Geduld und langer Atem

Integrierte Gesundheitsversorgung im ländlichen Laos

Von Patricia Mauerhofer

Im Distrikt Nambak, im Norden von Laos, hat das Schweizerische Rote Kreuz (SRK) gemeinsam mit den Behörden und der betroffenen Bevölkerung ein Pilotprojekt initiiert. Ziel ist es, auch mit wenig Geld effiziente und zahlbare Gesundheitsdienste anzubieten.

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Das Gesundheitswesen in Laos befindet sich in einem schlechten Zustand. Im Distrikt Nambak – in der nördlichen Bergprovinz Luang Prabang gelegen – gibt die Bevölkerung gemäss einer Studie des Roten Kreuzes jährlich im Durchschnitt rund 11 Franken für oft bedenkliche bis gefährliche private Gesundheitsdienste aus. Gleichzeitig verfügt der Staat nur über ein Gesundheitsbudget von 80 Rappen pro Person. Die SRK-Ärztin Vannaly Boupha erklärt: ”Im ganzen Land mangelt es an qualifiziertem Fachpersonal. Viele staatliche Angestellte verfügen nur über eine Ausbildung von 3 bis 6 Monaten, einige erhielten diese von den Amerikanern während des Vietnamkrieges.” Vor allem für Frauen und Kinder ist die Situation dramatisch: Im Jahr 2000 betrug die Säuglingssterblichkeit offiziell 9 Prozent, die Müttersterblichkeit ist mit 650 Frauen pro 100'000 Geburten 130-mal höher als in der Schweiz.

Dr. Boupha wird zufällig Zeugin vom Besuch von “grand-père” beim 18-jährigen Sing. Der auf Knochen spezialisierte traditionelle Heiler rezitiert magische Formeln und macht Umschläge aus Kräutern und Wurzeln zu Heilung von Brüchen. Diesmal könne er nichts machen, meint er, man habe ihn zu spät geholt. Auf dem Reisfeld stürzte ein Baum auf Sing, der sich dabei den Oberschenkel brach. Nach drei Wochen im Distriktspital ist er nun wieder zu Hause. Für Medikamente haben die Eltern umgerechnet 100 Franken bezahlt, Behandlung und Beratung sind in Laos kostenlos. Das Geld für die nötige, aber mehrere hundert Franken teure Operation im Provinzspital von Luang Prabang fehlt ihnen. Sing kann nur liegen und sitzen und hat Mühe beim Wasser lassen. Wie sich herausstellt, hat Sings Mutter, eine Krankenschwester, Vitamine gespritzt. Ein illegaler Dorfapotheker hat der Familie Antibiotika verkauft, doch Sing nimmt für die mögliche Blaseninfektion eine zu schwache Dosis ein.

Infrastruktur allein genügt nicht

Das Schweizerische Rote Kreuz (SRK) engagiert sich seit 1989 in Laos und konnte schrittweise auf allen Ebenen der Gesundheitsversorgung intervenieren, das heisst vom Gesundheitsministerium bis zu den entlegensten Dörfern. In drei nördlichen Provinzen renovierte das SRK Provinzspitäler, baute Distriktspitäler sowie Gesundheitsposten und rüstete diese aus. Als wichtige Neuerung im laotischen Gesundheitssystem führte das SRK das Konzept eines Rotationsfonds für Medikamente ein. Die Patientinnen und Patienten bezahlen die Medikamente und beteiligen sich somit an den Kosten des öffentlichen Gesundheitswesens. Die Einnahmen erlauben den Gesundheitseinrichtungen, den regelmässigen Nachschub an Medikamenten zu gewährleisten. Die Verfügbarkeit von Medikamenten soll auch verhindern, dass gerade ärmere Bevölkerungsschichten zu Opium als Ersatz greifen. Über all die Jahre hat das SRK zudem Weiterbildungszyklen für das Pflegepersonal, Lehrkräfte am Ausbildungszentrum für Gesundheitsberufe in Luang Prabang sowie Angestellte der Gesundheitsbehörden ausgearbeitet und durchgeführt.

Eine SRK-Studie im Jahr 2000 zeigte erschreckende Resultate: Das öffentliche Gesundheitspersonal wird nicht rational eingesetzt, denn 85 Prozent der Angestellten wohnen und arbeiten im Distrikthauptort. Die 22 vom Staat lizenzierten Apotheken befinden sich alle entlang der Distrikthauptstrasse. Die Nachfrage nach öffentlichen Dienstleistungen hat global leicht zugenommen, doch scheint die Bevölkerung mit der gebotenen Qualität nicht zufrieden zu sein. Andere Gründe für die geringe Nutzung der staatlichen Gesundheitsdienste sind die grossen Distanzen und die Angst vor möglichen hohen Kosten. Wie oben erwähnt, geben die Menschen gleichzeitig verhältnismässig viel Geld für oft bedenkliche bis gefährliche Privatbehandlungen, Medikamente und Krankentransporte aus.

Das SRK einigte sich mit den laotischen Behörden darauf, dass das Problem ganzheitlich, unter Einbezug aller beteiligten Akteure angegangen werden müsse. Seit der Dezentralisierung des Gesundheitswesens im Jahr 2000 zeichnen sich die Provinzen verantwortlich für die Strategie und die Distrikte für Planung und Budget, was die Zusammenarbeit mit dem Staat vereinfacht. Die wenig strukturierten Gesundheitsdienste werden deshalb exemplarisch im 55'000 Einwohner zählenden Distrikt Nambak reorganisiert. Das Pilotprojekt führt Managementmethoden, eine transparente Buchhaltung sowie neue Finanzierungsmechanismen ein.

Neu gehen mobile Equipen jeweils zehn Tage pro Monat in die entlegenen Dörfer, um ihre kurativen Dienste anzubieten. Dies erlaubt auch, schwer Kranke zu erkennen und ihnen zu raten, sich im Gesundheitsposten oder Spital verarzten zu lassen. Die Behandlung kostet im schlimmsten Fall 150'000 Kip. Dieses Kostendach von umgerechnet rund 25 Franken wurde kürzlich eingeführt, um armen Menschen die Angst vor dem Spitalaufenthalt zu nehmen. Den Familien ohne Vermögen werden die Medikamentenkosten aus dem “Fonds für Ärmste” bezahlt. Die Angestellten im öffentlichen Dienst erhalten neu Bonuszahlungen von 50 bis 100 Prozent auf ihre Löhne, die sich einerseits aus dem kollektiven Einhalten der Rahmenbedingungen wie Präsenz während der Arbeitszeiten oder korrekte Abrechnung von Spesen, andererseits aus effektiv erbrachten Dienstleistungen zusammensetzen. Die Leistungsprämien tragen als Motivationsfaktor zu einer verbesserten Qualität der Gesundheitsdienste bei. Ein spezieller Ausschuss mit Vertreterinnen und Vertretern aus dem öffentlichen und privaten Gesundheitssektor sowie aus der Bevölkerung verwaltet die vorhandenen Mittel.

Ein ganzheitlicher Ansatz

“Früher begaben sich verschiedene Teams in die Dörfer: zum Beispiel von der UNICEF finanzierte Impfbrigaden oder Teams zur Imprägnierung von Moskitonetzen als Schutz vor Malaria. Nach dem neuen Modell werden verschiedene Gesundheitsdienste und vorsorgenden Massnahmen kombiniert”, sagt der Arzt Frédéric Bonnet, Initiant des Projekts und langjähriger SRK-Delegierter in Laos. Weitere Beteiligte werden in Nambak für eine verbesserte Gesundheitsversorgung im Dienste der Bevölkerung gewonnen: Sowohl anerkannte Apotheken wie auch inoffizielle Erbringer von Gesundheitsdienstleistungen sollen sich auf ihre komplementären Funktionen zum staatlichen Angebot beschränken. Mit traditionellen Heilern wird der Kontakt gesucht. Zusätzlich zur laufenden Fortbildung aller Mitarbeitenden des öffentlichen Gesundheitswesens erhalten ebenfalls private Dienstleister angemessene Ausbildungen. Die sechs Taxifahrer des Distrikts transportieren Kranke künftig schneller und günstiger, und Medikamentproduzenten liefern zu besseren Konditionen.

Das Projekt in Nambak profitiert vom anderen Engagement des SRK in Laos: seit 1993 unterstützt es die drei Rotkreuzsektionen in Luang Prabang, Bokeo und Oudomxai dabei, ihre Aktivitäten aufzubauen. Neben der Installation und Sanierung von Trinkwassersystemen und dem Bau von Latrinen, bildet die Präventionsarbeit durch die Ausbildung von Gesundheitshelferinnen und -helfern einen Schwerpunkt. Heute leisten Rotkreuzfreiwillige in 200 Dörfern erste Hilfe bei Verletzungen. Daneben klären sie ihre Mitbewohnerinnen und Mitbewohner über Fragen der Hygiene, Malariaprävention (siehe MMS Bulletin Nr. 78) und Familienplanung auf. Durch die Ausbildung von rund 50 Primarlehrern wird diese Gesundheitsförderung auch in den Schulen multipliziert. Des weiteren sensibilisiert das Laotische Rote Kreuz Jugendliche über HIV/Aids und Drogenprävention, fördert das Blutspenden und leistet Nothilfe nach Katastrophen.

“Wenn man nachhaltig etwas bewegen will, braucht es einen langen Atem. Manchmal frage ich mich, ob meine Geduld ausreichen wird”, sagt Frédéric Bonnet. Das Interesse des Gesundheitsministers am Projekt Nambak könnte für den nötigen Druck von oben sorgen. Als positive Entwicklung von unten hat eine kürzliche Feldstudie des SRK gezeigt, dass die Menschen auf dem Land gegenüber 1998 besser mit den häufigsten Gesundheitsproblemen (Durchfall, Atemwegserkrankungen, hohes Fieber) bei Kleinkindern umzugehen wissen. Da im 2001 keine Epidemien grassierten, braucht es eine längere Perspektive, um abzuschätzen, ob die Kindersterblichkeit unter 5 Jahren wirklich abgenommen hat. Eine Evaluation des Pilotprojekts Ende Jahr wird weitere Resultate liefern.

* Patricia Mauerhofer ist redaktionelle Mitarbeiterin des Schweizerischen Roten Kreuzes.
Weitere Informationen: www.redcross.ch oder iz@redcross.ch