung sozialer und emotionaler Kompetenzen, besonders zwischenmenschlicher Problemlösungsfertigkeiten, und der Einsatz für gesundheitsfördernde Lebenswelten. Die Vernetzung von Initiativen aus der Primärprävention dient jung&stark als Basis, um gezielt die Förderung der Konfliktfähigkeit mit Kindern, Jugendlichen und ihren Umfeldern gesamtschweizerisch voranzutreiben. jung&stark geht davon aus, dass die Förderung sozial-emotionaler Kompetenzen, indirekt, nicht nur zu einer Abnahme von Gewalt, sondern zudem auch zu einer Abnahme suizidalen Verhaltens führen kann. Dazu fördert jung&stark Projekte, die Strategien zur Förderung sozial-emotionaler Kompetenzen konkret umsetzen. Als Beispiel soll das Projekt daZUgeHÖREN erwähnt werden. daZUgeHÖREN wird von terre des hommes Schweiz zusammen mit NCBI Schweiz (National Coalition Building Institute) durchgeführt. Junge Erwachsene werden ausgebildet, um in Schulen Seminare zum Abbau von Vorurteilen und der Förderung von Toleranz durchzuführen. Gewaltpotential wird durch die Auseinandersetzung mit Intoleranz entschärft, bevor es zu gewalttätigen Übergriffen kommt. Verständnis für Unterschiede soll ebenso gefördert werden, wie für die Empfindungen von Menschen, die ausgegrenzt werden. Der Umstand, dass junge Menschen andern Jugendlichen Verständnis vorleben, ist dabei ein zentrales Element. Sozial-emotionale Bildung ist nicht neu! Sie findet statt, wo Menschen friedvoll miteinander umgehen. Dies will jung&stark bewusst machen und aufzeigen, wie solch soziales Zusammenspiel Wohlbefinden erzeugt.

*Der Artikel von Doris Summermatter, der Leiterin des Schwerpunktprogramms Jugendliche und junge Erwachsene von Gesundheitsförderung Schweiz, wird ergänzt durch Beiträge von Peter Frehner, Leiter von funtasy projects, und Michael Baumgartner, Leiter von jung&stark. Kontakt: doris.summermatter@promotionsante.ch